Sonntag, 21. April 2024

Haftungsabwägung bei Überholvorgang trotz unklarer Verkehrslage

Der Versicherungsnehmer der Beklagten beabsichtigte mir seinem Pkw nach rechts in sein Grundstück abzubiegen, weshalb er seine Geschwindigkeit reduzierte, nach rechts blinkte und das Fahrzeug zunächst etwas nach links zur Fahrbahnmitte (die Fahrbahn hatte keine Mittelmarkierung) hin lenkte. Zu gleichen Zeit setzte der Kläger zum Überholen (links) an. Als beide Fahrzeuge etwa auf gleicher Höhe waren, machte der Versicherungsnehmer der Beklagten eine weitere Lenkbewegung nach links (sogen. Linksschwenk) und es kam zur seitlichen Kollision der Fahrzeuge. Das Landgericht nahm eine Haftungsquote der Beklagten zu 60% an und gab dieser, unter teilweisen Abzügen bei der Schadenshöhe, auf dieser Grundlage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das OLG das Urteil ab, insoweit es eine Haftungsquotelung von 40% zu 60% zu Lasten des Klägers annahm. 

Der Versicherungsnehmer der Beklagten habe gegen § 9 Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer beim Abbiegen in ein Grundstück) und § 9 Abs. 1 S. 2 StVO (Pflicht zum Einordnen nach rechts) verstoßen. Es käme dabei nicht darauf an, ob das Beklagtenfahrzeug dabei die (gedachte) Mittellinie überfahren habe, ebenso wenig wie es darauf ankäme, ob der Versicherungsnehmer der Beklagten der doppelten Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO genügte. 

Auf Klägerseite läge ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4a StVO (Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers) sowie gegen § 1 Abs. 2 StVO (allgemeines Gefährdungsverbot) vor. Hinzu käme, dass der Kläger bei unklarer Verkehrslage überholt habe (Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). In der konkreten Situation sei ei n Überholen unzulässig gewesen. Eine unklare Verkehrslage läge vor, wenn nach den Umständen mit einem ungefährdeten Überholen nicht gerechnet werden könne. Das sei z.B. dann der Fall, wenn das Verhalten des Vorausfahrenden unklar sei. Die Unklarheit könne auch auf einem unaufmerksamen, unsicheren, fehlerhaften oder verkehrswidrigen Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers beruhen. Entscheidend seien die für den Überholenden erkennbaren äußeren Umstände (OLG Saarbrücken, Urteil vom 07.01.2003 - 3 U 258/02 -). 

Nach Angaben des Klägers war diesem das Beklagtenfahrzeug bereits ab der Ortseinfahrt durch seine langsame Fahrweise aufgefallen, ferner soll das Beklagtenfahrzeug ein nicht vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug durchgelassen haben. Deshalb habe er, der Kläger, besondere Vorsicht walten lassen und einen größeren Abstand eingehalten, was belege, dass er die Notwendigkeit besonderer Vorsicht erkannt habe. Im weiteren Verlauf sei das Beklagtenfahrzeug bei gesetzten rechten Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesteuert worden, was der Kläger wahrgenommen habe. In Ermangelung einer Mittelmarkierung sei für den Versicherungsnehmer der  Beklagten nicht eindeutig erkennbar gewesen, ob er sich noch innerhalb seiner Fahrspur befand, für den Kläger, ob ihm die gesamte Gegenfahrspur zur Verfügung stünde. 

Damit sei ein Überholen unzulässig gewesen. Der Kläger hätte hier aufgrund von ihm wahrgenommener Unsicherheiten in der Fahrweise des Beklagtenfahrzeugs, dem Verkehrsverstoß beim Einordnen zum Abbiegen sowie den örtlichen Gegebenheiten (relativ schmale Fahrbahn ohne Mittelmarkierung) nicht mit einem gefahrlosen Überholen rechnen dürfen. In Ansehung des fehlerhaften Einordnens nach links war für den Kläger auch nicht ersichtlich, wie sich der Versicherungsnehmer der Beklagten weiter verhalten würde, da die (sich verwirklichte) Gefahr bestanden habe, dass dieser noch weiter nach links ausholen würde. Es würde sich um ein unzulässiges, aber weit verbreitetes Phänomen handeln, vor dem Rechtsabbiegen in Einfahrten nach links auszuholen. Zudem sei auch bei einem Einordnen zur Mitte und Reduzierung der Geschwindigkeit en falsches Blinken nach rechts bei einem beabsichtigten Abbiegen nach links denkbar. 

Im Hinblick auf den Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO falle es nicht beträchtlich ins Geweicht und könne deshalb offen bleiben, ob im Überholen bei relativ geringem Platz und Abstand zugleich ein weiterer Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 4 StVO (ausreichender seitenabstand beim Überholen) vorläge. 

Bei der gebotenen Abwägung nach §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 StVG sei darauf abzustellen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. Dabei seine eine Gewichtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BGH, Urteil vom 28.02.2012 – VI ZR 10/11 -). Nur unstreitige oder zugestandene und bewiesene Umstände seien zu berücksichtigen, wobei jeder Halter dabei die Umstände beweisen müsse, die dem anderen zum Verschulden gereichen und sich auf den Unfall ausgewirkt haben. 

Hier würden danach die Verstöße der Beklagtenseite gegen § 9 Abs. 1 S. 2, Abs. 1 S. 4 und Abs. 5 StVO zulasten der Beklagten wirken. Zu Lasten des Klägers würden die Verstöße gegen §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 3 Nr. 1 und 5 Abs. 4a StVO wirken. Der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Klägers im Rahmen seines unzulässigen und rücksichtslosen Überholmanövers überwiege dabei den Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Beklagtenseite. Zwar treffe die Beklagtenseite der verschärfte Haftungsmaßstab des § 9 Abs. 5 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei abbiegen in ein Grundstück), was in der Regel zu einer beträchtlichen Mithaftung oder auch alleinigen Haftung führe. Das unzulässige und gefährliche Überholen des Klägers unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO wirke aber noch schwerer, jedenfalls unter Berücksichtigung der begleitenden Umstände. Da davon auszugehen  sei, dass der Versicherungsnehmer rechtzeitig nach rechts blinkte und seine Geschwindigkeit reduzierte, treffe ihn lediglich die Haftung aus dem fehlerhaften Einordnen und dem weiteren Linksschwenk, was sich – so das OLG – als nachvollziehbar und häufig zu beobachtendes Manöver darstelle, um leichter in eine enge Grundstückseinfahrt hineinzufahren. Demgegenüber sei das Verhalten des Klägers über das unzulässige Überholmanöver hinaus gefährlich und rücksichtslos. Es sei aus einem zu geringen Abstand heraus ohne Ankündigung durch Blinken und unter starker Beschleunigung sowie mit einem geringen Seitenabstand erfolgt. Zudem sei es an der Stelle auch vollkommen unverständlich und unnötig gewesen, da das Beklagtenfahrzeug wenige Meter und Sekunden später abgebogen wäre und der Weg für den Kläger frei gewesen wäre. 

OLG Schleswig, Urteil vom 06.02.2024 - 7 U 94/23 -

Dienstag, 16. April 2024

Zulassung einer Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG) nach Anhörungsrüge ?

Im Rahmen eines Streits über eine Betreuervergütung hatte die Beteiligte zu 1. gegen die Festsetzung durch das Amtsgericht Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht zurückgewiesen wurde und die Zulassung der Rechtsbeschwerde abgelehnt. Auf die Anhörungsrüge hin hatte das Landgericht zwar dieser in der Sache den Erfolg versagt, allerdings mit der Begründung die Rechtsbeschwerde zugelassen, da es zur Zulassungsentscheidung das rechtliche Gehör der Beteiligten zu 1. verletzt habe, insoweit es die in der Rügeschrift benannten Fundstellen abweichender rechtlicher Beurteilungen zur Sache nicht berücksichtigt habe.  

Der BGH hatte (gleichwohl) die Rechtsbeschwerde mangels wirksamer Zulassung nach § 70 FamFG als nicht statthaft und damit unzulässig verworfen. Danach hat der BGH die Ordnungsgemäßheit der Zulassung der Rechtsbeschwerde, die nach einer Anhörungsrüge erfolge, selbst insoweit zu prüfen, ob diese die Voraussetzungen für die Zulassung begründe.

Zulässig sei eine Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 1 FamFG dann, wenn diese in der Beschlussformel oder den Gründen vom Beschwerdegericht zugelassen würde. Dies war hier nicht der Fall gewesen. Vielmehr erfolgte erst nachträglich, nachdem die Beteiligte zu 1. Anhörungsrüge erhoben hatte. Diese nachträgliche Zulassung würde aber den BGH entgegen § 70 Abs. 2 S. 2 FamFG nicht binden; die nachträgliche Zulassung sie entbehre einer verfahrensrechtlichen Grundlage. Zwar könne das Beschwerdegericht auch nachträglich im Rahmen einer ordnungsgemäßen Anhörungsrüge (§ 44 FamFG) eine Rechtsbeschwerde bindend zulassen, wenn ein Verstoß gegen das zu gewährende rechtliche Gehör eines Beteiligten vorgelegen habe (BGH, Beschluss vom 14.06.2023 - XII ZB 517/22 -). Vom Grundsatz könne das Unterlassen einer Rechtsbeschwerde nicht das rechtliche Gehör verletzen, weshalb die nachträgliche Zulassung, wenn das Beschwerdegericht bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde Vortrag der Verfahrensbeteiligten im Hinblick auf die Zulassungsentscheidung verfahrensfehlerhaft übergangen habe oder infolge der Anhörungsrüge das Verfahren fortgesetzt werde und sich erst dann aus dem sodann gewährtem rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung ergäbe (BGH, Beschluss vom 14.06.2023 - XII ZB 517/22 -).

Beide Varianten lagen im vorliegenden Fall nicht vor. Es wurde im Rahmen der ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht kein Vortrag der beteiligten zu 1. übergangen. Erstmals im Rahmen der Anhörungsrüge seien von der Beteiligten zu 1. Fundstelen für abweichende rechtliche Beurteilungen im Hinblick auf die Sachentscheidung benannt worden, die in der Beschwerdeentscheidung nicht einbezogen worden seien. Eine Gehörsverletzung schloss der BGH aus, da es sich nicht um Vortrag im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bis zur Beschwerdeentscheidung gehandelt habe, dieser also nicht habe übergangen werden können, sondern erstmals im Rahmen der Anhörungsrüge eingeführt worden sei. Von daher habe nicht gestützt darauf die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgen können. Da zudem das Beschwerdegericht das Verfahren auch mangels eines Gehörsverstoßes nicht fortgesetzt habe (§ 44 Abs. 5 FamFG), habe sich ein Zulassungsgrund für die Rechtsbeschwerde auch nicht im Rahmen einer Fortsetzung des Verfahrens ergeben können. Der BGH wies aber auch darauf hin, dass selbst bei einer Fortsetzung des Verfahrens durch das Beschwerdegericht vorliegend nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde hätte rechtfertigen können, da eine Gehörsverletzung durch die Beteiligte zu 1. nicht dargelegt worden sei und damit das Verfahren nicht hätte fortgeführt werden dürfen mit der Folge, dass eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen dieses Verfahrensverstoßes auch unzulässig wäre. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts zur Frage der Fortführung nach einer Anhörungsrüge entfalte keine Bindungswirkung und sei vom BGH selbst zu überprüfen.

BGH, Beschluss vom 18.10.2023 - XII ZB 169/23 -

Sonntag, 14. April 2024

Verletzung rechtlichen Gehörs bei Verzicht auf Einholung eines Sachverständigengutachtens

Vorliegend ging es um Schadensersatzansprüche der klagenden Dienstherrin  aus einem Verkehrsunfall, den diese durch Fortzahlung von Bezügen und Versorgungsleistungen an den Geschädigten (städtischer Feuerwehrbeamter) erlitten haben will. Das OLG hatte im Berufungsverfahren statt der für einen Zeitraum vom 01.04.2011 bis 31.12.2016 geltend gemachten Bezüge nur solche für einen Zeitraum vom 01.04.2011 bis 31.08.2012 zuerkannt. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte insoweit Erfolg und führte dazu, dass das Urteil des OLG aufgehoben und das Verfahren an dieses zurückverwiesen wurde.

Das OLG habe seine teilweise Klageabweisung darauf gestützt, dass der Geschädigte gegen seine Obliegenheit zur Schadensminderung (§ 254 Abs. 2 BGB) verstoßen habe (was relevant wäre, da ein Mitverschulden des Beschäftigten im Regress des Arbeitgebers zu Lasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen wäre, vgl. z.B. § 6 Abs. 2 EntgFG). Voraussetzung für eine Kürzung der Schadensersatzansprüche des Geschädigten wegen unzureichender Anstrengungen zur Aufnahme einer erneuten Erwerbstätigkeit sei zunächst die Feststellung, dass der Geschädigte nach der Verletzung noch oder wieder arbeitsfähig sei. Diesbezüglich sei der Schädiger darlegungs- und beweisbelastet. Erst im zweiten Schritt, soweit die Frage der Möglichkeit des Einsatzes der festgestellten verbliebenen Arbeitskraft in Rede stünde, treffe den Geschädigten (bzw. bei auf den Arbeitgeber/Dienstherrn übergegangenen Ansprüchen diesen) die sekundäre Darlegungslast. Der Geschädigte habe sei er wieder (teil-) arbeitsfähig in der Regel den Schädiger über die für ihn zumutbaren Arbeitsmöglichkeiten ebenso wie zu seinen Bemühungen, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden, zu informieren. 

Vorliegend habe das OLG aus einer Bescheinigung des Hausarztes des Geschädigten sowie einem Befundbericht der den Geschädigten behandelnden Psychotherapeutin zwar die dort benannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen als gegeben unterstellt, allerdings nicht die auf diesen Diagnosen beruhende Einschätzung der behandelnden Ärzte zur Arbeitsfähigkeit des Geschädigten. So habe der Hausarzt angegeben, dass für den Geschädigten aufgrund von Hand- und Rückensituation körperlich belastenden Tätigkeiten und administrative Tätigkeiten allenfalls drei Stunden/Tag möglich seien und ebenso Minijobs mit leichter körperlicher Belastung; die Psychotherapeutin sei zu dem Ergebnis gelangt, wegen vorhandener und nicht revisibler psychischer Beeinträchtigungen sei für den Zeitraum 2012 bis 31.12.2016 von einer anhaltenden Erwerbsunfähigkeit auszugehen. 

Das OLG habe sich damit bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit „medizinische Sachkunde angemaßt“, deren Voraussetzungen es den Parteien nicht offengelegt habe; es sei das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) verletzt worden. Bei den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen handele es sich auch nicht - wie vom OLG vertreten – um „bloße Behauptungen“ der Klägerin, sondern um einen qualifizierten Sachvortrag zur Arbeitsfähigkeit des Geschädigten, weshalb das OLG nicht eine Arbeitsfähigkeit nicht hätte bejahen dürfen, ohne sich auf das Gutachten eines hinsichtlich der berührten medizinischen Bereiche fachärztlich qualifizierten Sachverständigen zu stützen. Hier wäre der vom Gericht zu beauftragende medizinische Sachverständige zu befragen gewesen, ob die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten aus medizinischer Sicht gegen die Annahme einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit des Geschädigten sprechen. Die Angaben des Geschädigten zu diesen Tätigkeiten, Vermietung einer Ferienwohnung zusammen mit seiner Frau bei einem wöchentlichen Zeitaufwand von zwei Stunden, die Öffnung einer vom Geschädigten betriebenen Galerie lediglich an Wochenenden, seien (was die Nichtzulassungsbeschwerde gerügt hatte) vom OLG übergangen worden und wären in dem vorgenannten Zusammenhang zu berücksichtigen. Der Schluss des OLG von der Ausübung einer geringfügigen Tätigkeit für die Caritas auf eine Arbeitsfähigkeit bis zum Umfang einer Vollbeschäftigung sei - unabhängig von der dem OLG fehlenden medizinischen Sachkunde -  auf der Grundlage der vom OLG getroffenen Feststellungen auch nicht nachvollziehbar, wobei auch hier das OLG nicht auf den Einwand der Klägerin eingegangen sei, der Geschädigte sei selbst von dieser Tätigkeit körperlich und psychisch überfordert gewesen. 

Zudem sei auch die Auffassung des OLG unzutreffend, dass im Falle der Feststellung unzureichender Erwerbsbemühungen durch den Geschädigten, sich dessen Anspruch (und damit der Anspruch der Dienstherrin aus übergegangenen Recht) nicht beziffern ließe. Es seien hier die erzielbaren (fiktiven) Einkünfte auf den (unter Beachtung der Darlegungs- und Beweislast des Anspruchsstellers festzustellenden) Verdienstausfallschaden anzurechnen. Entsprechend der Darlegungslast zum Obliegenheitsverstoß sei auch die Höhe der fiktiven Einkünfte bei hinreichenden Erwerbsbemühungen des Geschädigten grundsätzlich vom Schädiger darzulegen (BGH, Urteil vom 24.01.2023 - VI ZR 152/21 -). 

BGH, Beschluss vom 12.03.2023 - VI ZR 283/21 -

Freitag, 12. April 2024

Deliktische Vorteilsausgleichung und Nutzungsvorteil bei Leasing (hier: Diesel-Pkw)

Der Kläger hatte mit der M.-Leasing GmbH einen Leasingvertrag über ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug abgeschlossen (Laufzeit bis 14.05.2021) und machte im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend. Mit seiner Klage verlangte u.a.  Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs die Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs, hilfsweise Zahlung von € 11.737,72 nebst Zinsen und Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung weiterer Leasingraten. Die Klage wie auch die gegen das klageabweisende Urteil eingelegte Berufung (Berufungsurteil vom 21.10.2019) wurden zurückgewiesen. Seine Revision gegen das Berufungsurteil wurde vom BGH zurückgewiesen. 

Der Hauptantrag auf Lieferung eines mangelfreien typengleichen Ersatzfahrzeugs gegen Rückgabe und Rückübereignung des schadhaften Fahrzeugs sei zutreffend zurückgewiesen worden, da diese nicht auf Ersatz des allein in Betracht kommenden negativen Interesses, sondern auf das positive Erfüllungsinteresse gerichtet sei (u.a. BGH, Urteile vom 06.07.2021 - VI ZR 40/20 - und vom 01.12.2022 - VII ZR 492/21 -). Anmerkung: Das positive Interesse (Erfüllungsinteresse) setzt das Bestehen einer Verbindlichkeit und eine Nicht- oder Schlechterfüllung voraus. Zwischen dem verklagten Hersteller des Fahrzeugs und dem Kläger besteht aber kein Schuldverhältnis (z.B. infolge Kaufvertrag), vielmehr beruht der Anspruch auf Delikt (§§ 823, 826 BGB). Der Anspruch richtet sich damit auf das negative Interesse (Erhaltungsinteresse; BGH, Urteile vom 18.01.2011 - VI ZR 325/09 - und vom 14.05.2012 - II ZR 130/10 -).

Der hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch würde nicht bestehen, da der Wert der während der Leasingzeit erlangten Nutzungsvorteile der Höhe nach dem vereinbarten Gesamtleasingpreis entspräche und dies sowohl etwaige Ansprüche aus § 826 BGB (Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung) als auch etwaige Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. den einschlägigen Abgasnormen ausschließe (BGH, Urteile vom 16.09.2021 - VII ZR 192/20 - und 24.10.2023 - VI ZR 131/20 -). Anmerkung: Bereits in seinem Urteil vom 16.09.2021 hatte der BGH eine Bewertung der Nutzungsvorteile auch im Fall des Leasings im Rahmen des Vorteilsausgleichs nach der für den Fahrzeugkauf anerkannten Berechnungsformel (Fahrzeugpreis mal Fahrstrecke geteilt durch Laufleistungserwartung) abgelehnt und für den Fall der deliktischen  Vorteilsausgleichung bei einem Leasingfahrzeug nach dem vereinbarten Gesamtleasingpreis den Verzug gegeben (a.A. war u.a. das OLG Koblenz im Urteil vom 02.11.2020 - 12 U 174/20 -). Den Unterschied zwischen einem geleasten Fahrzeug und einem gekauften Fahrzeug bei der Bewertung begründete der BGH in seinem Urteil vom 16.09.2021 damit, dass der Leasingnehmer eine andere Investitionsentscheidung als der Käufer treffe; es sei nicht unbillig, dass ihn über die Vorteilsanrechnung der überproportionale Wertverlust des Fahrzeugs treffe, während der Käufer von der linearen Berechnung des Nutzungsvorteils profitiere, da der Leasingnehmer grundsätzlich nicht die Möglichkeit erwerbe,  die gesamte Laufleistungswertung (kostengünstig) auszunutzen (die Realisierung des anfänglichen Wertverlustes sei seiner Investitionsentscheidung immanent). 

Der Kläger habe nicht geltend gemacht, dass der objektive Leasingwert, auf den es für die Vorteilsausgleichung ankäme, im Streitfall geringer gewesen wäre, wofür auch nichts ersichtlich sei. 

Der BGH ließ (auch hier) dahinstehen, ob dann eine andere Betrachtung geboten sei, wenn von vornherein feststehen würde (so aufgrund vertraglicher Vereinbarung), dass der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit übernehmen würde, da dies weder den Vertragsunterlagen noch dem Parteivortrag zu entnehmen sei. Anmerkung: Der BGH hat, soweit ersichtlich, in den sogen. Dieselfällen noch keine Entscheidung dazu getroffen, wie die Bewertung im Falle einer vertraglich vereinbarten Übernahme des Fahrzeugs am Ende der Leasingzeit oder im Falle einer gewährten Kaufoption vorzunehmen ist (vgl. Urteile vom 16.09.2021 – VII ZR 192/20 -; 21.04.2022 – VII ZR 783/21 -; 21.04.2022 - VII ZR 285/21 -). 

Der weiterhin als Hilfsantrag gestellte Freistellungsanspruch wurde als „ins Leeere gehend“ abgewiesen, da das Leasingverhältnis während des seit 2019 anhängigen Revisionsverfahrens am 14.05.2021 endete. 

BGH, Urteil vom 05.03.2024 - VI ZR 466/19 -

Dienstag, 9. April 2024

Vollstreckungsauftrag für Gerichtskostenanforderung in elektronischer Form

Der Gläubiger (hier der Freistaat Thüringen) vollstreckte gegen die Schuldnerin eine Gerichtskostenforderung gem. § 6 JBeitrG iVm. §§ 802a Abs. 2 S. 1 Nr. 4m 803 ZPO (Pfändung und Verwertung beweglicher körperlicher Sachen der Schuldnerin). Der aus dem elektronischen Behördenpostfach (beBPO) erteilte Auftrag wurde elektronisch signiert und trug den Namen des Bearbeiters, aber weder ein Dienstsiegel noch eine Unterschrift. Es erging durch den Gerichtsvollzieher die Aufforderung, den Vollstreckungsauftrag auf dem Postweg im Original als vollstreckbare Ausfertigung zu übersenden. Die dagegen von dem Gläubiger eingelegte Erinnerung wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Eine dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Gläubigers zum Landgericht wurde auch zurückgewiesen. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde half der BGH dieser ab und hob die Anforderung des Gerichtsvollziehers auf.

Gerichtskosten würden von den Gerichtskassen nach dem Justizbeitreibungsgesetz vollstreckt, § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 2 Abs. 1 JBeitrG (bestimmt die Landesregierung keine andere Stelle). Zur Pfändung und Verwertung müsse die Vollstreckungsbehörde gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 JBeitrG, § 802a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO einen schriftlichen Vollstreckungsauftrag an den Vollziehungsbeamten richten. Zwingend hebe dies nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 753 Abs. 5, § 130d Satz 1 ZPO in Form eines elektronischen Dokuments zu erfolgen, welches mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen oder von der verantwortenden Person zu signieren sei und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden müsse.

Diese Form der Übermittlung genüge in Ermangelung weiterer Formerfordernisse und es bedürfe nicht der zusätzlichen Einreichung des Vollstreckungsauftrags in Papierform mit Unterschrift und Dienstsiegel. 

Der BGH habe für einen auf Abnahme der Vermögensauskunft nach § 7 S. 1 Hs. 1 JBeitrG gerichteten Vollstreckungsauftrag diese Vorgehensweise als ausreichend angesehen. Damit habe der Gesetzgeber die formellen Anforderungen abschließend festgelegt (BGH, Beschluss vom 06.04.2023 - I ZB 84/22 -).

Dass vorliegend keine Vermögensauskunft sondern ein Sachpfändungsauftrag erteilt worden sei, rechtfertige keine anderweitige Bewertung. Der Gerichtsvollzieher sei gemäß § 196 S. 1 GVGA zuständig, als Vollziehungsbeamter nach § 6 Abs. 3 S. 2 JBeitrG nach dem JBeitrG für diese nach dem JBeitrG beizutreibenden Ansprüche mitzuwirken.

In Ermangelung abweichender verfahrensrechtlicher Bestimmungen unterläge der Sachpfändungsauftrag keinen strengeren formellen Anforderungen als ein Vollstreckungsauftrag nach § 7 S. 2 Hs. 1 JBeitrG. Um die Pflicht zur elektronischen Erteilung des Vollstreckungsauftrages nach § 6 Abs, 1 Nr, 1 JBeitrG, §§ 753 Abs. 5, 130d ZPO praktisch wirksam werden zu lassen und dem gesetzgeberischen Ziel zu entsprechen, den elektronischen Rechtsverkehr auch auf das Justizbeitreibungsverfahren zu erstrecken und dort eine Verwaltungsvereinfachung zu erzielen, sei eine zusätzliche Einreichung des Vollstreckungsauftrags in Papierform mit Unterschrift und Dienstsiegel nicht erforderlich.

BGH, Beschluss vom 17.01.2024 - VII ZB 2/13 -

Samstag, 6. April 2024

Befangenheit des Richters bei Nichterlass eines Versäumnisurteils im Vorverfahren

Die Klägerin machte vor dem LG München I Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Bauvertrag geltend. In der Klageschrift vom 30.03.2023 beantragte sie den Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren bei Säumnis der Beklagten. Mit Verfügung vom 29.04.2023 ordnete die abgelehnte Richterin dir Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens an, in der zur Verteidigungsanzeige eine Frist von zwei Wochen (Notfrist) gesetzt war. Die Beklagten zu 1. und 2. Zeigten ihre Verteidigungsabsicht mit Schriftsatz vom 22.05.2023 an; die Beklagte zu 3. reagierte innerhalb der Notfrist nicht. Mit Verfügung vom 25.06.2023 bestimmte die abgelehnte Richterin Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 30.08.2023 und führte u.a. in der Verfügung aus: „Die Beklagte zu 3) hat ihre Verteidigung bislang nicht angezeigt. Auf § 331 ZPO wird vorsorglich hingewiesen.“. Diese Verfügung wurde der Beklagten zu 3. Am 03.07.2023 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 02.07.2023 zeigte auch die Beklagte zu 3. Ihre Verteidigungsbereitschaft an. Die Klägerin lehnte die Richterin mit Schriftsatz vom 10.07.2023 wegen Befangenheit ab, da die Richterin ohne erkennbaren Grund die für die Klägerin günstige prozessuale Situation, die den Erlass eines Versäumnisurteils gegen die Beklagte zu 3. gerechtfertigt hätte, durch ihre Verfügung vom 25.06.2023 vernichtet habe. In ihrer dienstlichen Stellungnahme gab die abgelehnte Richterin u.a. an, sie habe aus prozessökonomischen Pflichten und richterlicher Fürsorgepflicht gehandelt. Das LG München I wies den Befangenheitsantrag zurück. Gegen diesen Beschluss legte die Klägerin sofortige Beschwerde ein. Nachdem dieser durch das LG München I nicht abgeholfen wurde, war das OLG zur Entscheidung berufen, welches dem Befangenheitsantrag stattgab. 

Eine Besorgnis der Befangenheit des Richters läge vor, wenn Umstände vorlägen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen ließen. Ein Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Richters könne sich nur aus objektiven Gründen ergeben, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken könnten, der Richter stehe der Sache nicht mehr unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Entscheidend sei, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorlägen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlasse geben würden, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. 

Grobe Verfahrensverstöße könnte die Besorgnis rechtfertigen, wenn das prozessuale Vorgehen des Richters einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage entbehre und sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren unterscheide, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdränge. 

Die formellen Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils hätten vorgelegen, nachdem die Klägerin bereits in der Klage den Erlass eines Versäumnisurteils für den Fall der Säumnis beantragt hatte und die Beklagte zu 3. nicht gem. § 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPOI ihre Verteidigungsabsicht rechtzeitig angezeigt habe., § 331 Abs. 3 ZPO. Vorausgesetzt, die Klage gegen die Beklagte zu 3. wäre schlüssig gewesen, wäre die abgelehnte Richterin zum Erlass eines Versäumnisurteils verpflichtet gewesen. § 331 Abs. 3 ZPO eröffne den Richter kein Ermessen, weshalb von der abgelehnten Richterin benannte prozessökonomische Gründen nicht durchgreifen würden. 

Die abgelehnte Richterin hatte in ihrer Stellungnahme auch darauf verwiesen, dass für den Erlass eines Versäumnisurteils eine vollumfänglich schlüssige Klage erforderlich sei. Dies, so das OLG, sei zutreffend. Allerdings habe die abgelehnte Richterin gegenüber der Klägerin keine Bedenken hinsichtlich der Schlüssigkeit der Klage mitgeteilt. Deshalb habe es sich aus der Sicht der Klägerin bei vernünftiger Betrachtungsweise als willkürlich dargestellt, dass das beantragte Versäumnisurteil nicht nur nicht erlassen wurde, sondern der Beklagten zu 3. Durch den erneuten Hinweis noch einmal Gelegenheit gegeben wurde, ihre Verteidigungsabsicht trotz der abgelaufenen Notfrist noch zu erklären und so der Klägerin der Möglichkeit beraubte, einen Vollstreckungstitel zu erlangen. Auch bei einer vernünftigen und besonnenen Partei könnte deshalb berechtigterweise der Eindruck einer unsachlichen Einstellung ihr gegenüber bzw. einer Bevorzugung der Beklagten zu 3. entstehen. 

Eine von der abgelehnten Richterin geltend gemachte Fürsorgepflicht, die sie zum Hinweis auf das Fehlen der Verteidigungsanzeige und die Folgen des § 331 ZPO veranlasst haben will, gäbe es nicht. Ob sich letztlich der Hinweis in der Verfügung vom 25.06.2023 ausgewirkt habe, käme es für das Notwendige Entstehen der Besorgnis der Befangenheit nicht an. 

Ergänzend setzte sich das OLG mit Ausführungen der abgelehnten Richterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme auseinander, in der sie auch Ausführungen zur Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs, welches sie als unzulässig ansah, gemacht hatte. Diese Ausführungen seien für sich nicht geeignet, eine Befangenheit der Richterin anzunehmen. Allerdings sei dies auch in die Gesamtbetrachtung einzustellen und vorliegend geeignet, bei der Klägerin den durch die Verfügung vom 25.06.2023 erweckten Eindruck zu verstärken, dass die abgelehnte Richterin ihr gegenüber eine ablehnende Haltung entwickelt habe. 

OLG München, Beschluss vom 24.11.2023 - 28 W 1292/23 Bau -

Mittwoch, 3. April 2024

Einvernehmlich abgeänderte vollstreckbare Umgangsregelung und Vollstreckung

Das Kind der Verfahrensbeteiligten wohnte bei der Mutter (Antragstellerin). Die Eltern hatten eine Umgangsregelung des Vaters (Antragsgegner) unter Ausschluss von Übernachtungen  bis zum Nachweis eines negativen Drogentests getroffen, die gerichtlich unter Hinweis durch das Gericht auf Folgen bei einer Zuwiderhandlung gebilligt wurde. Das entsprechende Protokoll wurden beiden Elternteilen zugestellt.  

Die Antragstellerin (AS) beantragte die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen den Antragsgegner (AG), da der AG an drei Wochenenden hintereinander das Kind nicht zur Übernachtung und in drei Fällen mit einer Abweichung von einer Stunde zurückgebracht habe. Das Amtsgericht (Familiengericht) setzte gegen den AG ein Ordnungsgeld von € 500,00 fest, der dagegen sofortige Beschwerde einlegte. Die Verspätungen seien der AS jeweils mitgeteilt worden und die Übernachtungen seien mit der AS abgestimmt gewesen. Das Familiengericht half der Beschwerde nicht ab; es sah das Ordnungsgeld als mäßig bei sechs Verstößen an. Die sofortige Beschwerde hatte vor dem OLG teilweise Erfolg.   

Bei Zuwiderhandlungen gegen einen Vollstreckungstitel zur Regelung des Umgangs könne das Gericht gem. § 87 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 FamFG von Amts wegen ein Ordnungsgeld (und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden könne, Ordnungshaft) oder auch gleich Ordnungshaft anordnen, wenn die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspreche. Die gerichtlich gebilligte Umgangsregelung sei  vollstreckbar, § 86 Abs. 1 Nr. 2 FamFG; der gebotene Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung von Ordnungsmitteln für den Fall der Zuwiderhandlung sei erteilt worden und die notwendige Zustellung (§ 87 Abs. 2 FamFG) lägen vor. Gegen die Umgangsregelung habe der AG durch die drei Verspätungen verstoßen. Gründe, aus denen sich ergeben würden, dass der AG die Verspätungen nicht zu vertreten habe, seien nicht vorgetragen worden (§ 89 Abs. 4 S. 1 FamFG). 

Der Darlegung des AG zu der Vereinbarung zu den drei Übernachtungen habe die AS nicht widersprochen. Deshalb käme diesbezüglich die Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht in Betracht, auch wenn ein Verstoß gegen die gerichtlich im Kindeswohl gebilligte Umgangsvereinbarung vorläge. Inhaber des Umgangsbestimmungsrechts seien die Eltern, weshalb sie auch Regelungen in gerichtlich gebilligten Vereinbarungen einvernehmlich abändern könnten mit der Folge, dass insoweit deren Vollstreckbarkeit entfalle (OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2020 - 13 WF 100/20 -). Zwar seien die Eltern nach § 156 Abs. 2 S. 2 FamFG nicht iSv. § 36 FamFG verfügungsbefugt (BGH, Beschluss vom 10.07.2019 - XII ZB 507/18 -), doch betreffe dies den verfahrensrechtlichen Bereich mit der Folge, dass es den Eltern nicht möglich sei, auch ohne gerichtliche Billigung eine vollstreckbare Regelung mit den Wirkungen des § 1696 BGB zu vereinbaren. Materiellrechtlich jedoch seien sie - soweit nicht Dritte betroffen seien - verfügungsbefugt, soweit ihnen nicht das Umgangsrecht entzogen wurde. 

Durch die gerichtliche Regelung sei den Eltern das Umgangsrecht nicht (auch nicht konkludent) entzogen worden. Es sei nicht gewollt und auch nicht praktikabel, einmal getroffene gerichtliche Umgangsregelungen bis zur Volljährigkeit des Kindes ständig nach § 1696 Abs. 1 BGB abzuändern. 

Zur Höhe des vom OLG nunmehr festgesetzten Ordnungsgeldes von € 350,00 betreffend der Verspätung würde es sich nach den Ausführungen der AS, denen der AG nicht widersprach, um ein generelles Problem handeln. Deshalb erscheine ein Betrag von € 350,00 (ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft) erforderlich aber auch ausreichend, um den AG zu einer verlässlichen Einhaltung der Umgangsregelung anzuhalten.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.02.2024 - 5 WF 166/23 -