Montag, 21. August 2017

Schadensersatz statt Nachbesserung der Kaufsache bei Nichtzahlung eines Transportkostenvorschusses

Die in Schleswig-Holstein wohnhafte Klägerin kaufte am 14.05.2015 von der in Berlin geschäftsansässigen Beklagten über deren Internetportal zum Preis von € 2.700,00 einen gebrauchten PKW. Am 10. Und neuerlich am 12.05.2015 wandte sich die Klägerin an die Beklagte wegen eines von ihr behaupteten Motordefekts, um die Vorgehensweise zur Schadensbehebung im Rahmen der Gewährleistung zu klären. Nachdem die Beklagte nicht reagierte, forderte die Klägerin am 19.05.2015 unter Fristsetzung zum 30,05.2015 die Beklagte zur Nachbesserung auf. Daraufhin bot die Beklagte der Klägerin die Mängelbeseitigung an ihrem Sitz in Berlin an. Hierfür forderte die Klägerin unter Aufrechterhaltung der von ihr gesetzten Frist mit Schreiben vom 21.05.2015 einen Transportkostenvorschuss von € 280,00 zwecks Transports des nach ihrer Behauptung nicht fahrbereiten PKW bzw. dessen Abholung durch die Beklagte auf deren Kosten. Da sich die Beklagte neuerlich nicht meldete, setzte die Klägerin der Beklagten unter dem 02.06.2015 eine Nachfrist zur Mängelbeseitigung zum 10.06.2015. Da sich die Beklagte neuerlich nicht meldete, machte die Klägerin am 17.06.2015 Schadensersatzansprüche für eine von ihr selbst zu veranlassende Reparatur dem Grunde nach geltend. Nach einer Reparatur durch die Klägerin bei einem Unternehmen in Kassel forderte sie von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von € 2.332,32 nebst Zinsen; der betrag setzte sich aus den Reparaturkosten sowie Verbringungskosten nach Kassel (Transport- und Reisekosten) zusammen.

Die Klage wurde in den Vorinstanzen abgewiesen. Auf die zugelassene Revision wurde das Urteil aufgehoben und zur neuen Entscheidung zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht hat es dahinstehen lassen, ob ein Mangel vorlag. Die Klägerin habe kein wirksames Nacherfüllungsverlangen gestellt. Die Nacherfüllung habe am Geschäftsort der Beklagten in Berlin stattzufinden, § 269 BGB, weshalb sie keinen Anspruch auf Übernahme der Transportkosten durch die Beklagte, wie von ihr geltend gemacht, habe. Auch aus Art. 3 Abs. 2, 3 der Richtlinie 1999/44/EG lasse sich ein Nacherfüllungsort am Wohnsitz der Klägerin nicht herleiten.

Dem folgt der BGH nicht. Richtig sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass  - bei unterstellten Mangel -  der Schadensersatzanspruch nur unter den Voraussetzungen der §§ 281, 440 BGB zustehe. Dies erfordere entweder eine angemessene Frist für die Nacherfüllung oder ausnahmsweise eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung.

Anders als vom Berufungsgericht angenommen, sei allerdings für die Wirksamkeit der Nachfristsetzung eine vorbehaltlose Bereitschaft zur Übernahme der Transportkosten des Fahrzeuges nicht erforderlich gewesen. Es wäre hier ausreichend gewesen, dass die Klägerin zeitnah (wenn auch erfolglos) einen ersichtlich nicht unangemessenen Transportkostenvorschuss anfordert und alternativ die Abholung auf eigene Kosten der Beklagten durch diese anbiete. Der Rechtsansicht, die Richtlinie 1999/44/EG verlagere bei Verbrauchsgütern den Erfüllungsort an den Ort des Käufers, sei nicht zu folgen. Der nationale Gesetzgeber in Deutschland habe die Richtlinie dergestalt umgesetzt, dass er dem Käufer im Falle der Unzumutbarkeit gem. § 430 S. 1 3. Alt. BGB sogleich Sekundärrechte (Rücktritt, Minderung und Schadensersatz) an die Hand gegeben habe, um sich nicht auf eine unerwünschte Form der Nacherfüllung einlassen zu müssen, die für ihr, da mit Unannehmlichkeiten verbunden, unzumutbar sei. Die Unentgeltlichkeit der Nachbesserung sei urch § 439 Ans. 2 BGB sichergestellt, die zum Schutzzweck des Verbrauchers einen Vorschussanspruch einschließe. Dies entspräche auch der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 16.06.2011 C-65/09 – und Urteil vom 17.04.2008 –C404/06 -).

Ein taugliches Nacherfüllungsverlangen umfasse die Bereitschaft des Käufers, dem Verkäufer die Sache zur Überprüfung der erhobenen Mängelrüge zur Verfügung zu stellen. Dadurch solle dem Verkäufer die Möglichkeit gegeben werden, festzustellen, ob ein Mangel bestünde, bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestanden habe, auf welcher Ursache er beruht und auf welcher Weise er beseitigt werden könne. Vor der Ermöglichung der entsprechenden Prüfung müsse sich der Verkäufer nicht auf ein Nacherfüllungsverlangen einlassen.

Dagegen habe aber die Klägerin nicht verstoßen. Sie sei, ohne Nachteile für ihr Nachbesserungsverlangen befürchten zu müssen, nicht gehalten gewesen, das Fahrzeug der Beklagten an deren Geschäftssitz ohne vorherige Zahlung des (abrechenbaren) Transportkostenvorschusses zur Verfügung zu stellen.

Nicht entschieden werden müsse vorliegend, ob sich bei einem fahrtüchtigen PKW dies anders dargestellt hätte, auch nicht, ob sich dies dann anders dargestellt hätte, wenn Aufwand und Risiko sich in einem Rahmen gehalten hätten, die einem Käufer üblicherweise nicht von einer sofortigen Vorstellung seines Fahrzeugs zwecks Geltendmachung von Nacherfüllungsrechten abgehalten hätten (BGH, Urteil vom 13.04.2011 – VIII ZR 220/10 -).

Nach der Zurückverweisung müsse nun das Berufungsgericht das Vorliegen des Mangels und die Höhe des Schadens prüfen.


BGH, Urteil vom 19.07.2017 - VIII ZR 278/16 -

Dienstag, 15. August 2017

Folge eines als „Haustürgeschäft“ abgeschlossenen und widerrufenen Modernisierungsvertrages bei Wohnraum

Die Beklagte sind Vermieter mehrerer Häuser mit Mietwohnungen. Sie  kündigten mit Schreiben vom Juni 2009 Modernisierungsmaßnahmen durch Umstellung auf eine zentrale Heizungs- und Warmwasserversorgung mit einer zu erwartenden Mieterhöhung von € 67,60 an. Im Dezember 2006 erschien der Beklagte zu 1. bei dem Kläger in der Wohnung und die Parteien schlossen eine Vereinbarung mit nachfolgendem Inhalt: „Es wird eine Modernisierungsvereinbarung getroffen. Die Miete erhöht sich um € 60.- pro Monat nachdem alle Heizkörper und die Warmwasserinstallation eingebaut sind. Die Arbeiten werden auf Wunsch des Mieters zwischen April und Juli abgeschlossen."

Nach Beendigung der Arbeiten im Mai 2010 zahlte der Kläger von Juni 2010 bis Oktober 2012 den um € 60,00/Monat erhöhten Mietzins. Dann widerrief er sein Einverständnis mit der Mieterhöhung und forderte den gezahlten Betrag zurück.

Die Klage war in allen Instanzen erfolgreich; die vom Landgericht zugelassene Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Da der Kläger Verbraucher nach § 13 BGB sei, die Beklagten bei der Vermietung in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit (§ 14 Abs. 1 BGB) und damit als Unternehmer gehandelt fristgerecht von seinem Widerrufsrecht dieses in einer Haustürsituation geschlossenen Vertrages  (der Kläger hatte den Beklagten zu 1. nicht zu sich bestellt) zu mit der Folge, dass die gezahlten Beträge nach § 346 Abs. 1 BGB zurückzuzahlen sind.

Den Beklagten als Vermieter stünde demgegenüber aus der modernisierungsbedingten Steigerung des Wohnwertes hergeleiteter Wertersatzanspruch nicht zu. Zwar sehe § 346 Abs. 1 BGB vor, dass die wechselseitig empfangenen Leistungen zurückzugewähren seien, zu denen nach § 100 BGB auch Gebrauchsvorteile gehören würden. Ist dies aber, wie hier, nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen, habe der Schuldner statt dessen Wertersatz zu leisten, § 346 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 BGB, bei dessen Berechnung eine im Vertrag benannte Gegenleistung zugrunde zu legen sei. Dies bedinge aber nicht, dass der Schuldner nun die im Vertrag benannten € 60,00 schulde. Um den effektiven Rechtsschutz bei Widerruf von Haustürgeschäften zu gewährleisten, seien die entsprechend anzuwenden Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt einschränkend auszulegen. Auch wenn mithin § 346 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 BGB für den zu leistenden Wertersatz auf die im Vertrag benannte Gegenleistung verweise, dass die § 346 BGB zugrundeliegende Konzeption des Gesetzgebers auf  freie Aushandeln derselben abstelle, die aber in Ansehung des Überraschungsmoments bei Haustürgeschäften nicht angenommen werden könne. Damit stelle sich bei einem hier vorliegenden Haustürgeschäft die Lage anders dar, als etwa bei einem Fernabsatzgeschäft.

Mithin sei vorliegend für einen Wertersatz auf die mietrechtlichen Besonderheiten bei einem Mieterhöhungsanspruch wegen Modernisierung abzustellen, von denen nicht zum Nachteil des Mieters abgewichen werden dürfe, § 559b Abs. 4 BGB. Die Beklagten hätten zwar (ihren Vortrag als richtig unterstellt) eine Erhöhung der Miete um den geforderten Betrag von € 60,00/Monat nach Abschluss der Modernisierungsarbeiten begehren können (und könnten diesen auch weiterhin geltend machen), doch hätten sie davon bisher keinen Gebrauch gemacht. Mangels Ausübung dieses Gestaltungsrechts, die Mieterhöhung dem Mieter in Textform zu erklären, die Erhöhung aufgrund der entstandenen Kosten zu berechnen und nach § 559 BGB zu erläutern, fehle es im hier fraglichen Zeitraum an einer wirksamen Mieterhöhung und könne eine entstandene Wohnwerterhöhung nicht über § 346 Abs. 2 BGB begehrt werden.

§§ 812, 818 BGB würden für einen Anspruch ausscheiden, da § 559ff BGB eine abschließende Regelung enthalten würden.


BGH, Urteil vom 17.05.2017 - VIII ZR 29/16 -

Samstag, 12. August 2017

Fitnessstudio: Ärztliches Attest zum Nachweis einer Erkrankung nicht ausreichend

In vielen AGB von Fitnessstudios war früher die Klausel enthalten, dass bei Vorlage eines (aussagekräftigen) Attestes eine fristlose Kündigung wegen Krankheit möglich sei. Dagegen hatte sich ein Nutzer erfolgreich mit dem Argument gewehrt, dies würde seine Privatsphäre tangieren. Der BGH gab ihm Recht. Er sah die Klausel als unzulässig an, verwies aber darauf, dass der Nutzer spätestens im Prozess seine Erkrankung darlegen und im Bestreitensfall nachweisen müsse (Urteil vom 08.02.2012 - XII ZR 42/10 -).

Im vorliegenden Fall kündigte die Nutzerin (die Beklagte) ebenfalls wegen einer von ihm behaupteten, die Nutzung der Einrichtung des Fitnessstudios ausschließenden Erkrankung und legte die Kopie eines Attestes vor. Das Fitnessstudio erhob gleichwohl Zahlungsklage, der das Amtsgericht (mit Ausnahmen von Nebenforderungen) stattgab. Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Sie vertrat die Ansicht, dass das (in Kopie vorgelegte) Attest mit der Diagnose „rez. Lumbalgie“ ausreichend sei, den Nachweis der Unzumutbarkeit am Festhalten am Vertrag zu belegen. Weitergehende Auskünfte könne die Klägerin nicht fordern und im Übrigen stelle sich das Attest auch nicht als ergänzender Parteivortrag dar, sondern als Beweismittel.

Dem folgte das Landgericht nicht. Es erhob durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Beweis und wies danach die Berufung als unbegründet zurück.  Die Beklagte habe den Beweis einer von ihr behaupteten, die Nutzung des Studios ausschließenden Erkrankung nicht erbracht.

Das Attest sei schon deshalb nicht als Beweismittel in Betracht gekommen, da es nur als Kopie und nicht als Original (Urkunde, § 420 ZPO) vorgelegt worden wäre und die Klägerin die Echtheit bestritten habe. Unabhängig davon könne mit Attesten als Privaturkunde iSv. § 416 ZPO auch lediglich die tatsächliche Abgabe der im Attest beurkundeten Erklärungen des behandelnden Arztes, nicht aber das Bestehen der beurkundeten Beschwerden bewiesen werden. Für das Bestehen könne allenfalls eine Vernutung bestehen. Auch aus der Entscheidung des BGH vom 08.02.2012 (s.o.) ließe sich entgegen der Annahme der Beklagten nicht herleiten, dass ein Attest zum Beweis genügen würde. Im Gegenteil ließe sich dieser Entscheidung entnehmen, dass bei Zweifeln über die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung dies in einem gerichtlichen Verfahren zu klären wäre, was aber gerade bedeuten würde, dass die allgemeinen Beweisgrundsätze gelten und die Vorlage eines Attestes nicht als ausreichend angesehen werden könne.

Vorliegend habe zwar das von der Kammer eingeholte Gutachten eine Erkrankung an rez. Lumbalgien bei der Klägerin bestätigt, nicht jedoch, dass die Beklagte nicht mehr die Geräte im Fitnessstudio nutzen könne. Rezidivierende Lumbalgien würden zwar wohl vorliegen können, aber ohne klinischen Befund, da die Beklagte, ihren Angaben gegenüber dem medizinischen Sachverständigen zufolge, wieder ein Fitness-Training absolviere. Bei Phasen einer akuten Schmerzhaftigkeit wäre zwar eine Trainingsunterbrechung möglich, doch könne das Training ggf. mit gewissen Modifikationen durchgeführt werden. Nach den Angaben des Sachverständigen, denen sich die Kammer anschloss, ist damit ein Gerätetraining für die Beklagte möglich. Alleine mögliche Phasen der Einschränkung der Trainingsmöglichkeit würden keinen Gründen für eine Kündigung wegen Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag nach § 314 Abs. 1 BGB begründen.


LG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.07.2017 - 2-01 S 283/15 -

Freitag, 11. August 2017

Verkehrssicherungspflicht: Zur Haftung des Aufstellers bei Sturz über ein mobiles Halteverbotsschild

Die HSB GmbH, die Sanierungsarbeiten in einem Haus durchführte, beantragte bei der Stadt die Genehmigung zur Aufstellung eines Halteverbotsschildes vor dem Anwesen, die auch bis zum 14.11.2014 erteilt wurde mit den Auflagen, die Beschilderung „jeweils nach Beendigung der Arbeiten unverzüglich zu entfernen“ und die Beschilderungsarbeiten von der beklagten durchführen zu lassen. Bis zum 26.11.2014 wurden die Schilder nicht entfernt und der Kläger stürzte gegen 22.00 Uhr über den Plastiksockel des einen Schildes, wobei er sich vier Rippen brach. Der Kläger begehrte Schmerzensgeld, welches ihm vom Landgericht unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens zu 50% zugesprochen wurde. Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung wurde vom OLG zurückgewiesen.

Zunächst musste sich das OLG mit dem Einwand der fehlenden Passivlegitimation der beklagten auseinandersetzen, die geltend machte, es käme hier allenfalls ein Anspruch nach § 839 BGB iVm. Art. 34 GG in Betracht, da es sich bei dem Aufstellen der Schilder um eine hoheitliche Maßnahme gehandelt habe. Dies verneint das OLG. Die Straßenverkehrsbehörde würde in den Fällen, in denen die Beschilderung für den Fall eines Umzugs oder einer privaten Baumaßnahme beantragt würde, regelmäßig die Aufstellung nicht als zwingend anordnen, sondern nur nach der weiteren Entscheidungsfreiheit des Antragsstellers diesem genehmigen. Damit würde es sich nicht um eine behördliche Anordnung handeln, die dem hoheitlichen Handeln (und damit dem Bereich des § 939 BGB) zuzuordnen wäre. Sie diente vorliegend nach Auffassung des OLG der erleichterten  Park- und Haltemöglichkeit der an der Sanierungsmaßnahme beteiligten Handwerker. Damit wäre die Beklagte nicht als Beamter in haftungsrechtlicher Hinsicht (§ 839 BGB) anzusehen.

Die Beklagte habe die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Sie hätte die mobilen Verkehrsschilder unverzüglich nach Ablauf der Genehmigungsdauer entfernen müssen. Von diesen mobilen Verkehrsschildern würde ein erhöhtes Gefahrenpotential ausgehen. Sie seien gegen Wind anfällig und würden Vandalismus herausfordern. Ihr Sockel könne sich  - wie hier -  als Stolperfalle erweisen. Diese erhöhten Gefahren seien nur hinzunehmen, solange die Aufstellung des Schildes verkehrsbedingt erforderlich und genehmigt sei. Nach Ablauf dieser Zeit sei es ein zu beseitigendes Hindernis. Auch wenn die Auflage der Entfernung vorrangig dem Zweck diene, ein Anwohnerparken zu ermöglichen, habe sie auch den Zweck, die von der Beschilderung ausgehenden Gefahren zu beseitigen. Daher münde die Genehmigungsdauer in eine zu beachtende Verkehrssicherungspflicht, gegen die die Beklagte wegen Unterlassens der ihr obliegenden Entfernung schuldhaft verstoßen habe. Selbst bei großzügiger Interpretation der Unverzüglichkeit sei diese hier nach mehr als zehn Tagen nicht mehr gegeben.


OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.02.2017 - 7 U 97/16 -

Dienstag, 8. August 2017

Zum substantiierten Bestreiten der Wohnfläche

Die Klägerin hatte gegenüber dem Beklagten (Mieter) die die Miete nach § 558 BGB erhöht und als Wohnfläche die auch im Mietvertrag benannte Fläche von 92,54m² angesetzt. Der Beklagte bestritt die Richtigkeit der von der Klägerin zugrunde gelegten Fläche, ohne selbst Angaben zur Fläche zu machen. Er führte lediglich aus, dass er die Flächenangabe im Mietvertrag als auch die Angabe im Wohnungsinserat mit ca. 90m² bezweifle. Auf die Aufforderung des Amtsgerichts, nach dem einfachen Bestreiten des Beklagten die behauptete Fläche unter Beweis zu stellen, blieb die Klägerin untätig. Die Klage wurde ebenso wie die Berufung zurückgewiesen, da die Klägerin die behauptete Fläche trotz Bestreitens des Beklagten nicht unter Beweis gestellt und bewiesen habe.

Die (zugelassene) Revision führte zur Aufhebung der landgerichtlichen Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

Grundsätzlich trage der Vermieter, der eine Mieterhöhung geltend mache, die Darlegungs- und Beweislast für die von ihm behauptete Wohnfläche und für die Berechnung des Mietzinses in Ansatz zu bringende Wohnfläche. Wird  - wie hier -  eine bestimmte Fläche vorgetragen, so sei es nunmehr aber Sache des Mieters darauf zunächst substantiiert zu reagieren. Dazu zähle nicht ein „Bezweifeln“ bestimmter Angaben, sondern der Vortrag einer bestimmten Größe.

Ein substantiierter Gegenvortrag dürfe aber nur da zu erwarten sein, wo dies der Partei auch möglich und zumutbar sei. Dies sei anzunehmen, wenn es sich um Umstände im eigenen Wahrnehmungsbereich handele. Unabhängig davon, ob die Größe der Wohnung im Mietvertrag angegeben sei, könne der Mieter sie überschlägig selbst vermessen und das Ergebnis dem Gericht mitteilen. Dies sei auch einem Mieter (wie hier) einer Wohnung mit Dachschrägen möglich. Die Berechnung der Wohnfläche nach der Wohnflächenverordnung sei bei einer Wohnung mit Dachschrägen und Ecken  eventuell kompliziert; allerdings genüge für das Bestreiten eine laienhafte Vermessung ohne Berücksichtigung der Besonderheiten.

Soweit der Beklagte auf seinen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens abstellte, verwies der BGH darauf, dass dies kein Sachvortrag sei sondern nur ein Beweisangebot, zudem der hier nicht beweisbelasteten Partei.


BGH, Urteil vom 31.05.2017 - VIII ZR 181/16 -

Sonntag, 6. August 2017

Mieterhöhung unter Erhöhung des im (einfachen) Mietspiegel ausgewiesenen Betrages (Stichtagszuschlag)

Der Kläger begehrte vom Beklagten die Zustimmung zur Mieterhöhung, Dabei legte er den Mietspiegel  von Reutlingen Stand Mai 2013 zugrunde und nahm einen Stichtagszuschlag in seinem Schreiben vom 29.11.2013 mit dem Verlangen auf Zustimmung zum 01.02.2014 vor. Dem folgte das Landgericht teilweise. Die zugelassene Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen. 

Der BGH verweist darauf, dass der Vermieter eine Erhöhung des Mietzinses  bis zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete gem., § 559 Abs. 1 S. 1 BGB begehren kann, wenn (wie hier) die Miete seit mindestens 15 Monaten unverändert war. Diese ortsübliche Vergleichsmiete würde nach § 558 Abs. 2 S. 1 BGB aus den üblichen Entgelten gebildet, die in der Gemeinde für Wohnungen gleicher Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage in den letzten vier Jahren vereinbart oder (mit Ausnahme nach § 560 BGB) verändert worden seien. In zeitlicher Hinsicht sei auf den Zugang des Erhöhungsbegehrens bei dem Mieter abzustellen, der den Zeitpunkt der Feststellung der Vergleichsmiete bestimme. Zwischen der Feststellung des Reutlinger Mietspiegels und dem Zugang der Mieterhöhung hätten sieben Monate gelegen.

Bei der vom Tatrichter vorzunehmenden Prüfung der Berechtigung der Mieterhöhung nach § 558 BGB dürfe dieser zwar die ortsübliche Vergleichsmiete nur aus Erkenntnisquellen entnehmen, welche diese Miete in Miete in hinreichender Weise ermittelt hätten. Dabei sei er aber im Rahmen seiner freien Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO nicht auf das im Erhöhungsverlangen benannte Begründungsmittel iSv. § 558a Abs. 2 BGB beschränkt: Dabei dürfe er ordnungsgemäße Mietspiegel (§§ 558c, 558d BGB) mit berücksichtigen, wobei einem nach anerkannten wissenschaftlichen Kriterien erstellter und von Vermietern und Mietern anerkannter Mietspiegel (§ 558d Abs. 1 BGB, sogen. qualifizierter Mietspiegel) sogar die in § 558d Abs. 3 BGB benannte Vermutungswirkung entfalte. Im Falle eines einfachen Mietspiegel nach § 558c Abs. 1BGB (wie hier) stelle sich für die richterliche Überzeugungsbildung die Frage, on diesem eine mögliche Indizwirkung hinsichtlich der Wiedergabe der tatsächlich gezahlten Entgelte zukommt. Weitergehende Bindungen würden hinsichtlich Methodik und Ergebnisse eines Mietspiegels oder sonstiger Erkenntnisquellen würden nicht bestehen. Auch Aktualisierungsrhythmen von zwei Jahren der Mietspiegel (§§ 558c Abs. 1, 559d Abs. 2 BGB) würden den Tatrichter selbst bei Berücksichtigung des Mietspiegels nicht hindern, innerhalb des Zweijahreszeitraumes Aktualisierungen zu berücksichtigen. Es müsse der Tatrichter im Einzelfall beurteilen, ob es bei Harnziehung eines Mietspiegels zur Feststellung der Einzelvergleichsmiete sachgerecht sei, auf den sich daraus ergebenden Wert einen Stichtagszuschlag vorzunehmen.

Zwar komme auch einem einfachen Mietspiegel Indizwirkung zu. Es hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, wie weit die Indizwirkung geht, die eine Heranziehung weiterer Beweismittel entbehrlich mache. Die Indizwirkung kann sich auch auf den Zweijahreszeitraum erstrecken, wenn es keine Anhaltspunke für eine ungewöhnliche Mietpreissteigerung gäbe. Allerdings komme auch einem in der Folgezeit neuen Mietspiegel Indizwirkung für den vergangenen Zeitraum zu. Es ließe sich, gibt es dagegen keine konkreten Einwände, daraus ein Rückschluss auf die Mietpreissteigerung (Umfang und Geschwindigkeit)  der vergangenen zwei Jahre vornehmen.

Indem hier das Landgericht den neuen (einfachen) Mietspiegel Reutlingen 2015 berücksichtigte und eine lineare Interpolation zwischen dem Wert 2013 und 2015 vorgenommen habe, hätte es bei seinem Schätzungsermessen nach § 287 Abs. 2 ZPO keinen Denkfehler gemacht.


BGH, Urteil vom 15.03.2017 - VIII ZR 295/15 -

Samstag, 5. August 2017

WEG: Die Kostentragung des (gerichtlich bestellten) Ersatzzustellungsvertreters (§ 45 WEG)

Der Kläger erhob gegen die weiteren Wohnungseigentümer (Bejkagte zu 1.) einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG),, und deren Verwalter (Beklagter zu 2.) Klage, mit der er Beschlüsse der WEG anfocht und mit einem weiteren Klageantrag vom Verwalter Auskünfte begehrte. Da die Wohnungseigentümer keinen Ersatzzustellungsvertreter (an den nach § 45 Abs. 2 WEG dann Zustellungen erfolgen, wenn der Verwalter, wie hier, von einer Zustellung für die WEG wegen eigener Betroffenheit ausgeschlossen  ist) bestellt hatten, bestellte das zuständige Amtsgericht eine Rechtsanwältin als Ersatzzustellungsvertreterin (§ 45 Abs. 3 WEG). Das Verfahren endete durch beidseitige Erledigungserklärung; die Kosten wurden dem Kläger zu 80%, den Beklagten zu je 10% auferlegt. Im Rahmen der Kostenfestsetzung berücksichtigte das Amtsgericht die mit € 1.387,40 geltend gemachten Kosten der Ersatzzustellungsvertreterin mit € 1.109,92 zu Lasten des Klägers. Die Kosten entstanden im Wesentlichen durch die Kopien der Klageschrift und Portokosten durch Versand an die übrigen Wohnungseigentümer.

Das Landgericht hatte die Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kosten an die übrigen Wohnungseigentümern und nicht der Ersatzzustellungsbevollmächtigten zu zahlen wären. Es handele sich um zusätzliche Kosten der weiteren Wohnungseigentümer.

Die vom Kläger eingelegte Rechtsbeschwerde zum BGH hatte Erfolg.

Dass der Ersatzzustellungsbevollmächtigte zumindest seine Auslagen erstattet verlangen kann, sieht der BGH als einhellige Ansicht an, der er zustimmt. Uneinigkeit herrsche lediglich darüber, ob es sich bei  den Kosten des Ersatzzustellungsvertreter um nach § 91 ZPO erstattungsfähige Kosten handele.

Nach Auffassung des BGH würde es sich nicht um Kosten des Rechtsstreits iSv. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO handeln. Dies unabhängig davon, ob es sich um einen von den Wohnungseigentümer gemäß Beschluss nach § 35 Abs. 2 S. 1 WEG bestellten Vertreter handele, oder um einen (wie hier) gen. § 45 Abs. 3 WEG vom Gericht bestellten Vertreter handelt.  Der BGH verweist darauf, dass die Kosten der Unterrichtung der beklagten Wohnungseigentümer durch den Verwalter im Rahmen von Beschlussmängelverfahren gemeinhin als Kosten der internen Verwaltung gelten und nicht erstattungsfähig wären (so bereits BGZ 78, 166, 173; zuletzt BGH mit Beschluss vom 07.05.2014 - V ZB 102/13 -).  

Eine Ausnahme hatte der BGH (Beschluss vom 14.05.2009 – V ZB 172/09 -) für den Fall zugelassen, dass wegen des Streitgegenstandes (dort: Anfechtungsklage gegen einen Beschluss, mit dem der Antrag auf Abberufung des Verwalters zurückgewiesen wurde) die Gefahr bestünde, der Verwalter werde die Wohnungseigentümer nicht sachgerecht unterrichten. In diesem Fall des § 45 Abs. 1 Halbs. 2 WEG würde es sich nicht mehr um Kosten der internen Verwaltung handeln. Daraus würde in der  Literatur der Rückschluss gezogen, dass immer dann, wenn nicht an den Verwalter zugestellt werden könne, die Kosten der Zustellung über einen Ersatzzustellungsbevollmächtigten für eine Erstunterrichtung erstattungsfähig sein müssten.

Der BGH führt aus, dass er ausdrücklich nicht mehr an seiner in dem Beschluss vom 14.05.2009 vertretenen Rechtsauffassung festhalten würde. Die Kosten wären stets Kosten der internen Verwaltung und nicht nach § 91 ZPO erstattungsfähig, unabhängig davon, ob der Verwalter oder ein (per Beschluss berufener oder vom Gericht bestellter) Ersatzzustellungsvertreter die Aufgabe des Zustellungsvertreters wahrnehme.  

Ob nach § 45 Abs. 1 2. Halbs. WEG die Gefahr nicht sachgerechter Unterrichtung durch den Verwalter bestünde, müsse das Gericht aus einer Prognose ex ante beurteilen. Wird ungeachtet der Gefahr doch an den Verwalter zugestellt, sei diese unwirksam; kommt der Verwalter allerdings entgegen der Prognose seiner Pflicht nach, könne der Zustellungsmangel ggf. nach § 189 ZPO geheilt sein.

Nichts anderes gelte für den Ersatzzustellungsvertreter. Dieser trete gem. § 45 Abs. 2 S. 2 WEG in die dem Verwalter als Zustellungsvertreter obliegenden Aufgaben und Befugnisse ein. Schon daraus ergäbe sich, dass die entstehenden Kosten nicht anders behandelt werden könnten. Insbesondere sei der Ersatzzustellungsvertreter entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht nicht einem Prozesspfleger vergleichbar, da sich dessen Tätigkeit nicht auf die Zustellungsvertretung beschränke. Ebenso würde das Ergebnis nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich das Gericht statt zur Bestellung eines Ersatzzustellungsvertreters zur direkten Zustellung an die einzelnen Wohnungseigentümer entschließen könnte; der Gesetzgeber hat nicht vorgeschrieben, dass an den Verwalter zwingend zuzustellen ist. Der BGH verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es, von kleineren Gemeinschaften abgesehen, regelmäßig sachgerecht sein dürfte, an den Zustellungsvertreter zuzustellen, da dadurch die Kosten gering gehalten würden und der Zustellungsvertreter die Wohnungseigentümer in kostensparender Form (z.B. qua E-Mail) unterrichten könne (BGH, Beschluss vom 14.05.2009 - V ZB 172/08 -).

Schließlich seien die Kosten des Ersatzzustellungsvertreters nicht Kosten der beklagten Wohnungseigentümer sondern solche der Wohnungseigentümergemeinschaft. Nimmt der Ersatzzustellungsvertreter die Bestellung durch das Gericht an, käme es  - wie bei einem Beschluss der WEG – zu einem Vertrag zwischen ihm und der Gemeinschaft. Ob und in welcher Höhe Vergütung geschuldet wird, muss das Gericht bei der Bestellung oder nachträglich festlegen, wobei es sich an die übliche Vergütung nach §§ 675, 612 Abs. 2 BGB orientieren kann; auch hat es die Berechnung des Auslagenersatzes vorzugeben. In der Jahresabrechnung sind die Kosten des Ersatzzustellungsvertreters als Kosten der Verwaltung nach dem in § 16 Abs. 2 WEG vorgegebenen Maßstab  zu verteilen, also ohne Berücksichtigung der Kostenentscheidung des Gerichts. Es läge an den Wohnungseigentümern, die Kosten durch Bestellung eines Ersatzzustellungsvertreter gering zu halten, indem sie diesem die E-Mail-Adresslisten der Eigentümer überlässt; unterließen sie dies, hätten sie die dadurch entstehenden Kosten zu tragen.


BGH, Beschluss vom 11.05.2017 - V ZB 52/15 -