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Samstag, 18. November 2023

Rechtliches Gehör: Übergehen des Kerninhalts des eingeführten Privatgutachtens

Die Klägerin machte aus nach § 86 VVG die auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Brandschaden gegen die beklagte Herstellerin einer Geschirrspülmaschine geltend, die nach der Behauptung der Klägerin ursächlich für den Brand gewesen sein soll. Die Klage und die Berufung gegen das klageabweisende Urteil wurden zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Die Aufhebung und Zurückverwesung erfolgte, da sich das OLG als Berufungsgericht nach Auffassung des BGH mit dem wesentlichen Vortrag der Klägerin zum konkreten Brandherd hinter einem Bedientableau der Geschirrspülmaschine sowie zum Ausschluss anderweitiger Brandursachen nicht auseinandergesetzt und dadurch die Klägerin in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) verletzt habe. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichte Gerichte dazu, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Erwägungen einzubeziehen. Zwar müsse sich das Gericht nicht mit jedem von einer Partei vorgebrachten Gesichtspunkt auseinandersetzen (vgl. auch § 313 Abs. 2 ZPO), doch müsse es auf den Kern der Tatsachenvortrages einer Partei eingehen, der für das Verfahren von zentraler Bedeutung sei (BVerfG, Beschluss vom 25.09.2020 - 2 BvR 854/20 -), was sich aus den Entscheidungsgründen erkennen lassen müsse (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VI ZR 204/14 -).

Zwar habe das OLG im Tatbestand seines Urteils die Einwendungen der Klägerin umfassend aufgeführt, allerdings ließen die Entscheidungsgründe eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin nicht erkennen.

Soweit das OLG darauf hingewiesen habe, dass die elektrische Anlage nicht untersucht worden sei, fehle es an einer Auseinandersetzung mit dem auf dem Privatgutachten gestützten Vortrag der Klägerin, wonach die Ursächlichkeit der „elektrischen Anlage“ bzw. der „Elektroinstallation“ bereits aufgrund der zur Verfügung stehenden Bilder des Brandortes, der Auskunft des Netzbetreibers bzw. der im Einzelnen ausgeführten technischen Erwägungen ausgeschlossen werden könne.

Gestützt auf das Privatgutachten hatte die Klägerin im Einzelnen u.a. vorgetragen, dass sich das Feuer ausgehend von der hinter dem Bedienfeld befindlichen Platine nach oben entwickelt habe und dass im unmittelbaren Brandumfeld neben der Geschirrspülmaschine keine weitere Brandursache in Betracht käme. Das Brandbild, welches sich entwickelt habe, könne nur von der bis zum Bedientableau unter Spannung gestandenen Geschirrspülmaschine entwickelt worden sein und nur aufgrund eines technischen Defekts eines elektronischen Bauteils derselben entstanden sein, da andere Zündquellen nicht ersichtlich seien. Auch habe es nach (vorgelegter) Auskunft des Netzbetreibers keine Überspannung gegeben.

Die Erwägung des OLG, die Geschirrspülmaschine sei mittlerweile  entsorgt worden und könne nicht mehr begutachtet werden, weshalb sich die Brandursache nicht mehr feststellen lasse, stelle sich auch nicht als Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Klägerin dar, die unter Zugrundlegung des Privatgutachtens darauf hinwies dass mit den Lichtbildern des Brandortes und den – von den Zeugen bekundeten – Erkenntnissen vor Ort ausreichend Indizien für die Brandursächlichkeit eines Produktfehlers bestünden.

Eine Gehörsverletzung muss, damit die Rüge Erfolg hat, entscheidungserheblich sein. Das bejahte der BGH vorliegend, da nicht auszuschließen sei, dass das OLG bei gebotener Auseinandersetzung mit dem privatsachverständig gestützten Vortrag der Klägerin zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Der BGH wies das OLG für das weitere Verfahren darauf hin, dass der Geschädigte nur beweisen müsse, dass ein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst sei. Nicht aufklären müsse der Geschädigte, ob der Produktfehler auf eine von dem Hersteller zu verantwortende Verletzung der Sorgfaltspflicht zurückzuführen sei und auf welche Weise die (etwaige) Pflichtverletzung zur Fehlerentstehung geführt habe (BGH, Urteil vom 30.04.1991 - VI ZR 178/90 -). Würden nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme alle verbleibenden möglichen Ursachen erwiesenermaßen aus dem Verantwortungsbereich des Herstellers stammen, sei ein Produktfehler nachgewiesen. Dabei käme es nicht darauf an, ob es sich um einen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler handele (BGH, Urteil vom 24.11.1976 -VIII ZR 137/75 -).  Der Umstand, dass der angeblich produktfehlerhafte Gegenstand nicht mehr vorhanden sei, schließe den Beweis eines Produktfehlers nicht grundsätzlich aus.

BGH, Beschluss 28.03.2023 - VI ZR 29/21 -

Sonntag, 6. November 2022

Erstattungsanspruch von Gutachterkosten bei Verschweigen von Vorschäden ?

Der Kläger machte Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, u.a. die ihm entstandenen Gutachterkosten. Nach dem Gutachten lag ein wirtschaftlicher Totalschaden vor. Streitig waren (hier noch) die Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten und der Wiederbeschaffungswert. Der Kläger hatte den von ihm beauftragten Gutachter nicht über Vorschäden informiert, die damit auch von ihm im Rahmen der Feststellung des Wiederbeschaffungswertes nicht berücksichtigt worden seien. Das Landgericht gab der Klage statt. Mit Hinweisbeschluss gem. § 522 ZPO wies das OLG die Beklagten darauf hin, dass es beabsichtige die Berufung zurückzuweisen (woraufhin die Berufung zurückgenommen wurde).

Unstreitig war, dass die Schadenshöhe unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt war. Das Landgericht habe, so das OLG, diesen zutreffend im Rahmen des § 287 ZPO auf € 2.200,00 geschätzt und dabei auch die Vorschädigungen berücksichtigt.

Die Darlegungslast zum Wiederbeschaffungswert obliege auch im Rahmen des § 287 ZPO dem Kläger, der auch zu den Vorschäden vorzutragen habe. Der Wiederbeschaffungswert entspräche dem Wert eines vergleichbaren Fahrzeuges ohne den streitgegenständlichen Unfallschaden und könne nur ermittelt werden, wenn feststünde, in welchem konkreten Zustand sich das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt (also direkt vor dem Schadensereignis) befunden habe, wobei zu diesem Zeitpunkt vorhandene Alt- und Vorschäden den Wert mindern könnten.

Vorliegend habe der Kläger zu den Vorschäden (und deren Behebung) ausreichend vorgetragen. Inwieweit diese Vorschäden von den konkreten Unfallschäden abgrenzbar seien, sei für die Höhe der Reparaturkosten gem. § 240 Abs. 2 S. 1 BGB von Relevanz. Darauf sei es hier aber nicht angekommen, da auch nach Bereinigung der Reparaturkosten um diese Vorschäden immer noch ein wirtschaftlicher Totalschaden vorlag (Reparaturkosten nach vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten € 4.213,60).

Dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen seien die Vorschäden (und Selbstreparatur) am klägerischen Fahrzeug bekannt gewesen. Er habe ausgeführt, dass bei einem durchschnittlichen Fahrzeug mit diesem Alter und der Laufleistung der Punkt erreicht sei, bei dem nicht mehr viel Wertverlust eintreten könne und kleinere Vorschäden keine Rolle mehr für den Wiederbeschaffungswert spielen würden.

In Bezug auf die Sachverständigenkosten für das Privatgutachten anerkannte das OLG mit dem Landgericht einen Freistellungsanspruch des Klägers. Diese seien unmittelbar mit dem Schaden verbunden und gem. § 249 BGB auszugleichender Vermögensnachteil, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig war. Die Erstattungsfähigkeit sei in diesem Fall auch gegeben, wenn das Gutachten objektiv mangelhaft oder gar unbrauchbar sei; anderes gelte nur, wenn der Geschädigte (hier Kläger) dies zu vertreten habe. Dieses Vertretenmüssen sei dann der Fall, wenn der Geschädigte einen erkennbar ungeeigneten Gutachter beauftrage oder dem von ihm beauftragten Gutachter erhebliche Vorschäden verschweige und dieser deshalb zu einem fehlerhaften Ergebnis gelange. Zwar seien vorliegend die Vorschäden vom Kläger gegenüber dem von ihm beauftragten Gutachter verschwiegen worden, doch sei dies nicht kausal geworden.

Der Gutachter habe in seinem Gutachten nicht dargelegt, wie er zu einem Wiederbeschaffungswert von von ihm angegeben € 7.000,00 gelangte und damit bei von ihm angegebenen Reparaturkosten von € 5.731,50 zu einen Reparaturschaden, der den Wiederbeschaffungswert nicht überschritt, obwohl der Wiederbeschaffungswert, wie das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten ergab, weit unter den Reparaturkosten lag. Diese Fehlerhaftigkeit könne dem Kläger aber nicht angelastet werden, da weder der ausgeworfene Wiederbeschaffungswert von € 7.000,00 begründet wurde, noch die Nichtberücksichtigung der Vorschäden nach den Angaben des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Einfluss auf den Wiederbeschaffungswert hatten.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 11.04.2022 - 7 U 33/21 -

Freitag, 17. Juni 2022

Vor und im Gerichtsverfahren eingeholtes Privatgutachten in der gerichtlichen Kostenfestsetzung

Immer wieder holen Parteien eines künftigen Prozesses bereits vorprozessual Sachverständigengutachten ein (insbesondere in Bausachen), um in einem späteren Verfahren auf sicheren Grundlagen zu stehen, sei es im Hinblick auf vom Auftraggeber behaupteten Mängeln, sei es zur Sicherung der (Rechts-) Ansicht durch den Auftraggeber, gemäß der eine Zahlung an den Auftragnehmer nicht erfolgen muss. Dabei gibt es verschiedene Zeitpunkte der Einholung: Dies kann schon sehr früh erfolgen (z.B. aus Anlass eines Abnahmeverlangens oder nach einem Abnahmetermin), sei es im Rahmen der folgenden Korrespondenz über streitige Mängel, im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Klage bzw. nach deutlicher Klageandrohung, aber auch durch den Beklagten nach Klagezustellung oder im Laufe des gerichtlichen Verfahrens durch eine der Parteien oder beide Parteien. Immer wieder kommt es dann nach einem Urteil zum Streit, ob derartige Sachverständigenkosten für die obsiegende Partei erstattungsfähig sind (bei einem teilweise Obsiegen, ob sie bei einer Urteil oder Vergleich festgestellten Kostenquotelung bei der Kostenausgleichung und -festsetzung zu berücksichtigen sind).

Vorliegend hatte der Beklagte zwei Privatgutachten vor dem Prozess und eines begleitend während des Prozesses eingeholt. Im Rahmen der Kostenfestsetzung hatte der Rechtspfleger die Kosten von keinem der Gutachten berücksichtigt. Die dagegen vom Beklagten eingelegte sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Das zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufene OLG Hamm wies auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hin, demzufolge diejenigen Kosten des Rechtstreits erstattungsfähig seien, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Auch eingeholte Privatgutachten könnten zu diesen Kosten zählen, wenn es der Partei an einer eigenen Sachkunde ermangele und das Gutachten prozessbezogen sei. Prozessbezogenheit setze einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem gerichtlich ausgetragenen Rechtsstreit voraus.

1. Zu den vorprozessual eingeholten Sachverständigengutachten sei erforderlich, dass sich der Rechtsstreit konkret abzeichne. Dass sei anzunehmen, wenn das Gutachten zur Beurteilung der Prozessaussichten, der Einstandspflicht und der Anspruchsmöglichkeiten eingeholt würde. Die Beauftragung müsse das „Wie“ der Prozessführung dienen. Die Einholung müsse von der Partei ex ante (also zum Zeitpunkt der Beauftragung) als sachdienlich angesehen werden dürfen.

a) Zum Zeitpunkt der Beauftragung des ersten Gutachtens durch den Beklagten habe es an der Prozessbezogenheit gefehlt, da - wie nachfolgende Schreiben dokumentieren würden - die außergerichtlichen Einigungs- und Erledigungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft gewesen seien. Das Gutachten habe der Feststellung von Mängeln der Werkleistungen gedient, die zur Grundlage von Schadenersatzansprüchen gegen die Klägerin gemacht werden könnten, und damit zur Feststellung von Gegenrechten. Dies gehöre zur Sphäre, „ob“ ein solches eingeholt werden soll, nicht aber „wie“ die Prozessführung erfolgen soll.

Anm. 1: Diese Ansicht des OLG ist richtig. Letztlich verhandelten die Parteien noch und der Beklagte war bemüht, sich Argumente für seine Verhandlungsposition zu verschaffen. Auch wenn damit die Möglichkeit bestand, einen Rechtsstreit abzuwenden, diente es nicht der späteren Prozessführung, auch wenn es bei dieser nützlich werden könnte, da ein solcher Rechtsstreit gerade noch nicht abzusehen war. Ob gegebenenfalls ein materieller Kostenerstattungsanspruch des Beklagten gegen die Klägerin bestand (z.B. § 631 BGB iVm. § 280 BGB) ist für die Beurteilung im Rahmen der Kostenfestsetzung nach § 91 ZPO bzw. der Kostenausgleichung nach § 92 ZPO ohne Bedeutung.

2. Bei dem zweiten Gutachten soll es sich um die Kosten des Sachverständigen für seine Teilnahme an einem Ortstermin vor dem Rechtsstreit gehandelt haben, in dem der Sachverständige die Kosten seiner Teilnahme, die Erstellung einer Beweissicherung und Dokumentation abrechnete. Erst im Ortstermin habe sich herausgestellt, dass sich die Parteien nicht über die Verantwortlichkeit der Klägerin hätten einigen können. Die Erstellung der Beweissicherung und Fotodokumentation sei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich gewesen. Es hätte ausgereicht, die am Tag des Ortstermins noch fortbestehenden Mängel, die im vorherigen Gutachten benannt wurden, zum Gegenstand des Rechtstreits zu machen. Über das vorgehende Gutachten hinaus habe der Sachverständige nur einen Zustand beschrieben; es sei auch dem Beklagten möglich gewesen, diese Symptome für einen Mangel in das Verfahren ohne gutachterlichen Beistand einzuführen.

Anm. 2: Damit handelt es sich hier ersichtlich auch nur um Aufwendungen des Beklagten, mit denen er seine Rechtsposition sichern wollte, nicht aber „wie“ er den Prozess führen will. An dieser Stelle - wenn es dem Beklagten um eine gerichtsverwertbare sichere Beweissicherung ging - hätte er ein selbständiges Beweisverfahren nach § 485 ZPO durchführen können, also einen entsprechenden Antrag bei Gericht stellen müssen. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahren sind Kosten des (späteren) gerichtlichen Verfahrens, wenn sich eine Partei im Prozess auf Tatsachen beruft, die Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens waren, §§ 493 Abs. 1 iVm. 91 ZPO

3. Die weiteren vom Beklagten geltend gemachten Sachverständigenkosten betrafen ein prozessbegleitend eingeholtes Privatgutachten (Zustellung der Klageschrift am 25.07.2012, gutachterliche Stellungnahme vom 04.09.2912). Es handele sich, so das OLG, um notwendige Kosten, wenn dies unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit geboten sei, da der Partei andernfalls eine gerichtlich geforderte Substantiierung nicht möglich wäre oder die Partei ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten nicht überprüfen, insbesondere Fragen an den gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht formulieren könne (vgl. § 411 Abs. 4 ZPO).

Das OLG sah keinen Grund darin, dass der Beklagte durch dieses Gutachten eine detaillierte mangelbezogene Kostenschätzung erstellen ließ, da bereits im ersten Gutachten eine Mangelsumme von € 30.000,00 geschätzt hatte, worauf sich der Beklagte hätte beziehen können. Über die detaillierten Mängel habe das Gericht Beweis zu erheben und in diesem Zusammenhang die Beweisaufnahme auch auf die Höhe der geltend gemachten Gegenansprüche erstrecken müssen. Die detaillierte Aufstellung habe zwar auch Kosten beinhaltet, die in der Kostenschätzung nicht enthalten gewesen seien, doch könne das OLG im Rahmen einer Schätzung (§ 287 ZPO) nicht ermitteln welcher Zeitaufwand darauf entfallen sei.

Anm. 3: Hier wirken sich für den Beklagten die vorgerichtlich eingeholten Gutachten zu seinem Nachteil aus. Da das erste Gutachten bereits eine Kostenschätzung enthielt, kam es auf die (detaillierte) Kostenschätzung im dritten Gutachten nicht an, da offensichtlich auch das Landgericht im Verfahren keine Detaillierung verlangte. Wäre das dritte Gutachten nach einem Hinweis des Landgerichts (§ 139 ZPO) zu einer seiner Ansicht nach notwendigen Detaillierung eingeholt worden, wären die Kosten des Gutachtens erstattungsfähig gewesen. Zwar waren im dritten Gutachten auch Mängelpositionen mit Kostenbeträgen versehen worden, die bei dem ersten Gutachten noch nicht berücksichtigt wurden, doch konnte hier das OLG Kosten für dieses Gutachten auch nicht teilweise zusprechen, da nicht ersichtlich war, welcher Zeitaufwand (gegenüber dem abgerechneten Gesamtzeitaufwand für das Gutachten als solches) auf diese Positionen entfiel. Auch wenn das OLG von einer Schätzung spricht, gilt auch hier, dass eine Schätzung nach § 287 ZPO nicht ins Blaue hinein erfolgen darf, sondern konkrete Anhaltspunkte vorliegen müssen, die gegebenenfalls vorzutragen sind (BGH, Urteil vom 08.05.2012 - VI ZR 37/11 unter II.3.a).

Es ist zwar verständlich, dass bei zu befürchtenden hohen Kosten einer gerichtlichen Auseinandersetzung der Besteller einer Werkleistung (wie hier) sicher gehen will, dass die von ihm angenommenen Mängel tatsächlich bestehen, wenn sie vom Auftragnehmer nicht anerkannt werden. Er läuft aber in diesem Fall Gefahr, dass er die Kosten des Gutachtens selbst zu tragen hat, jedenfalls nicht über eine Kostenfestsetzung erstattet verlangen kann, wobei ein möglicher materieller Anspruch im vorliegenden Fall möglicherweise verjährt sein dürfte. Die Einholung mehrerer Gutachten, gar vor einem Prozess, zu denselben Themenbereich ist auch unverständlich, ebenso ein Gutachten, in dem der Sachverständige zwar Symptome aufzeigt (die auch die Partei selbst sieht), aber nicht den Mangel (mangels Prüfung) feststellt. Hätte der Beklagte nach Zustellung der Klage oder endgültiger Mitteilung der Gegenseite, dass nunmehr Zahlungs- oder Abnahmeklage erhoben würde, ein Gutachten zur Feststellung der Mängel und zu den Kosten der Beseitigung eingeholt, um so seine Verteidigung an Hand des Gutachtens einzurichten, wäre eine Erstattungsfähigkeit zu bejahen gewesen, da der Beklagte offensichtlich keine eigenen Erfahrungen hatte. Im Übrigen hätte vor einem Rechtstreit bereits ein selbständiges Beweisverfahren beantragen können (s.o. Anmerkung 2), was - selbst wenn es für ihn ungünstig verläuft - jedenfalls nicht Mehrkosten verursacht hätte, sondern bei günstigen Ausgang erstattungsfähige Kosten gesichert hätte.

OLG Hamm, Beschluss vom 08.02.2022 - I-25 W 214/21 -

Sonntag, 13. Oktober 2019

Rechtliches Gehör: Rechtzeitiger Hinweis auf vom Erstgericht abweichende Auffassung durch Berufungsgericht


Das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) ist ein Grundpfeiler der Rechtsordnung. Es dient einem fairen Verfahren. Seine Verletzung führt notwendig dazu, dass ein Urteil aufzuheben ist (und der Rechtstreit an das zuvor befasste Gericht zurückverweisen wird), wenn dessen Entscheidung auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht. Und immer wieder werden Urteile von Instanz- und Obergerichten veröffentlicht, die gerade dies thematisieren.

So auch vorliegend. Das LAG Berlin-Brandenburg hatte darüber zu entscheiden, ob das beklagte Land dem schwerbehinderten Kläger Vergütung für den Zeitraum Dezember 2016 bis Mai 2017 zu zahlen hatte, was mit der Begründung eines Annahmeverzugs des Klägers unterlassen wurde. Dabei war zu klären, ob der Kläger für die vereinbarte Vollzeittätigkeit in der Datenverarbeitung dauerhaft krankheitsbedingt leistungsunfähig war und daher ein Annahmeverzug nach § 297 BGB ausgeschlossen war. Das Arbeitsgericht hatte die Klageabgewiesen; das LAG hatte ihr im Wesentlichen stattgegeben. Dabei negierte es, anders als noch das Arbeitsgericht, eine ausreichende Indizwirkung von drei vom beklagten Land vorgelegten vertrauensärztlichen Stellungsnahmen (eine vor, eine während und eine nach dem streitgegenständlichem Zeitraum) , die für den fraglichen Zeitraum eine Leistungsunfähigkeit des Klägers bejahten.

Nach Ansicht des BAG hatte das LAG deshalb gegen den Anspruch des beklagten Landes auf rechtliches Gehör verstoßen, da es einen gebotenen Hinweis auf seine vom Arbeitsgericht abweichende Auffassung nicht rechtzeitig gegeben und damit dem beklagten Land die Möglichkeit abgeschnitten habe, dazu mit erläuterndem oder ergänzenden Sachvortrag zu reagieren.

Würdige ein Gericht einen Sachverhalt oder Vorbringen in einer Weise, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen müsse, verstoße das Gericht elementar gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO und damit das Gebot des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 GG, wenn es nicht darauf hinwirke, dass sich die Partei rechtzeitig und  vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklärt und gegebenenfalls ergänzt und Beweismittel benennt. Deshalb dürfe ein Berufungsbeklagter grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm das Berufungsgericht einen Hinweis nach § 139 ZPO erteilt, wenn es von der Beweiswürdigung des Erstgerichts abweichen wolle, wobei er einen Anspruch darauf habe, dies so rechtzeitig vor einem Termin zu erfahren, dass er noch rechtzeitig vor dem Termin darauf reagieren könne (BVerfG, Beschluss vom 01.08.2017 - 2 BvR 3068/14 -).

Diese Grundsätze zur Beweiswürdigung würden auch dann gelten, wenn (wie hier) das Erstgericht sich vom Arbeitgeber zu eigen gemachte ärztliche Stellungnahmen als ausreichend ansehe, ein den Annahmeverzug ausschließendes Unvermögen des Arbeitnehmers iSd. § 297 BGB zu indizieren. Das sei vom LAG verkannt worden.

Der Berufung des Arbeitgebers auf eine Leistungsunfähigkeit iSd. § 297 BGB des Arbeitnehmers stelle sich als eine beachtliche Einwendung dar. Für diese sei er darlegungs- und beweisbelastet (BAG, Urteil vom 22.08.2018 - 5 AZR 592/17 -). Ein Arbeitgeber habe regelmäßig keine eigenen näheren Kenntnisse über den Gesundheitszustand seines Arbeitnehmers, weshalb er seiner primären Darlegungslast durch Hinweis auf die Leistungsunfähigkeit hindeutende Umstände genüge. Deshalb genüge auch die Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme (so auch vom Betriebsarzt), wenn er sich diese zu eigen mache (BAG, Urteil vom 22.08.2018 aaO.).

Ob hier vorgelegte ärztliche Stellungnahmen als Privatgutachten zu qualifizieren seien, sei eine der Beweiswürdigung unterliegende tatrichterliche Wertung. Deshalb könne ein Brufungsbeklagter bei beabsichtigter anderweitiger Würdigung durch das Berufungsgericht darauf vertrauen, ihn gem. § 139 ZPO rechtzeitig einen rechtlichen Hinweis erteilt und ihm die Gründe für seine vom Erstgericht abweichende Würdigung mitteilt.

Das sei hier nicht erfolgt. Erstmals sei das beklagte Land im Rahmen der Berufungsverhandlung der Hinweis erteilt worden, die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen würden nach Ansicht der Berufungskammer kein Indiz für eine Leistungsunfähigkeit des Klägers darstellen. Dem beklagten Land sei damit die Möglichkeit genommen worden, zu einer Kernfrage des Rechtstreits (die das Arbeitsgericht noch zu seinen Gunsten beantwortete), der abweichenden Annahme des LAG entgegenzutreten. Da das beklagte Land auch nach dem Protokoll der Verhandlung eine Schriftsatzfrist zu den Hinweis erbat, habe das LAG auch nicht davon ausgehen dürfen, es wolle dazu keine weiteren Rechtsausführungen oder weiteren Vortrag halten.

Da das beklagte Land im Rahmen seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG dargelegt habe, mit welchen Erwägungen es auf einen rechtzeitigen Hinweis des LAG reagiert hätte, um dessen Bedenken gegen eine Indizwirkung zu zerstreuen, könne nicht ausgeschlossen werden, dass das LAG bei Kenntnis seine Ansicht geändert hätte und doch angenommen hätte, dass das beklagte Land seiner primären Darlegungslast genügte. In diesem Fall hätte das LAG zu prüfen gehabt, ob dem der Kläger ausreichend substantiiert entgegen getreten sei und ob – evtl. nach Beweisaufnahme – eine Leistungsunfähigkeit des Klägers vorlag oder nicht.

BAG, Beschluss vom 28.08.2019 - 5 AZN 381/19 -

Samstag, 26. August 2017

Selbständiges Beweisverfahren und Berücksichtigung von Einwendungen gegen das Gutachten im nachfolgendem Hauptsacheverfahren unter Beachtung von Präklusionsvorschriften

Mit seinem Urteil vom 17.05.2017 setzt sich der BGH mit der Frage der Bedeutung eines im selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachtens für das Hauptsacheverfahren, mit Einwendungen gegen das Gutachten im selbständigen Beweisverfahren und deren Bedeutung für das Hauptsacheverfahren, mit der Beachtlichkeit von (gar auf Privatgutachten gestützten) Einwendungen gegen das gerichtlich eingeholte Gutachten im selbständigen Beweisverfahren (auch unter Berücksichtigung der Problematik der Präklusion) und mit der notwendigen und nachvollziehbar im Urteil darzulegenden Würdigung durch das Gericht auseinander, welchem Gutachten es folgen will.

Zum Hintergrund des Rechtstreits:

Die Beklagte brachte im Jahr 2008 einen geschliffenen Boden in einer etwa 490m² großen Verkaufshalle für die Klägerin ein. Nach Fertigstellung der Arbeiten zeigten sich Risse im aufgebrachten Terrazzo-Oberbelag. Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige W. sah dies als während der Austrocknung entstandene Schwindrisse an. Eine Sanierung durch Verschluss der Risse mit Feinstzementen oder Kunstharz sei mit einem Aufwand von € 5.50,00 möglich. Nunmehr leitete die Klägerin ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Beklagte ein. Der vom Gericht bestellte Sachverständige H. beurteilte die Risse als Trennrisse, beruhend auf einem fehlenden Haftungsverbund zwischen Terrazzo-Vorsatz und Unterbeton. Nach seinen Angaben könne der Mangel nur durch einen kompletten Abbruch des Terrazzo-Vorsatzes und evtl. des Unterbetons bei einem Kostenaufwand von netto € 125.000,00 beseitigt werden.

Das Gutachten wurde der Beklagten vom Landgericht, bei dem das selbständige Beweisverfahren geführt wurde, mit einer Frist zur Stellungnahme binnen drei Wochen überlassen. Sie erhob, unter Vorlage eines Privatgutachtens des Sachverständigen B., Einwendungen gegen das gerichtliche Gutachten und beantragte die Anhörung des Sachverständigen H. Dieser wurde angehört, Damit endete das Beweisverfahren.

In der Folge erhob die Klägerin Kostenvorschussklage zur Mängelbeseitigung und machte einen Betrag von € 125.000,00 geltend, verbunden mit dem Feststellungsantrag, dass die beklagte ihr sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen habe.  In der Klageerwiderung wiederholte die Beklagte ihre Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen H. aus dem Beweisverfahren und ihre Kritik auf weitere Aspekte gestützt, die durch die Anhörung des Sachverständigen H. im Beweisverfahren bekannt  wurden. Im Laufe des Verfahrens vertiefte die Beklagte ihre Einwendungen durch Einholung eines weiteren Gutachtens des Sachverständigen B. und des Sachverständigen R.

Das Landgericht gab der Klage statt. Es hielt die Ausführungen des Sachverständigen H. für überzeugend. Anlass zur Einholung eines weiteren Gutachtens bestünde nicht.  Die Beklagte habe im Beweisverfahren die Möglichkeit der Anhörung des Sachverständigen gehabt. Sollte sie dort der Ansicht gewesen sein, ihre Einwendungen seien nicht ausreichend beantwortet worden, hätte sie die Möglichkeit zu einer entsprechenden Antragsstellung gehabt, was sie nicht genutzt habe. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des OLG wurde zurückgewiesen. Das OLG vertrat die Ansicht, dass Einwendungen gegen ein im selbständigen Beweisverfahren eingeholtes Gutachten auch im Hauptsacheverfahren zuzulassen seien, ergäbe sich, dass das Gutachten nicht überzeugend, lückenhaft oder widersprüchlich sei. Das Gutachten sei aber überzeugend und die Einwände der Beklagten, die Risse seien auf Temperaturschwankungen, Zugluft oder punktuelle Belastung während der Austrocknungsphase zurückzuführen, vom Beklagten H. ausreichend beantwortet worden. Einwendungen der Beklagten, die auf die während des Hauptsacheverfahrens eingeholten Privatgutachten B. und R. gestützt würden, wären nicht zu berücksichtigen, da sie nicht innerhalb angemessener Frist gem. § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO erhoben, sondern lange nach Ablauf der Klageerwiderungsfrist.

Dagegen erhob die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH, die von diesem zugelassen wurde; auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufgehoben und der Rechtstreit zurückverwiesen.

Die Erwägungen des BGH:

Das OLG habe sich nicht ausreichend mit den Vorbringen der Beklagten gegen das Beweisergebnis nach Einholung des Gutachtens H. auseinandergesetzt und daher entscheidungserhebliches Vorbringen und Beweisantritte der Beklagten entgegen Art. 103 Abs. 1 GG (Gewährung rechtlichen Gehörs) unberücksichtigt gelassen. Der Tatrichter müsse zwingend mit Einwendungen der Partei gegen ein gerichtlich eingeholtes Gutachtes berücksichtigen und sei verpflichtet, sie mit von einer Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen. Wenn sich aus dem Privatgutachten ein Widerspruch zum gerichtlich eingeholten Gutachten ergäbe, müsse er auf eine Aufklärung hinwirken; Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen müsse der Tatrichter von Amts wegen nachgehen. Kann der gerichtlich bestellte Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung Einwendungen, die sich aus dem Privatgutachten ergeben, nicht ausräumen, müsse das Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ein weiteres Gutachten einholen. Es hat sich mit den Gutachten sachlich und kritisch auseinanderzusetzen und darlegen, warum es einem von ihnen den Vorzug gibt. Dies gelte unabhängig davon, ob das gerichtliche Gutachten im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens oder durch den in der Sache zur Entscheidung berufenen Richter eingeholt wurde, arg. §§ 493, 492 Abs. 1 ZPO. Das habe zur Folge, dass das Beweisverfahren im Hauptsacheverfahren fortzusetzen sei, wenn dem Prozessgericht das im selbständigen Beweisverfahren eingeholte Gutachten ergänzungsbedürftig erscheine, § 412 Abs. 1 ZPO.

Diesen Anforderungen würde die Entscheidung des OLG nicht gerecht. Die Beklagte habe bereits im selbständigen Beweisverfahren (näher in der Entscheidung dargelegte) detaillierte Einwendungen gegen das gerichtlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen H. erhoben und diese im Hauptsacheverfahren weiter vertieft und ergänzt. Mit diesen Einwendungen habe sich das OLG nicht ausreichend auseinandergesetzt. Seine Begründung, die Ausführungen des Sachverständigen H. seien überzeugend (weshalb eine weitere Anhörung des Sachverständigen H. im Hauptsacheverfahren nicht mehr erforderlich sei), würden sich angesichts der kritischen, aus den verschiedenen Privatgutachtend es Beklagten hervorgehenden Einwendungen als bloße Leerformeln darstellen. Unabhängig von der Einschätzung des im selbständigen Beweisverfahren tätigen Richters habe der in der Hauptsache zur Entscheidung berufene Richter in Folge der Gleichbehandlung nach § 493 Abs. 1 ZPO bezüglich der Gutachten aus einem selbständigen Beweisverfahren und einem streitigen Verfahren zu prüfen, ob die Anhörung des Sachverständigen im Beweisverfahren zur Klärung der Streitpunkte geführt habe. Vorliegend würde sich weder aus dem Protokoll über die Anhörung des Sachverständigen H. im selbständigen Beweisverfahren noch aus den Urteilsgründen ergeben, weshalb die Klärung durch die Anhörung herbeigeführt worden sei. S sei vielmehr dokumentiert, dass der Sachverständige nicht alle Fragen mit der gebotenen Klarheit beantworten konnte, was die Fortführung der Beweisaufnahme indiziere.

Auch habe das OLG das Vorbringen gegen das Beweisergebnis nicht als verspätet zurückweisen dürfen. Der Verstoß gegen Präklusionsvorschriften stelle eine Verletzung rechtlichen Gehörs dar.  Es könne offen bleiben, ob die Präklusionsvorschriften gem. § 411 Abs. 4 ZPO iVm. 296 Abs. 1m 493 ZPO zur Anwendung kommen können, wenn den Parteien nach Eingang des Gerichtsgutachtens eine Frist gesetzt würde, die den Anforderungen des § 296 Abs. 1 ZPO genüge. Dies hätte zur Voraussetzung gehabt, dass (was nicht erfolgte) die im selbständigen Beweisverfahren gesetzte Stellungnahmefrist mit einem Hinweis über die Folgen der Nichtbeachtung der Frist versehen wäre. Und:  Vorliegend würde eine Präklusion aber auch deshalb ausscheiden, da die Beklagte innerhalb der gesetzten Frist Einwendungen erhoben hatte, weshalb diese Einwendungen (vertieft durch Vorlage weiterer Gutachten) nicht mit der Begründung hätten unberücksichtigt bleiben dürfen, die Beklagte hätte noch im selbständigen Beweisverfahren auf eine Ergänzungsbedürftigkeit oder Klärungsbedürftigkeit hinweisen müssen und bereits dort weitere Beweisantritte tätigen müssen.

Da der Gehörsverstoß entscheidungserheblich sei, sei der Rechtsstreit zurückzuverweisen, da nicht ausgeschlossen sei, dass bei Berücksichtigung der Einwände der Beklagten das OLG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.


BGH, Urteil vom 17.05.2017 - VII ZR 36/15 -

Samstag, 6. August 2016

Prozessrecht: Berücksichtigung eines Privatgutachtens und Verbot des Bestreitens mit Nichtwissen von behaupteten Angaben des beauftragten Untervermittlers

Das Gericht hat auch ein privates Sachverständigengutachten zu berücksichtigen, welches im Widerspruch zu dem gerichtlich eingeholten Gutachten steht. Und es hat Beratungsleistungen eines vom Verkäufer eingeschalteten Untervermittlers zu Lasten des Verkäufers zu berücksichtigen.


Nachdem der vom Verkäufer (Beklagten) eingeschaltete Untervermittler dem Kläger als potentiellen Käufer nach dessen Angaben ein Steuersparmodell mit Wirtschaftlichkeitsberechnung vorgestellt hatte und einen bestimmten gewinn bei Veräußerung der Wohnung nach zehn Jahren versprach, erwarb der Kläger die Wohnung.  

Der BGH ging auf Grund der vorinstanzlichen Feststellungen davon aus, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Kaufvertrag sittenwidrig sei und der Kläger einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung haben kann.

Die Sittenwidrigkeit des Vertrages leitet der BGH aus der Überhöhung des Kaufpreises um knapp 100% gegenüber dem Verkehrswert gem. dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten. Mit diesem hatte sich die Vorinstanz nicht auseinandergesetzt. Dies wäre aber nach Auffassung des BGH notwendig gewesen. Gegebenenfalls hätte es den von ihm bestellten Sachverständigen anhören müssen, ohne dass es dazu eines Antrages des Klägers bedurft habe. Auch hätte es eventuell, wenn die Anhörung noch keine endgültige Klärung bringt, einen weiteren Sachverständigen bestellen müssen.

Damit konnte entgegen der Annahme der Vorinstanz nicht davon ausgegangen werden, dass keine Sittenwidrigkeit vorliegt. Die fehlende Berücksichtigung des Privatgutachtens stellt sich als Verletzung rechtlichen Gehörs dar.

Ferner hätte die Vorinstanz auch den klägerischen Vortrag zu dem Untervermittler beachten müssen. Zwar habe der Kläger für seine Behauptung keinen Beweis angeboten. Allerdings habe der Beklagte diesen Vortrag lediglich mit Nichtwissen bestritten. Da aber der Untervermittler von ihm eingeschaltet wurde und die Beratung für ihn übernahm, kam zum einen zwischen den Vertragsparteien ein Beratungsvertrag zustande. Liegt hier durch den Untervermittler ein Beratungsfehler vor (wie vom Kläger nach Auffassung des BBG schlüssig dargelegt wurde), geht dies zu Lasten des Beklagten. Dieser durfte die Angaben des Klägers nicht zulässig mit Nichtwissen bestreiten, § 138 Abs. 4 ZPO. Da er den Untervermittler eingeschaltet hatte, hätte er sich bei diesem auch kundig machen können und müssen.


BGH, Urteil vom 22.04.2016 – V ZR 256/14 -