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Freitag, 1. März 2024

Überraschungsentscheidung bei Ausbleiben des Klägers im Termin beim Finanzgericht

Im Streit war die Zurechnung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin behauptete, der Beigeladene habe die Vermietung (in dem in ihrem Eigentum stehenden Haus) als Eigengeschäft behandelt, demgegenüber das Finanzamt (FA) die Einkünfte der Klägerin zurechnete. Zu dem vom Finanzgericht anberaumten Termin erschien die Klägerin nicht (was bei einem Verfahren vor dem Finanzgericht für die Beteiligten grundsätzlich nicht notwendig ist). Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG)als unbegründet abgewiesen. Zwar habe der Beigeladene bei Abschluss und Durchführung der Mietverträge im eigenen Namen gehandelt, doch seien die Einkünfte ihr aus einem Treuhandverhältnis zuzurechnen. Diese Annahme sei gerechtfertigt, da die Klägerin die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung über Jahre erklärt habe und erstmals im Streitjahr in Abrede gestellt habe. 

Die gegen das Urteil eingelegte Beschwerde zum BFH hatte Erfolg und führte zur Zurückweisung an das Finanzgericht. Der BFH sah in dem Urteil eine Überraschungsentscheidung, weshalb der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. 

 Eine Überraschungsentscheidung läge vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder bekannt rechtlichen Gesichtspunkt stütze und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gebe, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretener Auffassungen nicht rechnen müsse. Dies sei insbesondere der Fall, wenn der entscheidungserhebliche Umstand erst im Endurteil benannt würde (BFH, Beschluss vom 23.02.2017 - IX B 2/17 -). Zwar müsse ein (wie hier gar durch einen Steuerberater sachkundig vertretener) Verfahrensbeteiligter alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen, auch wenn die Rechtsalge umstritten oder problematisch sei (BVerfG, Beschluss vom 19.05.1992 –-1 BvR 986/91 -). Allerdings müsse er nicht damit rechnen, dass seine Klage aus einem Grund abgewiesen würde, der weder die Beteiligten noch das Gericht zuvor in das Verfahren eingeführt hätten. 

Zudem müsse das FG im Falle des Ausbleibens eines Beteiligten nach pflichtgemäßen Ermessen prüfen, ob es gleichwohl in der Sache entscheidet oder den Termin vertagt. Im Rahmen dessen sei es verpflichtet zu vertagen, wenn die Entscheidung aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte erfolgen könnte, zu denen den Beteiligten bisher kein rechtliches Gehör gewährt wurde (BFH, Beschluss vom 19.05.2020 - VII B 114/19 -). 

Vorliegend habe das FG den Gesichtspunkt des Treuhandverhältnisses erstmals im Urteil in das Verfahren eingeführt. Vorher sei dies weder im Veranlagungs- noch im Einspruchsverfahren und auch nicht in wechselseitigen Schriftsätzen im Verfahren angesprochen worden. Ebenso lässt sich aus dem Protokoll der Verhandlung nicht ersehen, dass ein Hinweis erfolgt wäre. 

Da in der Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung kein Verzicht auf die Einhaltung von Verfahrensvorschriften iSv. § 295 ZPO iVm. § 155 FGO läge, habe die Klägerin ihr Rügerecht nicht durch Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge beim FG verloren. Denn auch wenn die Klägerin an der Verhandlung teilgenommen hätte, hätte sie erst aus dem Urteil erfahren, dass sich das FG auf einen bisher nicht erörterten Gesichtspunkt stützt. 

Das FG würde nun unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang das von ihm angenommene Treuhandverhältnis den Anforderungen der Rechtsprechung (so BFH, Urteil vom 12.07.2016 – IX R 21/15 -) sowie den Anforderungen an Verträgen zwischen Angehörigen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AO) entspreche. 

BFH, Beschluss vom 10.01.2024 - IX B 9/23 -

Mittwoch, 24. Juni 2020

Rechtliches Gehör: Wann muss Vortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom Gericht zwingend berücksichtigt werden ?


Das rechtliche Gehör und dessen Verletzung beschäftigt immer wieder die Instanzgerichte bis hin zum BGH. Da es sich bei der Gewährung rechtlichen Gehörs um einen verfassungsrechtlichen Anspruch der Partei vor Gericht handelt (Art. 103 GG), weshalb an sich die Gerichte dem eine erhebliche Bedeutung beimessen sollten.

Während das Landgericht der Klage auch weiteren materiellen und immateriellen Schadensersatz gegen eine Apothekerin nach fehlerhafter Herstellung eines Medikaments un Hinblick auf weiteren Huashaltsführungsschaden des Klägers statt gab und das Begehren auf weiteres Schmerzensgeld abwies, hat das Berufungsgericht (OLG Stuttgart) auf die Berufung des Klägers  diesem ein weiteres Schmerzensgeld zugesprochen und auf die Anschlußberufung der Beklagten hin den Anspruch auf den weiteren Haushaltsführungsschaden abgewiesen. Der vom Kläger erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde half der BGH im Hinblick auf den Haushaltsführungsschaden durch Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung ab.

Die Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung durch Abweisung des Begehrens auf den Haushaltsführungsschaden habe das OLG damit begründet, dass der Kläger auf einen Hinweis des Senats des OLG (im Verhandlungstermin, auf dem das Urteil ergibt) nicht vorgetragen habe, welche Zeiten der Tätigkeit seiner Lebensgefährtin er für seine Pflege und Betreuung und in Abgrenzung dazu, welche Zeiten er für die Haushaltsführung geltend mache. Erst nach der mündlichen Verhandlung sei Vortrag dazu erfolgt, was verspätet sei, wobei der Kläger es auch unterlassen habe, nach dem Hinweis im Termin einen Schriftsatznachlass gem. § 239 Abs. 5 ZPO zum ergänzenden Vortrag zu dem Hinweis zu stellen. Von daher sei auch nach dem verspäteten Vortrag die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen.

Diese Nichtberücksichtigung verstößt nach Auffassung des BGH vorliegend gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG. Das rechtliche Gehör würde verletzt, wenn Vortrag unberücksichtigt bleibe, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze finde. Dieser Fall sei vorliegend gegeben.

Eine in erster Instanz siegreiche Partei dürfe darauf vertrauen,  vom Berufungsgericht einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will. Grundsätzlich habe der Hinweis so rechtzeitig zu erfolgen, dass die betroffene Partei noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung darauf reagieren könne, § 139 Abs. 4 ZPO.  Würde  - wie hier – der Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erfolgen, so müsse der Partei genügend Gelegenheit gegeben werden, darauf zu reagieren. Sei offensichtlich, dass die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht reagieren könne, so müsse das Gericht entweder in das schriftliche Verfahren überleiten oder (auch ohne entsprechenden Antrag auf Schriftsatznachlass) vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren.  

Gegen diese Pflichten habe das OLG verstoßen. Der Hinweis sei erst in der Berufungsverhandlung erteilt worden. Diese sei geschlossen worden, obwohl dem Kläger wegen des mit dem Hinweis verbundenen Rechercheaufwandes eine sofortige Erklärung nicht möglich gewesen sei. Wegen dieses Verfahrensfehlers sei das OLG verpflichtet gewesen, sich mit dem Vortrag des Klägers in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz auseinanderzusetzen, was nicht stattfand.

Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger es verabsäumte, Schriftsatznachlass zu beantragen (s.o.; BGH, Beschlüsse vom 04.07.2013 - V ZR 151/12 - und vom 18.99.2006 - II ZR 10/05 -).

Ebenfalls sei der Umstand nicht durchgreifend, dass der Hinweis durch das OLG bereits erstinstanzlich (als auch im Berufungsverfahren) den Einwand erhoben habe, daß die Tätigkeit der Lebensgefährtin nicht zeitgleich der Haushaltsführung und der Pflege des Klägers gedient habem könne. Diese Hinweise des Gegners müssen den Kläger nicht notwendig zu der Annahme veranlassen, dem würde das Berufungsgericht folgen und damit eine andere Rechtsansicht als das Landgericht vertreten, weshalb vorsorglich der eigene Vortrag zu ergänzen sei (BGH, Beschluss vom 21.01.2016 - V ZR 183/15 -).

Der Gehörsverstoß sei auch erheblich. Der Kläger habe nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu dem Hinweis weitergehend vorgetragen und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG über den Anspruch betreffend Ersatz des Haushaltsführungsschadens bei Berücksichtigung desselben anders als geschehen entschieden hätte. 

BGH, Beschluss vom 21.01.2020 - VI ZR 346/18 -

Freitag, 20. Juli 2018

Rechtliches Gehör: Gerichtlicher Hinweis und Schriftsatzfrist oder Vertagung


Es ist (leider) nicht die Ausnahme sondern die Regel, dass Gerichte (Richter) unabhängig davon, ob es sich um einen Termin als frühen ersten Termin oder nach einem schriftlichen Vorverfahren, nach einem Richterwechsel oder im berufungsverfahren handelt, nicht vor dem jeweiligen Termin die Parteien auf nach ihrer Ansicht wesentliche Gesichtspunkte hinweisen, die offenbar übersehen wurden (Fall des § 139 ZPO), sondern erst im Termin. So auch hier:

Der Beklagte, selbst Rechtsanwalt, zahlte restlichen Werklohn in Höhe von € 37.424,58 nicht, wobei der Umfang de Auftrages zwischen den Parteien streitig war und eine Abnahme der Werkleistung durch den Beklagten nicht erfolgt war. Der Beklagte berief sich wegen seiner Ansicht nach mangelhafter Leistungen auf ein Zurückbehaltungsrecht. In der mündlichen Verhandlung wies das Landgericht den Beklagten darauf hin, dass sein Vortrag zu Mängeln und Gegenrechten bisher unzureichend und unsubstantiiert sei. Der beklagte beantragte nach diesem Hinweis keinen Schriftsatznachlass zum möglichen weiteren Vortrag auf den Hinweis. Das Landgericht gab mit einem am Schluss der mündlichen  verkündeten Urteil der Klage statt. Die dagegen vom Beklagten eingelegte Berufung wird das OLG mit Beschluss (nach entsprechenden Hinweis) gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zum BGH war im Wesentlichen erfolgreich und führte zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG.

Der Beklagte hatte sowohl noch im erstinstanzlichen Verfahren (allerdings nach Urteilsverkündung und vor dessen Zustellung) als auch im Berufungsverfahren in Ansehung des Hinweises des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung ergänzend  vorgetragen. Das OLG wies diesen Vortrag nach § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO zurück. Diese Zurückweisung, so der BGH, beruhe auf einer  unrichtigen Anwendung der Norm. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gebiete dem Berufungsgericht, Vortrag zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO) das Ausbleiben von Vorbringen oder Beweisanträgen erstinstanzlich (mit) verhindert habe. Wird erstinstanzlich wesentlicher Vortrag einer Partei als unsubstantiiert zurückgewiesen oder  die Partei als beweisfällig angesehen, ohne dass ein erforderlicher Hinweis erfolgt sei, käme die Anwendung des § 531 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO in diesem Fall einer Verhinderung des Vortrages zu entscheidungserheblichen Punkten gleich  und damit einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör nach Art. 103 GG.

Vorliegend sei das Landgericht seiner Hinweispflicht nach § 139 ZPO nicht ausreichend nachgekommen. Die Hinweise hätten grundsätzlich so rechtzeitig zu erfolgen, dass die Partei Gelegenheit habe, ihre Prozessführung darauf einzustellen, § 139 Abs. 4 ZPO. Bei einem Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung und damit entgegen § 139 Abs. 4 ZPO  müsse der Partei genügend Zeit zur Reaktion gegeben werden. Kann sich die Partei ersichtlich im Termin nicht äußern, müsse das Gericht (geht es nichts ins schriftliche Verfahren über) auch ohne Antrag auf Schriftsatznachlass (der in § 139 Abs. 5 ZPO vorgesehen ist) die mündliche Verhandlung vertagen. Ein Unterlassen stellt sich als Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG dar.  

Vorliegend beruhe die Entscheidung des OLG auch auf diesem Verfahrensfehler, da nicht auszuschließen ist, dass das OLG bei Beachtung des zunächst nach mündlicher Verhandlung und wiederholt im Berufungsverfahren erfolgte  Vortrages als Reaktion auf die Hinweise vom Landgericht in der Sache anders entschieden hätte.

BGH, Beschluss vom 11.04.2018 - VII ZR 177/17 -

Freitag, 16. September 2016

Zwangsversteigerung: Zuschlagsverkündungstermin und Antrag auf Vertagung

Vorliegend hatte der Schuldner den Antrag auf Aufschiebung des Verkündungstermins für den Zuschlagsbeschluss mit der Begründung gestellt, er habe bzw. wolle beim Prozessgericht einen Antrag nach § 769 Abs. 1 ZPO (einstweilige Anordnung auf vorläufige Einstellung der Zwansgvollstreckung) stellen. Dies genügt nach Auffassung des BGH nicht.


Der BGH weist darauf hin, dass in der Regel der Beschluss über den Zuschlag  im Versteigerungstermin erfolgen soll, da alle beteiligten einen Anspruch auf rasche Klärung der Rechtslage haben. Dies gilt insbesondere auch für die Bietenden, die bis zur Verkündung an ihre Gebote gebunden bleiben.  So sei es auch ermessensfehlerhaft, wenn von einer sofortigen Verkündung abgesehen werde, da der betreibende Gläubiger dies beantragt, um mit dem Meistbietenden noch einen möglichen Zuschlag auf die gebotene Summe zu vereinbaren (mit der Möglichkeit, vor dem Zuschlag das aktuelle Verfahren durch Rücknahme zu beenden und so einen Zuschlag zu verhindern). Angemessen wäre eine Vertagung, wenn damit einer möglichen Verschleuderung des durch Ermöglichung einer Vollstreckungsschutzklage gem. § 765a ZPO entgegengewirkt wird.

Wenn aber der Schuldner einen Antrag nach § 769 Abs. 1 ZPO erst kurz vor oder im Termin ankündigt, rechtfertigt dies nicht die Vertagung der Verkündung des Zuschlagsbeschlusses. Es liegt in diesem Fall kein notwendiger zwingender Grund vor, weshalb das Ermessen des Rechtspflegers bei seiner Entscheidung gebunden ist und er abzulehnen hat.


BGH, Beschluss vom 12.05.2016 – V ZB 141/15 -