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Dienstag, 24. Oktober 2023

Videoaufzeichnung in WEG-Anlage und individueller Abwehranspruch

Die Klägerin als Wohnungseigentümerin begehrte den beklagten Wohnungseigentümern die Unterlassung der Aufstellung von Kameras, mit denen der Hausflur vor ihrer Wohnung aufgenommen werde. Die Parteien verglichen sich und erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das Amtsgericht erlegte der Klägerin die Kosten auf. Die dagegen von der Klägerin eingelegte sofortige Beschwerde hatte teilweise Erfolg und führte zur Kostenaufhebung der gegenseitigen Kosten.

Das Landgericht stellte unter Verweis auf den Beschluss vom 28.10.2008 - VIII ZB 28/08 - darauf ab, dass im Rahmen der hier nach § 91a ZPO zu treffenden Kostenentscheidung nicht in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen dieser Kostenfolge keine bedeutsamen Rechtsfragen entschieden werden müssten. Vorliegend sei die Sach- und Rechtlage keinesfalls als geklärt anzusehen, weshalb eine Kostenaufhebung sachgerecht sei.

Das Amtsgericht hatte die Klage als unzulässig angesehen. Dem wollte das Landgericht nicht ohne weiteres folgen und verwies darauf, dass zwar nach dem reformierten Wohnungseigentumsgesetz (zum 01.12.2020) Wohnungseigentümer Abwehransprüche nach § 1004 BGB bezüglich des gemeinschaftlichen Eigentums nicht mehr selbst geltend machen könnten und der Abwehranspruch aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG bei der Gemeinschaft liege (BGH, Urteil vom 28.01.2022 - V ZR 106/21 -).

Nach Auffassung des Landgerichts sei es der Klägerin hier aber nicht um derartige Ansprüche gegangen. Sie wolle vielmehr die Unterlassung von Videoaufzeichnungen vom Eingangsbereich ihrer Wohnung bzw. Beseitigung eines entsprechenden Überwachungsdrucks. Im Kern verlange sie das Unterlassen von Aufnahmen von ihr beim Betreten/Verlassen der Wohnung. Solche Ansprüche würden sich aus § 823 BGB iVm. dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder aus der DSGV ergeben und es würde sich nicht um Ansprüche handeln, die nach § 9a Abs. 2 WEG der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Ausübung übertragen worden seien. Die Ansprüche würden sich nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergeben und hätten ihre Rechtsgrundlage auch nicht in dem Verhältnis der Wohnungseigentümergemeinschaft. Es handele sich um Individualansprüche der jeweils Beeinträchtigten (hier der Klägerin); deren Eigenschaft (auch) als Wohnungseigentümer führe nicht dazu, dass die GdWE an deren Stelle den Anspruch geltend machen müsse. Es handele sich auch nicht um eine mittelbare Folge einer primären Störung des Gemeinschaftseigentums (BGH, Urteil vom 28.01.2022 - V ZR 106/21 -). Der auf Abwehr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts gerichtete Anspruch sie ein individueller Anspruch. Betroffen sei nicht die WE-Anlage insgesamt oder das Sonder- oder Gemeinschaftseigentum.

Offen sei u.a., ob der Unterlassungsanspruch im geltend gemachten Umfang der Klägerin zugestanden habe, zudem hätten die Beklagten die Aufstellung funktionierender Kameras bestritten. Der Rechtsstreit sei daher offen gewesen. 

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10.05.2023 - 2-13 T 33/23 -

Dienstag, 16. August 2022

Schadstoffkonzentration: Lkw-Durchfahrtsverbot und Unterlassungsklage der Anwohner

Recht (auch in Form von Gesetzen) und Rechtsanspruch (in Form der Geltendmachung des kodifizierten Rechts) sind zwei Seiten derselben Medaille. Dies mussten die Kläger, die die Beklagte wegen behaupteter Verstöße gegen ein Lkw-Durchfahrtsverbot in Anspruch nahmen, erfahren. Die Kläger hatten ein Vereinsgelände (auf dem Gelände befanden sich das Vereinsheim und eine Kindertagesstätte)   bzw. ein Wohnhaus an der H-Straße bzw. neben der H-Straße in der Straße Am W.  in Stuttgart-Hedelfingen innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone. Das Lkw-Durchfahrtsverbot war durch Zeichen 253 zu § 41 Abs. 1 StVO mit dem Zusatzzeichen nach § 38 Abs. 3 StVO „Lieferverkehr frei“ angeordnet worden.

Nach der Behauptung der Kläger verstoße die Beklagte, die eine Spedition betreibe, mehrmals täglich gegen das Durchfahrtsverbot. Daher sei ihre Gesundheit und die der Kinder durch die Feinstaub- und Stickoxidbelastung gefährdet. Sie begehrten eine Verurteilung auf Unterlassung der Befahrung der H-Straße mit Lkw mit einem höheren Gesamtgewicht als 3,5 Tonnen, sofern die Fahrt nicht dem Ziel der Verbringung von Gütern in die Verbotszone oder von Gütern aus der Zone diene.

Die Klage wurde vom Amtsgericht abgewiesen, die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Auch die zugelassene Revision zum BGH blieb erfolglos.

Das Unterlassungsbegehren ließe sich nicht aus § 1004 Abs. 1 iVm. § 823 Abs. 1 BGB aufgrund der Gesundheitsverletzung ableiten. Auch sei der Beklagten auf der Grundlage des klägerischen Vortrages keine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung der klägerischen Grundstücke iSd. § 906 BGB zuzurechnen, weshalb ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. § 906 BGB ausscheide.

Streitig war - im Revisionsverfahren - ob ein Anspruch der Kläger analog § 823 Abs. 2 iVm § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB bestünde. Dass aber hätte zur Voraussetzung, dass die Beklagte wegen der behaupteten Missachtung des durch Zeichen 253 nach § 41 Abs. 1 StVO im Wege eines Verwaltungsakts in Gestalt einer Allgemeinverfügung (BVerwG, Urteil vom 06.04.2016 - 3 C 10/15 -) angeordnetes Lkw-Durchfahrtverbot gegen ein auf das Rechtsschutzbegehren der Kläger ausgerichtetes Verbotsgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB verstoßen haben müssten, was der BGH verneinte.

Für einen Verstoß gegen ein Schutzgesetz sei erforderlich, dass es zumindest auch dazu dient, dem Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts oder Rechtsinteresses zu schützen. Nicht ausreichend sei, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden könne, vielmehr müsse der Individualschutz im Aufgabenbereich der Norm liegen (z.B. BGH, Urteil vom 13.03.2018 - VI ZR 307/18 -). In diesem Fall könne dies auch zu deliktischen Ansprüchen führen, auch wenn die im Einzelfall zur Konkretisierung der Ge- oder Verbote noch der Konkretisierung durch Verwaltungsakte bedürfen (BGH, Urteil vom 14.06.2005 - VI ZR 185/04 -). Das Schutzgesetz sei dann nicht der Veraltungsakt als solcher, sondern die jeweilige Eingriffsnorm, auf die der Verwaltungsakte beruhe.

Nicht nur müsse ein Gebot oder Verbot als Schutzgesetz das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und den Kreis der geschützten Personen hinreichend klarstellen und bestimmt sein. Weitere Voraussetzung sei, dass die Schaffung eines individuellen deliktischen Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheine. Dazu müsse der gesamte Regelungszusammenhang, in den die Norm gestellt sei, dahingehend geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen könne, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten Haftungs- und Beweislasterleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil vom 23.07.2019 - VI ZR 307/18 -).

Das Landgericht habe festgestellt, dass das Lkw-Durchfahrtsverbot eine im „Lauftreinhalte- und Aktionsplan“ für Stuttgart vorgesehene Maßnahme zur Verbesserung der Luftqualität sei, welche also planerische Vorgaben iSv. § 47 Abs. 1 und 2 BImSchG umsetze. Umgesetzt würden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Abs. 1 BImSchG festgelegten Immissionsgrenzwerte. Für den Straßenverkehr sei in Bezug auf Feinstaub- und Stickstoffdioxidkonzentrationen die 39. BImSchV vom 02.08.2010 als Umsetzung europäischer Normen von Bedeutung.

Maßgeblich sei daher für die Beurteilung der Schutzgesetzqualität des Durchfahrtsverbots § 40 Abs. 1 S. 1 BImSchG, wonach die zuständige Straßenverkehrsbehörde den Kraftfahrzeugverkehr nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften beschränke oder verbiete, soweit ein Luftreinhalteplan oder ein Plan für kurzfristige Maßnahmen nach § 47 Abs. 1 oder 2 BImSchG dies vorsehe. Nach den dargelegten Maßstäben sei daher das im „Luftreinhalte- und Aktionsplan“ vorgesehene Lkw-Durchfahrtsverbot kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der einzelnen Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone.

Zweck des § 40 Abs. 1 S. 1 BImSchG sei die Durchsetzung von Verkehrsbeschränkungen, die in Rechtsverordnungen nach § 48a Abs. 1 BImSchG festgelegt worden seien. Dies diene dem Gesundheitsschutz. Daraus ließe sich aber (entgegen anderweitiger Ansicht) noch nicht ergeben, dass es in der Intention des Gesetzgebers lag, dem Einzelnen generell einen individuellen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch bei Zuwiderhandlungen zu gewähren. Im Streitfall sei das Lkw-Durchfahrtverbot für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen angeordnet worden, um die Luftqualität zu verbessern und einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte entgegenzuwirken. Die Kläger seien nur als Teil der Allgemeinheit davon begünstigt, was bereits gegen den Schutz von Einzelinteressen spräche. Schon durch die Größe der Verbotszone könne nicht angenommen werden, könne nicht angenommen werden, dass die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone durch Kraftfahrzeuge verursachten Immissionen für jeden Anlieger in der Zone eine Gefahr der Überschreitung der Werte an seinem Aufenthaltsort und damit eine potentielle Gesundheitsgefährdung verursachen könnten. Dafür, dass die streitgegenständlichen Planmaßnahmen einen Anspruch auf Normvollzug zwischen einzelnen Bürgern begründen sollten, sei nichts ersichtlich.

Auch könnten sich die Kläger nicht auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts (effet utile) berufen. Zwar seien nach der Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft für Europa Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften zu sanktionieren; da aber der Verstoß gegen das Lkw-Durchfahrtsverbot eine Verkehrsordnungswidrigkeit sei (§ 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, § 24 Abs. 1 StVG) gäbe es diese Sanktionen, wenn auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach dem Opportunitätsprinzip im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde liege (§ 47 Abs. 1 OWiG).

BGH, Urteil vom 14.06.2022 - VI ZR 110/21 -

Donnerstag, 8. März 2018

WEG: Fehlende Beschlusskompetenz des Verbandes zum Verlangen auf Zustimmung zur Änderung der Teilungserklärung


In einem Vorprozess wurde die Kostenverteilungsregelung der Gemeinschaftsordnung des Wohnungseigentümergemeinschaft, der die Parteien angehören, als unwirksam eingestuft. Einige Miteigentümer haben daraufhin eine Vereinbarung notariell beurkunden lassen, nach der Umlagenschlüssel als auch Regelungen zu Sondernutzungsrechten, Instandhaltungspflichten u.a. geändert wurden. Sie forderten die übrigen Miteigentümer zur notariellen Zustimmung auf. Mit Ausnahme des Klägers waren diese dem nachgekommen. Im Rahmen einer Wohnungseigentümerversammlung wurde dann der auf der Tagesordnung angekündigte Beschluss gefasst, die Hausverwaltung zu beauftragen und zu ermächtigen, außergerichtlich und nötigenfalls gerichtlich die noch fehlende Zustimmung des Klägers einzuholen und durchzusetzen. Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger Anfechtungsklage.

Das Amtsgericht wies die Klage ab, das Landgericht gab ihr statt. Die zugelassene Revision der Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft habe keine Beschlusskompetenz gehabt. § 23 Abs. 1 WEG regele die Beschlussfassung zu Angelegenheiten, über die nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) oder der Vereinbarung (Teilungserklärung / Gemeinschaftsordnung) qua Beschluss entschieden werden könne. Es fehle daher an der Beschlusskompetenz, wenn diese Voraussetzung nicht gegeben sei mit der Folge, dass ein dennoch gefasster Beschluss wegen absoluter Unzuständigkeit nichtig sei.

Vorliegend sei die Hausverwaltung beauftragt und ermächtigt worden, von dem Kläger die Zustimmung zur Änderung der Teilungserklärung  einzuholen und auch ggf. gerichtlich durchzusetzen. Der Beschluss sei so zu verstehen, dass eine alleinige Ausübungsbefugnis des Verbandes für die Individualansprüche der Wohnungseigentümer aus § 10 Abs. 2 S. 3 WEG begründet werden sollte. Nach § 10 Abs. 2 S. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung (Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung) verlangen, wenn ein Festhalten an der bisherigen Regelung aus besonderen Gründen im Einzelfall unbillig erscheint. Die mögliche Kompetenzgrundlage des § 10 Abs. 6 S. 3 WEG käme aber vorliegend nicht zum Tragen, da es sich bei § 10 Abs. 2 S. 3 WEG um einen Individualanspruch handele und für einen solchen die Kompetenz des Verbandes nicht begründet werden könne.

Der BGH weist darauf hin, dass § 10 Abs. 6 S. 3 WEG sich nur auf Rechte und Pflichten aus der Verwaltung beziehe, nicht aber auf das Sondereigentum einzelner Wohnungseigentümer oder deren individuelle Mitgliedsrechte. Die Regelung in § 10 Abs. 2 S. 3 würde dem Einzelnen einen Anspruch im Einzelfall bei besonderen Umständen zuerkennen, der sich nicht auf das Gemeinschaftseigentum und dessen Veraltung bezöge, sondern ausschließlich auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gemeinschaftsverhältnisses. Zudem beträfe § 10 Abs. 2 S. 3 WEG den Kernbereich des Mitgliedschaftsrechts, der generell der Vergemeinschaftung entzogen sei. Der Änderungsanspruch diene gerade dem individuellen Schutz des Einzelnen im Innerverhältnis der Wohnungseigentümer und dieser Schutz würde zur Disposition der Mehrheit gestellt, wenn die Wohnungseigentümer den Änderungsanspruch auf den Verband gem. § 10 Abs. 6 S. 3 WEG übertragen könnten.

Die eine Änderung der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung wünschenden  Wohnungseigentümer könnten hier zwecks Vermeidung widerstreitender Entscheidungen gemeinsam klagen oder sich darauf verständigen, dass nur einer klagt. Im übrigen bliebe offen, ob hier überhaupt (gar insgesamt) die beabsichtigten Änderungen Inhalt des Individualanspruchs nach § 20 Abs. 2 S. 3 WEG sein könnten.

BGH, Urteil vom 13.10.2017 - V ZR 305/16 -