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Samstag, 18. November 2023

Rechtliches Gehör: Übergehen des Kerninhalts des eingeführten Privatgutachtens

Die Klägerin machte aus nach § 86 VVG die auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Brandschaden gegen die beklagte Herstellerin einer Geschirrspülmaschine geltend, die nach der Behauptung der Klägerin ursächlich für den Brand gewesen sein soll. Die Klage und die Berufung gegen das klageabweisende Urteil wurden zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Die Aufhebung und Zurückverwesung erfolgte, da sich das OLG als Berufungsgericht nach Auffassung des BGH mit dem wesentlichen Vortrag der Klägerin zum konkreten Brandherd hinter einem Bedientableau der Geschirrspülmaschine sowie zum Ausschluss anderweitiger Brandursachen nicht auseinandergesetzt und dadurch die Klägerin in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) verletzt habe. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichte Gerichte dazu, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Erwägungen einzubeziehen. Zwar müsse sich das Gericht nicht mit jedem von einer Partei vorgebrachten Gesichtspunkt auseinandersetzen (vgl. auch § 313 Abs. 2 ZPO), doch müsse es auf den Kern der Tatsachenvortrages einer Partei eingehen, der für das Verfahren von zentraler Bedeutung sei (BVerfG, Beschluss vom 25.09.2020 - 2 BvR 854/20 -), was sich aus den Entscheidungsgründen erkennen lassen müsse (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VI ZR 204/14 -).

Zwar habe das OLG im Tatbestand seines Urteils die Einwendungen der Klägerin umfassend aufgeführt, allerdings ließen die Entscheidungsgründe eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin nicht erkennen.

Soweit das OLG darauf hingewiesen habe, dass die elektrische Anlage nicht untersucht worden sei, fehle es an einer Auseinandersetzung mit dem auf dem Privatgutachten gestützten Vortrag der Klägerin, wonach die Ursächlichkeit der „elektrischen Anlage“ bzw. der „Elektroinstallation“ bereits aufgrund der zur Verfügung stehenden Bilder des Brandortes, der Auskunft des Netzbetreibers bzw. der im Einzelnen ausgeführten technischen Erwägungen ausgeschlossen werden könne.

Gestützt auf das Privatgutachten hatte die Klägerin im Einzelnen u.a. vorgetragen, dass sich das Feuer ausgehend von der hinter dem Bedienfeld befindlichen Platine nach oben entwickelt habe und dass im unmittelbaren Brandumfeld neben der Geschirrspülmaschine keine weitere Brandursache in Betracht käme. Das Brandbild, welches sich entwickelt habe, könne nur von der bis zum Bedientableau unter Spannung gestandenen Geschirrspülmaschine entwickelt worden sein und nur aufgrund eines technischen Defekts eines elektronischen Bauteils derselben entstanden sein, da andere Zündquellen nicht ersichtlich seien. Auch habe es nach (vorgelegter) Auskunft des Netzbetreibers keine Überspannung gegeben.

Die Erwägung des OLG, die Geschirrspülmaschine sei mittlerweile  entsorgt worden und könne nicht mehr begutachtet werden, weshalb sich die Brandursache nicht mehr feststellen lasse, stelle sich auch nicht als Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Klägerin dar, die unter Zugrundlegung des Privatgutachtens darauf hinwies dass mit den Lichtbildern des Brandortes und den – von den Zeugen bekundeten – Erkenntnissen vor Ort ausreichend Indizien für die Brandursächlichkeit eines Produktfehlers bestünden.

Eine Gehörsverletzung muss, damit die Rüge Erfolg hat, entscheidungserheblich sein. Das bejahte der BGH vorliegend, da nicht auszuschließen sei, dass das OLG bei gebotener Auseinandersetzung mit dem privatsachverständig gestützten Vortrag der Klägerin zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Der BGH wies das OLG für das weitere Verfahren darauf hin, dass der Geschädigte nur beweisen müsse, dass ein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst sei. Nicht aufklären müsse der Geschädigte, ob der Produktfehler auf eine von dem Hersteller zu verantwortende Verletzung der Sorgfaltspflicht zurückzuführen sei und auf welche Weise die (etwaige) Pflichtverletzung zur Fehlerentstehung geführt habe (BGH, Urteil vom 30.04.1991 - VI ZR 178/90 -). Würden nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme alle verbleibenden möglichen Ursachen erwiesenermaßen aus dem Verantwortungsbereich des Herstellers stammen, sei ein Produktfehler nachgewiesen. Dabei käme es nicht darauf an, ob es sich um einen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler handele (BGH, Urteil vom 24.11.1976 -VIII ZR 137/75 -).  Der Umstand, dass der angeblich produktfehlerhafte Gegenstand nicht mehr vorhanden sei, schließe den Beweis eines Produktfehlers nicht grundsätzlich aus.

BGH, Beschluss 28.03.2023 - VI ZR 29/21 -

Freitag, 27. Oktober 2023

Videoverhandlung und rechtliches Gehör für präsente Partei

Die Prozessordnungen sehen (teils seit vielen Jahren) die Möglichkeit vor, dass eine Teilnahme an mündlichen Verhandlungen vor Gerichten in Form der Videozuschaltung erfolgt. Seit Corona nimmt diese Art der Verfahrensteilnahme zu. Aber auch hier sind rechtstaatliche Grundsätze zu achten, sowohl im Hinblick auf den per Video zugeschalteten Teilnehmer der Verhandlung, wie auch (wie der der hiesigen Besprechung zugrunde liegende Fall zeigt) der im Gericht anwesenden Teilnehmer.

 Die Klägerin, die Akteneinsicht begehrte und diesbezüglich vor dem Finanzgericht (FG) Klage erhob, nahm an dem vom FG anberaumten Verhandlungstermin vor Ort (in der Person ihres Geschäftsführers) im Gerichtssaal teil. Dem Vertreter des Finanzamtes (FA) war auf Antrag gestattet worden, aus dem Dienstgebäude des FA heraus mittels Videokonferenz an der Verhandlung teilzunehmen, § 91a Abs. 1 S. 1 FGO. Die Klage wurde abgewiesen. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machte die Klägerin u.a. als Verfahrensfehler geltend, dass während der Videoverhandlung das Bild des FA nicht vor ihr auf einem Bildschirm erschien, sondern nur hinter ihr an die Wand projiziert worden sei. Daher habe sich der Geschäftsführer umsehen müssen und so abwechselnd zwischen Richterbank und dem FA wechseln müssen. Das sei unzulässig, da so nicht die Möglichkeit bestanden habe, die Mimik und Gestik aller Teilnehmer der mündlichen Verhandlung zu erfassen. Auch habe der Geschäftsführer einem Redebeitrag des FA erst nach Körperdrehung folgen können, wenn dieser bereits begonnen habe. Das FA wandte u.a. ein, der Geschäftsführer habe die benannten Umstände während der Verhandlung nicht gerügt.

Der BFH gab der Beschwerde statt. Er sah hier eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG), weshalb er das Urteil des FG aufhob und den Rechtsstreit dorthin zurückverwies.

Rechtliches Gehör werde u.a. durch die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gewährt; Art. 103 Abs. 1 GG setze voraus, dass sich die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt über den gesamten Verfahrensstoff informieren können (BVerfG, Beschluss vom 08.06.1993 – 1 BvR 878/90 -).  Das Gericht könne den Beteiligten auf Antrag die Teilnahme in Form der „Videoübertragungstechnik“ erlauben, die „ohne Verlust an rechtsstaatlicher Qualität“ genutzt werden dürfe (BT-Drucks. 17/112, S. 10). Das Geschehen müsse vollständig übermittelt werden (dürfe sich also nicht auf einzelne Beteiligte beschränken) und jeder Beteiligte müsse zeitgleich die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können.

Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs bei Videoübertragungen stellte der BFH fest: Jeder Beteiligte müsse zeitgleich die Richterbank du die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können. Daran ermangele es, wenn ein anwesender Beteiligter einen zugeschalteten Beteiligten nur sehen könne, wenn er sich selbst um 180° wenden würde. Dem Geschäftsführer sei es ohne sich entsprechend zu wenden nicht möglich gewesen, den Vertreter des FA bzw. die Richterbank zu sehen; ein zeitgleiches Sehen sei ausgeschlossen gewesen. Damit könnten ihm Einzelheiten, wie Mimik und Gestik, entgehen und - anders als im Rahmen einer Verhandlung in Anwesenheit aller Beteiligter – mögliche nonverbale Kommunikationen zwischen einem Beteiligten und der Richterbank entgehen. Selbst wenn im Regelfall die Beteiligten (Kläger / Beklagte) bei Präsenzverhandlungen nebeneinander sitzen würden, würden sie doch aus den Augenwinkeln eine entsprechende nonverbale Kommunikation mitbekommen können. Auch bestünde durch das widerholte Hin- und herschauen die Gefahr, dass der Geschäftsführer abgelenkt würde und deshalb seine Konzentration auf den Prozessstoff beeinträchtigt würde.

Auch wenn das Finanzgericht in Abwesenheit eines Beteiligten verhandeln und entscheiden könne (§ 91 Abs. 2 FGO), würde der per Videoverhandlung Beteiligte nicht abwesend sein und müsse daher der andere Beteiligte in der Lage sein, dessen verbalen und nonverbalen Äußerungen umfassend wahrzunehmen.

Die Klägerin sei mit ihrer Rüge auch nicht ausgeschlossen. Zwar würde grundsätzlich das Rügerecht gem. § 295 Abs. 1 ZPO iVm. § 155 S. 1 FGO verlorengehen, wenn ein verzichtbares Verfahrensrecht betroffen sei, wobei für den Verlust ausreichend sei, wenn eine rechtzeitige Rüge unterlassen würde. Allerdings würde dies nur in den Fällen angenommen, in denen der Kläger rechtskundig vertreten würde (BFH, Beschluss vom 29.10.2004 – XI B 213/02 -). Im finanzgerichtlichen Verfahren sei die Klägerin nicht rechtskundig vertreten gewesen. Zudem sei bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre ein Verfahrensmangel im Hinblick auf den Rahmen der Videoverhandlung nicht ohne weiteres erkennbar.

BFH, Beschluss vom 18.08.2023 - IX B 104/22 -

Samstag, 21. Oktober 2023

Zur Frage des zulässigen Beweismittels: Kamera filmt Beschädigung am abgestellten Kfz

Mit seinem Urteil vom 15.08.2018 - VI ZR 233/17 - hatte der BGH entschieden, dass die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens mit datenschutzrechtlichen Regelungen nicht vereinbar sei. Die Nutzung von Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgesehen gefertigt habe, sei in einem Unfallhaftpflichtprozess gleichwohl verwertbar. Daran anknüpfend entschied das AG Lörrach einen Fall, bei dem mittels einer aufgestellten Wildkamera festgestellt werden sollte, wer ein Fahrzeug durch Beibringung von Kratzern schädigt.

Der Beklagte ist Eigentümer, der Kläger und der Drittwiderbeklagte sind Mieter einer Immobilie, in der neben den benannten auch die Eltern des Klägers und des Beklagten wohnen. Am Fahrzeug des auf dem Grundstück abgestellten Fahrzeugs des Klägers (dessen Eigentum vom Beklagten bestritten wurde) kam es im Zeitraum Oktober und November 2020 zu immer neuen Kratzern an dem Fahrzeug, weshalb der Drittwiderbeklagte am 26.11.2020 (im Einvernehmen mit dem Kläger), nachdem zuletzt neue Kratzer am 20.11.2020 festgestellt wurden, eine Wildkamera aufstellte, die das Fahrzeug und den Hauseingang filmte. Diese nahm nur auf, wenn der Bewegungssensor derselben Bewegungen feststellte. Am 30.11.2020 ist der Beklagte sichtbar, wie er sich - mit einem Schlüssel – am Heck des Fahrzeugs befindet. Den Schaden durch Kratzer verlangte der Kläger vom Beklagten; die Kratzer habe der Beklagte mit einem spitzen Gegenstand, wie einem Schlüssel, hineingeritzt.  Der Beklagte bestritt dies; er habe sich das Fahrzeug nur auf Wunsch seiner Mutter angesehen; zudem sei das Video der Wildkamera unverwertbar. Drittwiderklagend beantragte er festzustellen, dass der Drittwiderbeklagte keine Schadensersatzansprüche gegen ihn im Zusammenhang mit der Schädigung habe. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht (AG) wurde das sich in der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte befindliche Video angesehen.

Das AG stellte zunächst fest, dass der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs sei (was bestritten war). Mangels Eigentums hätte ansonsten seine Klage abgewiesen werden müssen. Das AG kam aufgrund der Videoaufzeichnung zu dem Ergebnis, dass der Schaden vom Beklagten verursacht wurde. Damit stellte sich die Frage der Verwertbarkeit der Aufzeichnung.

Dahingestellt ließ das AG, ob die Aufnahmen rechtmäßig waren. Es spräche allerdings vieles dafür, dass sie nach Art. 6 Datenschutzverordnung (DSGVO) unrechtmäßig erfolgten, wobei insbesondere zu berücksichtigen sei, dass die Aufnahmen auf dem Grundstück des Beklagten erfolgten und dieser mithin ohne Kenntnis in seinem privaten Bereich gefilmt wurde. Allerdings würden auch rechtswidrig erlangte Aufnahme nicht zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Das Interesse des Klägers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, verankert im Grundgesetz mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 GG iVm. dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege und einer materiell richtigen Entscheidung auf der einen Seite, sei mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art, 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informelle Selbstbestimmung und ggf. als Recht am eigenen Bild, soweit er auf einer Aufnahme erkennbar sei, abzuwägen (BGH, Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17 -). Nach Maßgabe einer abgestuften Schutzwürdigkeit, in denen sich die Persönlichkeit verwirkliche, würden die sogen. sensitiven Daten (zugeordnet der Intim- und Geheimsphäre) besonderen Schutz genießen. Geschützt sei aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung persönlicher Lebenssachverhalte, die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören würden.

Da die Kamera auf dem eigenen Grundstück des Beklagten aufgestellt gewesen sei und auch der Eingangsbereich des Hauses (und damit das Rein- und Rausgehen des Beklagten) zu sehen sei, sei ein sensibler Bereich betroffen. Man könne davon ausgehen, dass das eigene Grundstück ein geschützter Bereich sei, auf dem auch keine ungenehmigten Videoaufzeichnungen gefertigt werden dürfen. Zu berücksichtigen sei aber dass nur ein kleiner Bereich gefilmt worden sei und im Vordergrund das Fahrzeug zu sehen sei. Auch würde nur ein Teil gefilmt, bei dem man idR. nur kurz durchlaufen würde und keine besondere die Persönlichkeit entfaltende Tätigkeit vornehme. Damit sei die Privatsphäre des Beklagten hier nur in einem untergeordneten Maße betroffen gewesen.

Auf der anderen Seite sei der Kläger in schwerer Beweisnot gewesen. Er hatte in einem kurzen Zeitraum mehrere Beschädigungen an seinem Fahrzeug entdeckt und habe mit weiteren zu rechnen gehabt. Für ihn sei auch nicht auszuschließen gewesen, dass der Beklagte der Täter war (was hier vom AG nicht weiter ausgeführt wurde). Es sei bei dem Kläger das Rechtsgut Eigentum durch Sachbeschädigung betroffen, was als gewichtig anzusehen sei. Er und der Drittwiderbeklagte seien eingriffsschonend vorgegangen; so sei nur eine Wildkamera mit Bewegungssensor aufgestellt worden. Diese sie am 26.11. aufgestellt worden und am 30.11.2022 hätten sich der Kläger und der Drittwiderbeklagte mit dieser Aufnahme begnügt. Es sei ihnen also nur um die Beweissicherung der erfolgten Beschädigung gegangen.

Einer Verwertung der Aufzeichnung stünde nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten entgegen. Die Privatsphäre des Beklagten sei nicht stark betroffen. Demgegenüber sei die Beweisnot des Klägers als hoch anzusehen. Der Umstand, dass auch Dritte von den Aufnahmen betroffen sein könnten, ändere an der Abwägung nichts. Ihrem Schutz sei durch die Regelungen des Datenschutzes selbst auch Rechnung getragen (BGH aaO.). Für den Kläger spreche dessen Interesse an der materiellen Wahrheit im Zivilprozess. Das Recht am eigenen Bild des Beklagten ändere auch nichts an der Abwägung, da ein Verbreiten nach § 22 KunstUrhG nicht beabsichtigt gewesen sei und auch nicht stattgefunden habe.

Der Beklagte könne sich auch nicht auf das einen ähnlichen Sachverhalt betreffende Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.11.2001 – 12 U 180/21 – berufen, da diese vor dem Urteil des BGH zur Dashcam (aaO.). berufen- Das OLG habe auf das Interesse unbeteiligter Dritter abgestellt, was aber nach der BGH-Entscheidung nicht mehr stark zu gewichten sei. Bei dem beklagtenseits benannten Urteil des OLG Köln vom 05.07.2005 – 24 U 12/05 – sei es um Aufzeichnungen in einer Waschküche, und damit einem sensiblen Bereich gegangen, wie er hier nicht vorgelegen habe. Ebenso wenig greife das Urteil des LG Mühlhausen vom 12.05.2020 – 6 O 486/18 – zugunsten des Beklagten, da es sich dort um anlasslose Aufnahmen gehandelt habe, demgegenüber hier die kurzzeitigen Aufnahmen unter schwerer Beweisnot des Klägers bei zu befürchtenden weiteren Schädigungen erfolgt seien.

Der Klage wurde stattgegeben, der Drittwiderklage wurde stattgegeben (darauf wurde oben nicht näher eingegangen).

AG Lörrach, Urteil vom 27.02.2023 - 3 C 111/22 -

Donnerstag, 27. April 2023

Anhörungsrüge gegen Beschluss zur vorangegangenen Anhörungsrüge ?

Die Berufung des Klägers gegen ein Urteil eines Arbeitsgerichts wurde vom Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen. Das Landesarbeitsgericht hatte die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wurde vom Kläger Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) zum Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. Diese wurde vom BAG nicht angenommen. Gemäß § 78a ArbGG erhob der Kläger Anhörungsrüge, die vom BAG zurückgewiesen wurde. Gegen den Zurückweisungsbeschluss erhob der Kläger ebenfalls Anhörungsrüge; diese wurde vom BAG als unzulässig zurückgewiesen.

Die Anhörungsrüge gem. § 78a ArbGG entspricht der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO und nach § 178a SGG, 152a VwGO, 133a FGO. Das BAG zeigte die Grenzen der Anhörungsrüge auf, die sich auch aus Sinn und Zweck der Normen erklärt. Sie kann von dem Rechtssuchenden erhoben werden, wenn gegen eine Entscheidung eines Gerichts kein ordentliches Rechtsmittel mehr möglich ist und r der Ansicht ist, die Entscheidung beruht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs (so dem Übergehen von Vortrag und/oder Beweisangeboten).

Vom BAG wurde ausgeführt, dass die weitere Anhörungsrüge unzulässig sei, da ein erneuter Rechtsbehelf gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhörungsrüge als unzulässig verworfen bzw. als unbegründet zurückgewiesen wurde, unanfechtbar sei und von daher die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses gem. § 78a Abs. 4 S. 4 ArbGG der erneuten Rüge entgegenstehen würde (BAG, Beschluss vom 19.11.2014 - 10 AZN 618/14 (A); entsprechend zu § 321a Abs. 4 S. 4 ZPO BGH Beschluss vom 02.03.2015 - V ZR 219/13 -). Dies sei auch vom Bundesverfassungsgericht so gesehen worden (BVerfG, Beschluss vom 26.04.2011 - 2 BvR 597/11 -).

Das gelte auch dann, wenn die (erste) Anhörungsrüge wegen Fristversäumnis (es gilt hier eine Notfrist von zwei Wochen, die mit Kenntnis [Zustellung] der Entscheidung, zu der die Anhörungsrüge erhoben wird) zurückgewiesen worden sei und damit keine inhaltliche Entscheidung getroffen wurde.

§ 78a ArbGG (und entsprechendes gilt auch für § 321a ZPO) trage dem Rechtsstaatsprinzip Rechnung, demzufolge dem Rechtssuchenden die Möglichkeit gewährt werden müsse, eine behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht (also eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG) einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Käme dies nicht zum Tragen, da es dem Rechtssuchenden nicht gelinge, die gesetzlich vorgeschriebene Formalien einzuhalten, sei das vom Gesetzgeber eröffnete Mindestmaß an Rechtsschutz gewahrt und trete nunmehr das auch im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Rechtssicherheit in den Vordergrund (BVerfG, Beschluss vom 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 -).

Der Beschluss des BVerfG vom 30.04.2003 war Auslöser für die Einfügung der §§ 321a ZPO und 78a ArbGG, da das BVerfG - wohl in Ansehung der Flut von Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Fachgerichte - darauf verwies, dass das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe im Falle der Verletzung rechtlichen Gehörs fordere und insoweit dem Gesetzgeber eine Frist setzte, dies zu schaffen. Nimmt mithin der Rechtssuchende an, eine Entscheidung eines Gerichts beruhe auf der Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nach den nunmehr in den einschlägigen Gesetzen geregelten Gehörsrüge der Rechtssuchende gehalten, eine Anhörungsrüge zu erheben, in der er unter Einhaltung der Frist darlegen muss, worin die Verletzung rechtlichen Gehörs liegt und welche Auswirkungen diese angenommene Verletzung auf den Ausgang des Prozesses hat. Eine Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs ist demgegenüber subsidiär, kann also nur erhoben werden, wenn zuvor (erfolglos) die Anhörungsrüge erhoben wurde. Wird der Anhörungsrüge vom Fachgericht nicht stattgegeben, gleich aus welchen Gründen, ist damit auch dann eine weitere Anhörungsrüge ausgeschlossen, wenn das Fachgericht tatsächlich auch bei dieser das rechtliche Gehör verletzt haben würde (was aber dann nicht der Fall wäre, wenn die Anhörungsrüge nicht Frist- und Formgericht erhoben wurde du deshalb zurückgewiesen wurde). Auch weiterhin ist mithin eine Verfassungsbeschwerde gegen eine nicht rechtmittelfähige Entscheidung eines Fachgerichts möglich (§ 13 Nr. 8a BVerfGG iVm. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Wird also im Rahmen der Anhörungsrüge durch das Fachgericht dem Erfordernis des rechtlichen Gehörs nicht entsprochen oder beruht die Zurückweisung der Anhörungsrüge als unbegründet (neuerlich) auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nunmehr grundsätzlich für den Rechtssuchenden die Verfassungsbeschwerde eröffnet.

BAG, Beschluss vom 21.03.2023 - 6 AZN 56/23 (F) -

Freitag, 21. April 2023

Substantiierungsanforderung der Geltendmachung von Werklohn auf Stundenlohnbasis

Die Klägerin machte Vergütungsansprüche auf Basis von behaupteten aufgewandten Stunden geltend, die sie mit e 38,00/Stunde netto abrechnete. In der Schlussrechnung wurden die in mehreren Rechnungen bereits berechneten Leistungen Rechnungen von ihr zusammengefasst und die Stunden aufgelistet. Die Auftragserteilungen sollen teilweise durch den Geschäftsführer der Beklagten, teilweise dessen Bauleiter erfolgt sein. Das Landgericht wies die Klage ohne Beweisaufnahme ab, das Oberlandesgericht (OLG) die Berufung mit Beschluss nach § 522 ZPO zurück.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin führte zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und zur Zurückverweisung an das OLG. Das OLG habe entscheidungserheblich den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, Art. 103 Abs. 1 GG. Nach Art. 103 Abs. 1 GG müsse das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in seine Erwägungen einbeziehen. Dazu gehöre auch, den Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und, wenn es sich um eine zentrale Frage handele, in den Entscheidungsgründen zu bescheiden.  Das rechtliche Gehör sei verletzt, wenn die Begründung nur den Schluss zulasse, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (BGH, Beschluss vom 17.06.2020 - VII ZR 111/19 -).

Zwar wurde von der Klägerin nicht vorgetragen, dass der Bauleiter von der Beklagten bevollmächtigt gewesen sei. Dies sei aber der unter Beweis gestellte Kern der Angaben der Klägerin, in denen sie behauptete, ab dem 13.05.2016 vom Bauleiter oder dem Geschäftsführer der Klägerin oder beiden gemeinschaftlich mit zusätzliche Malerarbeiten beauftragt worden zu sein und der Geschäftsführer der Beklagten haben von den Arbeiten der Klägerin Kenntnis genommen.

Zu den Stundenlohnarbeiten beruhe die Verletzung rechtlichen Gehörs darin, dass das OLG überspannte Substantiierungsanforderungen gestellt habe und deshalb den Sachvortrag der Parteien nicht zur Kenntnis genommen und die angebotenen Beweise erhoben zu haben (BGH, Beschluss vom 10.08.2022 - VII ZR 243/19 -).

Der nach Zeitaufwand abrechnende Unternehmer müsse im Ausgangspukt nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, wie viele Stunden er für die Erbringung der Vertragsleistungen mit welchem Stundensatz angefallen seien. Nicht erforderlich sei für eine schlüssige Abrechnung eines Stundenlohnvertrages eine Differenzierung dergestalt, dass die abgerechneten Arbeitsstunden einzelnen Tätigkeiten zugeordnet und/oder nach zeitlichen Abschnitten aufgeschlüsselt würden, auch wenn dies sinnvoll sein mag. Erforderlich sei dies nicht, weil die Bemessung und damit die im Vergütungsprozess angestrebte Rechtsfolge nicht davon abhängig sei, wenn der Unternehmer welche Tätigkeiten ausführte, weshalb eine entsprechende Angabe nur erforderlich sei, wenn die Vertragsparteien eine entsprechende detaillierte Abrechnung vereinbart hätten (BGH, Urteil vom 17.04.2009 - VII ZR 164/07 -). Ohne eine entsprechende Vereinbarung sei es Sache des Bestellers, eine Begrenzung der Stundenlohnvergütung dadurch zu bewirken, dass er Tatsachen vorträgt, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung des Unternehmers ergebe (BGH, Urteil vom 17.04.2009 - VII ZR 164/07 -).

Damit seien die Angaben der Klägerin zur Anspruchshöhe schlüssig gewesen. Sie habe angegeben, dass sie für insgesamt 15 Häuser Malerarbeiten durchgeführt habe, bei den Häusern 1 - 6 und 15 sowohl im Innen- wie auch im Außenbereich, bei den Häusern 7 - 14 nur im Außenbereich. Sie habe auch ausgeführt, wie viele Stunden auf welche Gewerke entfallen wären. Soweit im Streitstünde, ob es sich bei den abgerechneten Stunden um Nachbesserungsarbeiten gehandelt habe, obläge es der Beklagten als Besteller, diese Umstände darzulegen.

BGH, Beschluss vom 01.02.2023 - VII ZR 882/21 -

Donnerstag, 6. Oktober 2022

Arzthaftung: Anhörung des Patienten zum Entscheidungskonflikt bei korrekter Aufklärung

Der Kläger wurde vom beklagten Augenarzt behandelt. Es erfolgte ein refraktiver Eingriff bei Kurzsichtigkeit. In Vollnarkose erfolgte eine LASIK-Laserbehandlung, bei der es infolge des Kneifens des Auges zu einer Dezentrierung des Laserschnitts kam. Der Beklagte brach daraufhin die LASIK-Behandlung ab und führte  eine photoreaktive EXCIMER-Laserbehandlung (PRK) durch. Einige Zeit später behandelte er das andere Auge des Klägers ebenfalls eine Revisions-PRK durch.  Der Kläger machte fortbestehende Sehbeschwerden und Augentrockenheit als Folge der Behandlung geltend; er rügte eine vom Beklagten unterlassene Aufklärung über die Risiken der Operation. Das Landgericht wies die Klage ab; die Berufung des Klägers wurde mit Beschluss nach § 522 ZPO zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bei dem BGH wurde der Beschluss des OLG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen.

Das OLG unterstellte zugunsten des Klägers eine unterlassene Aufklärung des Klägers über die Risiken einer PRK-Operationstechnik, ferner, dass es sich dabei um eine Behandlungsalternative zum LASIK-Verfahren handele. Eine Anhörung des Klägers sei nicht erforderlich, da eine hypothetische Einwilligung des Klägers vorläge; einen Entscheidungskonflikt habe der Kläger nicht plausibel schriftsätzlich dargelegt. Diese Ausführungen des OLG, so der BGH, würden den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) entscheidungserheblich verletzen.

Genüge die ärztliche Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen könne der behandelnde Arzt geltend machen, dass der Patient auch bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die verwandte Behandlungsmethode eingewilligt hätte, § 630h Abs. 2 S. 2 BGB. Die Nachweispflicht dafür obläge dem Arzt. Allerdings setze dies voraus, dass zuvor der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel mache, dass er bei einer rechtzeitigen ordnungsgemäßen Aufklärung über Risiken des Eingriffs vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte (so bereits BGH, Urteil vom 21.05.2019 - VI ZR 119/18 -). Dabei könnten an die Substantiierungsanforderung zu einem solchen Konflikt keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Entscheidend sei die persönliche Entscheidungssituation des jeweiligen Patienten; nicht käme es darauf an, was aus ärztlicher Sicht erforderlich oder sinnvoll sei und wie ein „vernünftiger Patient“ entscheiden würde. Das Gericht dürfe seine persönliche Beurteilung nicht an die Stelle des Patienten setzen. Gedankliche Voraussetzung des Entscheidungskonflikts wie der hypothetischen Einwilligung insgesamt sei stets die Hypothese einer ordnungsgemäßen, insbesondere auch vollständigen Aufklärung.

Die Entscheidung, wie der Patient unter der genannten Voraussetzung entschieden hätte und darüber, ob für ihn eine Entscheidungskonflikt vorlag, dürfe der Tatrichter nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen. So würde verhindert, dass das Gericht vorschnell auf bei objektiver Betrachtung als naheliegend oder vernünftig  erscheinende Umstände abstelle. Er müsse auch möglicherweise weniger naheliegende oder auch unvernünftig erscheinende Erwägungen des Patienten in Betracht ziehen. Durch die persönliche Anhörung soll es dem Gericht ermöglicht werden, den anwaltlich vorgetragenen Gründen für und gegen einen Entscheidungskonflikt  durch konkrete Nachfragen nachzugehen und sie aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Patienten sachgerecht bewerten zu können. Nur dann, wenn die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben würden, könne von der Anhörung des Patienten abgesehen werden.

Vorliegend sei schriftsätzlich vorgetragen worden, der Kläger hätte sich gegen eine PRK ausgesprochen, da diese nach seiner Kenntnis nicht unter Vollnarkose durchgeführt würde. Das sei wenig plausibel, da sie vorliegend unter Vollnarkose durchgeführt worden sei. Allerdings sei deswegen ohne Anhörung des Klägers eine sichere Beurteilung nicht ausnahmsweise möglich gewesen, da die äußeren Umstände der Aufklärung und der tatsächlichen Entscheidungssituation des Klägers nicht unstreitig geblieben seien; insbesondere habe das OLG nicht den Inhalt der im Streitfall gebotenen vollständigen Aufklärung definiert und es sei nicht erkennbar, ob der Kläger bei seinen Ausführungen zum Entscheidungskonflikt von der Hypothese einer entsprechenden vollständigen Aufklärung ausgegangen sei.

BGH, Beschluss vom 21.06.2022 - VI ZR 310/21 -

Samstag, 27. August 2022

Zum Substantiierungserfordernis bei Zeugenbenennung

Die Klägerin war im Empfang des von der Beklagten betriebenen Krankenhauses tätig. Im Januar teilte die Beklagte ihr mit, sie wolle sie im Früh- und Spätdienst eisnetzen. Unter Hinweis auf den Grad der Behinderung von 50 begehrte von der Beklagten als Arbeitgeberin, aus gesundheitlichen Gründen nur im Frühdienst eingesetzt zu werden; sie sei nicht in der Lage im Spätdienst bzw. im Wechsel im Früh- wie auch im Spätdienst tätig zu werden und verwies dazu auf Stellungnahmen ihrer behandelnden Ärzte. Eine entsprechende gesundheitliche Beeinträchtigung bestritt die Beklagte unter Verweis auf die Einschätzung ihrer Betriebsärztin. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der beklagten wurde zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht (BAG) der Beklagten wurde das Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machte die Beklagte die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) geltend, da das LAG  von der Vernehmung der von ihr als sachverständigen Zeugin benannten Betriebsärztin abgesehen habe.

Das BAG verwies auf die Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 14.01.2020 - VI ZR 97/19 - und vom 15.10.2019 - VI ZR 377/18 -), demzufolge ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorläge, wenn das Gericht die an eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen überspanne und deshalb den Beweis nicht erhebe. § 373 ZPO würde von der Partei, die die Zeugeneinvernahme beantrage, verlangen, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die der Zeuge vernommen werden soll. Es verlange von der Partei nicht sich dazu zu äußern, welche Anhaltspunkte sie für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Die Substantiierungspflicht eines Sachvortrags hänge vom Kenntnisstand der Partei ab (BGH, Urteil vom 14.01.2020, aaO.). Die Partei sei nicht verpflichtet, Ermittlungen von ihr unbekannten Umständen (oder solchen Umständen, die ihr unbekannt sein könnten) vorzunehmen.

Das LAF sei, ohne die Zeugin zu vernehmen, davon ausgegangen, dass die Zeugin nur Schlussfolgerungen tätigen könne, die für die Überzeugungsfindung des Gerichts nicht erheblich seien, da die Beklagte nicht mitgeteilt habe, auf welchen Tatsachen die Schlussfolgerungen beruhen würden. Darin läge der Gehörsverstoß, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass das LAG nach deren Vernehmung zu der Überzeugung (§ 286 ZPO) gelangt wäre, dass der Einsatz der Klägerin im Spätdienst bzw. im Wechsel zwischen Früh- und Spätdienst möglich ist.

Das BAG wies ergänzend darauf hin, dass die Klägerin die Betriebsärztin von ihr Schweigepflicht befreien müsse, du für den Fall, dass sie dies unterlässt, dieser Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung durch das LAG im Rahmen des § 286 ZPO berücksichtigt werden müsse.

Anmerkung: Nach dem Inhalt des Beschlusses des BAG bezog sich die Klägerin lediglich auf schriftliche Gutachten behandelnder Ärzte, die Beklagte auf das Zeugnis des Betriebsarztes. Bei allen Ärzten handelte es sich um sachverständige Zeugen, wobei die schriftlichen Angaben der die Klägerin behandelnden Ärzte allenfalls als Privaturkunden im Verfahren verwertet werden können (§ 416 ZPO). Die unterschriebene Privaturkunde bezeugt aber grundsätzlich nur, dass sie von dem unterschreibenden Aussteller stammt, nicht deren inhaltliche Richtigkeit (anders öffentliche Urkunden, § 418 ZPO). Ein sachverständiger Zeuge ist auch nur Zeuge, nicht Sachverständiger gem. §§ 402 ff ZPO. Der sachverständige Zeuge ist nicht berufen, Schlussfolgerungen zu ziehen, sondern kann aufgrund seines Sachverstandes nur die Grundlagen klären, die dann letztlich von einem Sachverständigen zu würdigen wären. Mithin könnte nach der Beweiserhebung durch die als Zeugin benannte Betriebsärztin lediglich geklärt werden, welche gesundheitlichen Einschränkungen es bei der Klägerin gibt, dürfte aber nicht geklärt werden, ob dies auch einem Spät- oder Wechseldienst entgegensteht. Dies wäre letztlich durch ein Sachverständigengutachten zu klären. Bestreitet zudem die Beklagte die Richtigkeit der Feststellungen und die Richtigkeit der Schlussfolgerungen in den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen, wäre die Klägerin auch hier beweisbelastet für die Richtigkeit, wobei auch insoweit wiederum für die Schlussfolgerung an sich ein Sachverständigengutachten erforderlich wäre.

BAG, Beschluss vom 06.04.2022 -5 AZN 700/21 -

Dienstag, 10. August 2021

Kapitalanlage: Substantiierung einer Anlagenberatung entgegen Prospektangaben

Der Kläger beteiligte sich im März 2005 an einen in Form einer GmbH & Co. KG geführten geschlossenen Schiffsfonds, bei dem die beklagten zu 1 und 2 die Gründungskommanditisten, die Beklagte zu 3 die Treuhänderin war. Mit seiner Klage begehrte er Zahlung von € 85.500,00 zuzüglich Nebenforderungen Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte aus seiner Beteiligung. U.a. machte er eine den Beklagten zurechenbare nicht anlagegerechte Beratung durch den Zeugen S. geltend. Klage und Berufung blieben erfolglos. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hob der BGH das Urteil des Berufungsgerichts (Hanseatisches OLG Hamburg) auf und wies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Die Zurückweisung beruhte darauf, dass nach Ansicht des BGH das OLG das rechtliche Gehör des Klägers (Art. 103 GG) verletzt habe, indem es nicht den Berater (den zeugen S.) und die vom Kläger benannte Ehefrau des Klägers zu einer vom Kläger behaupteten und dazu benannten, vom Prospekt abweichenden Beratung als Zeugen vernahm.

Das OLG habe die Auffassung vertreten, der Kläger habe dazu widersprüchlich und damit nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. So habe er schriftsätzlich vorgetragen, der Prospekt sei bei dem Anlagegespräch mit dem Berater durchgeblättert worden, andrerseits, der Berater habe die Anlage als sicher und für die Altersvorsorge geeignet dargestellt. Das Landgericht habe den Kläger im Termin darauf hingewiesen, dass doch zumindest die Lektüre des Prospekts erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Beraters hätten wecken können, da der Prospekt auf die unternehmerische Natur der Beteiligung verwies und damit verbundene erhebliche Risiken. Der Kläger habe dazu (auch im Berufungsverfahren) keine Ausführungen gemacht.

Nach Auffassung des BGH stellte sich die Nichtberücksichtigung der Beweisangebote als entscheidungserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs dar, Art. 104 GG, § 544 Abs. 9 ZPO.

Würde ein Beweisangebot, welches erheblich ist, ohne Stütze im Prozessrecht abgelehnt verstoße dies gegen Art. 103 GG. Dies sei auch dann der Fall, wenn die fehlende Berücksichtigung des Beweisangebots darauf beruhe, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei stelle. In diesem Fall verschließe sich das Gericht dem Umstand, dass eine Partei ihrer Darlegungslast schon dann genüge, wenn sie Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet seien, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (BGH, Urteil vom 22.06.2009 - II ZR 143/08 -). Garde dieser Anforderung habe aber der Vortrag des Klägers zu abweichenden Angaben des Beraters genügt. Dabei berücksichtigte der BGH den Umstand, dass das OLG offen ließ, ob die Beklagten für eine nicht anlagegerechte Beratung durch den Berater haften würden (weshalb dies für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist).

Auch könne nicht darauf abgestellt werden, dass der Kläger nicht auf den Hinweis einer angeblichen Widersprüchlichkeit reagiert habe. Darauf hätte er nicht eingehen müssen. Genügt der Vortrag den Anforderungen an die Substantiierung könne Vortrag zu weiteren Einzeltatsache nicht verlang werden; das Gericht müsse nur in die Lage versetzt werden zu entscheiden, ob aufgrund des tatsächlichen Vorbringens die gesetzlichen Voraussetzungen für das geltend gemachte Recht vorliegen.

Das Landgericht und ihm folgend das OLG hätten die Substantiierungsanforderungen überspannt. Auch wenn in dem Prospekt eine Aufklärung des Beitrittsinteressenten (hier zu Risiken) erfolgte, schließe dies nicht aus, unzutreffende (davon abweichende) Angaben des Vermittlers dem Gründungsgesellschafter zuzurechnen. Die zutreffenden Angaben und Aufklärung im Prospekt stelle sich nicht als Freibrief dar, Risiken hiervon abweichend darzustellen und ein Bild zu zeichnen, welches die Hinweise im Prospekt für die Entscheidung des Anlegers entwerte oder mindere (u.a. BGH, Urteil vom 06.11.2018 – II ZR 57&16 -). Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägers, obwohl er mit dem Berater gemeinschaftlich den Prospekt durchblätterte, den davon abweichenden Angaben des Vermittlers vertraut habe. Ein Anleger, der die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse des Beraters oder Vermittlers in Anspruch nehme, würde den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen dieser Person, die diese ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreite, ein besonderes Gewicht beimessen, gegenüber dem Prospektangaben, die in der Regel allgemein gehalten und mit Fachbegriffen versehen seien, in den Hintergrund treten würden  (BGH, Urteil vom 14.04.2011 - III ZR 27/10 -).

Damit war das Urteil aufzuheben, da nicht auszuschließen sei, dass das OLG bei Erhebung der angebotenen Beweise anders entscheiden hätte.

BGH, Beschluss vom 23.03.2021 - II ZR 5/20 -

Freitag, 24. Juli 2020

Welcher Vortrag unterliegt der Prüfungspflicht des Berufungsgerichts ?



Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen, die Berufung dagegen vom OLG zurückgewiesen. Im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde rügte die Klägerin  die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Der BGH hob das Urteil des OLG aus diesem Grund auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Das OLG hatte darauf abgestellt, dass seitens der Klägerin im Rahmen der innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu begründenden Berufung nicht geltend gemacht worden sei, dass das Landgericht die in einem erstinstanzlichen Schriftsatz benannten Zeugen Z. und G. nicht vernommen habe, sondern erst später in einem Schriftsatz vom 26.03.2019 deren Vernehmung (erstmals im berufungsverfahren) beantragt worden sei. In dem Verfahrensstadium der Beantragung im Berufungsrechtszug sei für eine Nachholung der in erster Instanz nicht erhobenen Beweise gem. § 520 Abs., 3 ZPO (notwendiger Inhalt der Berufungsbegründung) kein Raum mehr.

Dem folgt der BGH nicht.

Die unterlassene Berücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes stelle verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn dies im Prozessrecht keine Stütze fände. An einer Grundlage für die Versagung der Beweiserhebung fehle es vorliegend, da die Annahme des Berufungsgerichts, nach § 520 Abs. 3 ZPO fehle es an einem Raum für die Beweisaufnahme, fehlerhaft sei. Sei  - wie hier - die Berufung als solche zulässig, gelange der gesamte aus der Gerichtsakte ersichtliche Prozessstoff erster Instand automatisch in die Berufungsinstanz. In erster Instanz erfolgtes Vorbringen (wenn es nicht zulässig dort zurückgewiesen wurde) sei von daher, ohne dass es eines erneuten Vorbringens im Berufungsrechtszug bedürfe, auch Prozessstoff des Berufungsverfahrens.

Das Berufungsgericht müsse alle konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen, berücksichtigen. Dafür sei ausreichend, dass sich diese Anhaltspunkte aus dem erstinstanzlichen Vortrag der Parteien ergäben. Dieses erstinstanzliche Übergehen müssen nicht Gegenstand der Rügen im Rahmen der Berufungsbegründung gewesen sein. Auch ohne Rüge seitens des Berufungsführers sei das Berufungsgericht bei konkreten Anhaltspunkten für Zweifel an der Richtigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen durch das Erstgericht gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO gehalten, die Tatsachen (hier durch die Unterlassene Beweisaufnahme durch Einvernahme der Zeugen) erneut festzustellen, die der Entscheidung zugrunde zu legen sind.

Das habe nichts mit der Frage zu tun, welche inhaltlichen Anforderungen (nach § 520 Abs. 3 ZPO) an die Berufungsbegründung zu stellen seien. Entspräche auch nur eine Rüge diesen Anforderungen, sei in Bezug auf ein und denselben Streitgegenstand die Berufung zulässig. Sei danach die Berufung zulässig, sei die Prüfungspflicht des Berufungsgerichts weitergehend und könne sich nicht auf diese Rüge beschränken, sondern würde die Prüfung im Hinblick auf sonstige Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen aufkommen ließen, insgesamt betreffen.

Die Gehörsrüge scheitere hier auch nicht am Grundsatz der materiellen Subsidiarität, da der Kläger noch in der Berufungsinstanz sein erstinstanzliches Beweisangebot ausdrücklich wiederholt habe.

BGH, Beschluss vom 28.04.2020 - VI ZR 347/19 -

Mittwoch, 24. Juni 2020

Rechtliches Gehör: Wann muss Vortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom Gericht zwingend berücksichtigt werden ?


Das rechtliche Gehör und dessen Verletzung beschäftigt immer wieder die Instanzgerichte bis hin zum BGH. Da es sich bei der Gewährung rechtlichen Gehörs um einen verfassungsrechtlichen Anspruch der Partei vor Gericht handelt (Art. 103 GG), weshalb an sich die Gerichte dem eine erhebliche Bedeutung beimessen sollten.

Während das Landgericht der Klage auch weiteren materiellen und immateriellen Schadensersatz gegen eine Apothekerin nach fehlerhafter Herstellung eines Medikaments un Hinblick auf weiteren Huashaltsführungsschaden des Klägers statt gab und das Begehren auf weiteres Schmerzensgeld abwies, hat das Berufungsgericht (OLG Stuttgart) auf die Berufung des Klägers  diesem ein weiteres Schmerzensgeld zugesprochen und auf die Anschlußberufung der Beklagten hin den Anspruch auf den weiteren Haushaltsführungsschaden abgewiesen. Der vom Kläger erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde half der BGH im Hinblick auf den Haushaltsführungsschaden durch Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung ab.

Die Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung durch Abweisung des Begehrens auf den Haushaltsführungsschaden habe das OLG damit begründet, dass der Kläger auf einen Hinweis des Senats des OLG (im Verhandlungstermin, auf dem das Urteil ergibt) nicht vorgetragen habe, welche Zeiten der Tätigkeit seiner Lebensgefährtin er für seine Pflege und Betreuung und in Abgrenzung dazu, welche Zeiten er für die Haushaltsführung geltend mache. Erst nach der mündlichen Verhandlung sei Vortrag dazu erfolgt, was verspätet sei, wobei der Kläger es auch unterlassen habe, nach dem Hinweis im Termin einen Schriftsatznachlass gem. § 239 Abs. 5 ZPO zum ergänzenden Vortrag zu dem Hinweis zu stellen. Von daher sei auch nach dem verspäteten Vortrag die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen.

Diese Nichtberücksichtigung verstößt nach Auffassung des BGH vorliegend gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG. Das rechtliche Gehör würde verletzt, wenn Vortrag unberücksichtigt bleibe, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze finde. Dieser Fall sei vorliegend gegeben.

Eine in erster Instanz siegreiche Partei dürfe darauf vertrauen,  vom Berufungsgericht einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will. Grundsätzlich habe der Hinweis so rechtzeitig zu erfolgen, dass die betroffene Partei noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung darauf reagieren könne, § 139 Abs. 4 ZPO.  Würde  - wie hier – der Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erfolgen, so müsse der Partei genügend Gelegenheit gegeben werden, darauf zu reagieren. Sei offensichtlich, dass die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht reagieren könne, so müsse das Gericht entweder in das schriftliche Verfahren überleiten oder (auch ohne entsprechenden Antrag auf Schriftsatznachlass) vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren.  

Gegen diese Pflichten habe das OLG verstoßen. Der Hinweis sei erst in der Berufungsverhandlung erteilt worden. Diese sei geschlossen worden, obwohl dem Kläger wegen des mit dem Hinweis verbundenen Rechercheaufwandes eine sofortige Erklärung nicht möglich gewesen sei. Wegen dieses Verfahrensfehlers sei das OLG verpflichtet gewesen, sich mit dem Vortrag des Klägers in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz auseinanderzusetzen, was nicht stattfand.

Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger es verabsäumte, Schriftsatznachlass zu beantragen (s.o.; BGH, Beschlüsse vom 04.07.2013 - V ZR 151/12 - und vom 18.99.2006 - II ZR 10/05 -).

Ebenfalls sei der Umstand nicht durchgreifend, dass der Hinweis durch das OLG bereits erstinstanzlich (als auch im Berufungsverfahren) den Einwand erhoben habe, daß die Tätigkeit der Lebensgefährtin nicht zeitgleich der Haushaltsführung und der Pflege des Klägers gedient habem könne. Diese Hinweise des Gegners müssen den Kläger nicht notwendig zu der Annahme veranlassen, dem würde das Berufungsgericht folgen und damit eine andere Rechtsansicht als das Landgericht vertreten, weshalb vorsorglich der eigene Vortrag zu ergänzen sei (BGH, Beschluss vom 21.01.2016 - V ZR 183/15 -).

Der Gehörsverstoß sei auch erheblich. Der Kläger habe nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu dem Hinweis weitergehend vorgetragen und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG über den Anspruch betreffend Ersatz des Haushaltsführungsschadens bei Berücksichtigung desselben anders als geschehen entschieden hätte. 

BGH, Beschluss vom 21.01.2020 - VI ZR 346/18 -

Freitag, 27. September 2019

Rechtliches Gehör nach Richterwechsel: Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (auch im Fall des § 495a ZPO)


Es kommt leider häufig vor, dass der zuständige Richter in einer Instanz (teilweise mehrfach) wechselt. Dies kommt nicht nur vor, wenn es sich um Richter auf Probe handelt, die im Laufe des Verfahrens versetzt werden, sondern auch im übrigen. Die Krux dabei ist das von den Gerichten zu beachtende rechtliche Gehör, wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 03.07.2019 verdeutlicht.

Ausgangspunkt war ein Urteil des Amtsgerichts, in dem der Beschwerdeführer beim BVerfG Kläger war. Dort wurde vor der Richterin Dr. H. (da das BVerfG von der Richterin und nicht von der Richterin am Amts- oder Landgericht bzw. OLG spricht darf angenommen werden, dass es sich um eine Richterin auf Probe handelte) a, 19.07.2016 mündlich über die Klage verhandelt. Nach der mündlichen Verhandlung kam es offenbar zu einem Richterwechsel, da ein Beschluss zur Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens vom Richter am Landgericht (einen offenbar vom Landgericht an das Amtsgericht abgeordneten Richter) am 30.08.2016 verkündet wurde. Nach Vorlage des Gutachtens wurde mit Anhörung des Sachverständigen erneut am 26.01.2017 verhandelt, nunmehr vor der Richtern Dr. Gr. (offenbar wieder eine Richterin auf Probe). Diese gab mit Beschluss vom 01.12.2017 bekannt, dass sie gedenke im schriftlichen Verfahren nach § 495a ZPO ohne weitere mündliche Verhandlung ein Urteil erlassen und bis zum 28.12.2017 eingehende Schriftsätze berücksichtigen zu wollen. Mit Schriftsatz vom 28.12.2017 rügte der Beschwerdeführer die nach seiner Ansicht fehlende Kompetenz des ehedem beauftragten medizinischen Sachverständigen auf dem hier fraglichen Gebiet und wiederholte einen Antrag aus seinem Schriftsatz vom 30.11.2017, die mündliche Verhandlung wiederaufzunehmen und fortzusetzen. Durch Änderung des Geschäftsverteilungsplans des Amtsgerichts vom 28.03.2018 schied die Richterin Dr. Gr. aus und der Beschwerdeführer beantragte unter Hinweis auf § 156 ZPO mit Schriftsätzen vom 17.05. und 21.08.2018 die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung. Ohne erneute mündliche Verhandlung erließ nunmehr das Amtsgericht durch die Richterin Ga. Das vom Beschwerdeführer angegriffene Urteil und wies „auf Grund des Sachstands vom 28.12.2017“ die Klage ab. Gegen dieses Urteil erhob der Beschwerdeführer beim Amtsgericht die Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO, da streitwertmäßig eine Berufung unzulässig war. Er rügte die fehlende Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO und machte geltend, dass nach dem Richterwechsel jedenfalls erneut das Verfahren nach § 495a ZPO hätte angeordnet werden müssen. Die Rüge wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen.

Hinweis: § 495a ZPO stellt es den Gerichten frei, im Falle eines Streitwertes von bis zu € 600,00 nicht mündlich zu verhandeln. Bei einem Antrag einer Partei auf mündliche Verhandlung ist aber auch hier mündlich zu verhandeln, § 495a S. 2 ZPO.

Diese Zurückweisung war, so das BVerfG, fehlerhaft; das Urteil habe den Kläger in seinem rechtlichen Gehör verletzt. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde über das Urteil durch das BVerfG würde  der Beschluss des Amtsgerichts zur Anhörungsrüge gegenstandslos.

Zwar folge aus Art.103 Abs. 1 GG nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, da es Sache des Gesetzgebers sei zu entscheiden, auf welche Weise rechtliches Gehör gewährt würde. Habe eine mündliche Verhandlung aber nach dem Gesetz stattzufinden, wie des in den Fällen des § 495a S. 2 ZPO auf Antrag einer Partei der Fall sei, begründe dies einen Anspruch auf Durchführung derselben bei einem entsprechenden Antrag. Nach § 128 Abs. 1 ZPO habe die mündliche Verhandlung „vor dem erkennenden Gericht“ zu erfolgen. § 309 ZPO bestimme, dass das Urteil von den Richtern zu fällen sei, welche der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt hätten, wobei § 156 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ergänzend bestimme, dass – wenn zwischen mündlicher Verhandlung und der Beratung und Abstimmung ein Richter ausscheide, auch ohne Antrag die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen ist. Die mündliche Verhandlung müsse daher nicht nur vor dem „erkennenden Gericht“, sondern vor dem Richter (bzw. Richtern) stattfinden, der/die das Urteil fällt/fällen.

Dagegen sei vorliegend verstoßen worden. Die Richterin Ga. hätte (wie auch vom Beschwerdeführer beantragt) vor Erlass des Urteils noch einmal mündlich verhandeln müssen. Ihr ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil verletzte daher das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers.

Erfolgreich ist die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs aber nur dann, wenn das Urteil auf dem Gehörsverstoß beruht. Dies bejahte das BVerfG vorliegend. Bei einer zwingend gebotenen mündlichen Verhandlung, wie sie hier vom Beschwerdeführer gefordert wurde, könne in der Regel nicht ausgeschlossen werden, dass bei ihrer Durchführung eine andere Entscheidung ergangen wäre: Die mündliche Verhandlung habe  den gesamten Prozessstoff in prozess- und materiellrechtlicher Hinsicht zum Gegenstand und je nach Prozesslage, Verhalten der Gegenseite und Hinweisen des Gerichts könne dies zu weiterem Sachvortrag, Beweisanträgen und Prozesserklärungen führen, ohne dass dies im Einzelnen sicher vorhersehbar wäre. Es könne daher vorliegend dahinstehen, ob Art. 103 Abs. 1 GG, der sicherstellen soll, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, noch im Hinblick auf die Auswahl des Sachverständigen verletzt sei (dazu BGH, Beschluss vom 31.05.2016 - VI ZR 305/15 -).

BVerfG, Beschluss vom 03.07.2019 - 1 BvR 2811/18 -

Donnerstag, 9. Mai 2019

Unterlassen der beantragten Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen


Der Beklagte wandte sich mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH gegen ein Urteil des OLG Frankfurt und rügte die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das OLG. Dem lag zugrunde, dass der Beklagte  eine Wohnungseigentumsanlage mit Tiefgarage errichtete und die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft von ihm einen Kostenvorschuss für die Beseitigung eines Mangels des Tiefgaragenbodens begehrte. Die Klägerin hatte zunächst ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt, in dem der vom Gericht bestellte Sachverständige ein schriftliches Gutachten und drei schriftliche Ergänzungen vorlegte. Auf der Grundlage dieser Gutachten im Beweisverfahren gab das Landgericht der Klage statt. Die Berufung, in deren Rahmen die Beklagte die unterlassene, von ihm aber beantragte mündliche Anhörung des Sachverständigen rügte, wurde vom OLG ohne Anhörung des Sachverständigen zurückgewiesen.

Der BGH sah das rechtliche Gehör des Beklagten (Art. 103 GG) in entscheidungserheblicher Weise als verletzt an. Nicht nur verlange Art. 103 Abs. 1 GG, dass das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung zu ziehen habe, sondern auch, dass es erhebliche Beweisanträge berücksichtigt. Dieses Recht ergäbe sich bereits aus §§ 397, 402 ZPO und sei Teil des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs , womit eine Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebots gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoße, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze fände.

Im Berufungsverfahren habe der Beklagte bereits die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Landgericht gerügt, da trotz seines Antrags der Sachverständige nicht mündlich angehört worden sei, womit er ersichtlich an seinem entsprechenden Anhörungsantrag aus erster Instanz festgehalten habe. Weder habe das OLG diesen Antrag erwähnt noch ausgeführt, weshalb es den Sachverständigen nicht angehört habe. Es käme nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sähe oder zu erwarten sei, dass der Sachverständige seine bisherige Ansicht ändere, ebensowenig darauf, ob das Gutachten Mängel aufweise. Die Parteien hätten nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dem Sachverständigen Fragen zu stellen, die sie zur Aufklärung des Sachverhalts für wesentlich ansehen, wobei dieses Recht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (Möglichkeit des Gerichts, von sich aus den Sachverständigen zum Termin zu laden) bestünde. Auch sei hier kein Ausnahmefall ersichtlich, bei dem trotz Antrag von der Anhörung abgesehen werden könne (BGH, Urteil vom 29.10.2002 - VI ZR 353/01 -: Rechtsmissbrauch und Prozessverschleppung).

Das Urteil des OLG beruhe auch auf dem Verfahrensverstoß, da sich das OLG auf dieses Gutachten beziehe und nicht ausgeschlossen werden könne, dass es nach Anhörung des Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Von daher wurde das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen, welches nun den Sachverständigen anzuhören hat. Der BGH wies zudem drauf hin, dass die Feststellung der allgemein anerkannten Regeln der Technik vom Gericht regelmäßig nur aufgrund sachverständiger Beratung getroffen werden könne.

BGH, Beschluss vom 06.03.2019 - VII ZR 303/16 -

Freitag, 20. Juli 2018

Rechtliches Gehör: Gerichtlicher Hinweis und Schriftsatzfrist oder Vertagung


Es ist (leider) nicht die Ausnahme sondern die Regel, dass Gerichte (Richter) unabhängig davon, ob es sich um einen Termin als frühen ersten Termin oder nach einem schriftlichen Vorverfahren, nach einem Richterwechsel oder im berufungsverfahren handelt, nicht vor dem jeweiligen Termin die Parteien auf nach ihrer Ansicht wesentliche Gesichtspunkte hinweisen, die offenbar übersehen wurden (Fall des § 139 ZPO), sondern erst im Termin. So auch hier:

Der Beklagte, selbst Rechtsanwalt, zahlte restlichen Werklohn in Höhe von € 37.424,58 nicht, wobei der Umfang de Auftrages zwischen den Parteien streitig war und eine Abnahme der Werkleistung durch den Beklagten nicht erfolgt war. Der Beklagte berief sich wegen seiner Ansicht nach mangelhafter Leistungen auf ein Zurückbehaltungsrecht. In der mündlichen Verhandlung wies das Landgericht den Beklagten darauf hin, dass sein Vortrag zu Mängeln und Gegenrechten bisher unzureichend und unsubstantiiert sei. Der beklagte beantragte nach diesem Hinweis keinen Schriftsatznachlass zum möglichen weiteren Vortrag auf den Hinweis. Das Landgericht gab mit einem am Schluss der mündlichen  verkündeten Urteil der Klage statt. Die dagegen vom Beklagten eingelegte Berufung wird das OLG mit Beschluss (nach entsprechenden Hinweis) gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zum BGH war im Wesentlichen erfolgreich und führte zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG.

Der Beklagte hatte sowohl noch im erstinstanzlichen Verfahren (allerdings nach Urteilsverkündung und vor dessen Zustellung) als auch im Berufungsverfahren in Ansehung des Hinweises des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung ergänzend  vorgetragen. Das OLG wies diesen Vortrag nach § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO zurück. Diese Zurückweisung, so der BGH, beruhe auf einer  unrichtigen Anwendung der Norm. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gebiete dem Berufungsgericht, Vortrag zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO) das Ausbleiben von Vorbringen oder Beweisanträgen erstinstanzlich (mit) verhindert habe. Wird erstinstanzlich wesentlicher Vortrag einer Partei als unsubstantiiert zurückgewiesen oder  die Partei als beweisfällig angesehen, ohne dass ein erforderlicher Hinweis erfolgt sei, käme die Anwendung des § 531 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO in diesem Fall einer Verhinderung des Vortrages zu entscheidungserheblichen Punkten gleich  und damit einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör nach Art. 103 GG.

Vorliegend sei das Landgericht seiner Hinweispflicht nach § 139 ZPO nicht ausreichend nachgekommen. Die Hinweise hätten grundsätzlich so rechtzeitig zu erfolgen, dass die Partei Gelegenheit habe, ihre Prozessführung darauf einzustellen, § 139 Abs. 4 ZPO. Bei einem Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung und damit entgegen § 139 Abs. 4 ZPO  müsse der Partei genügend Zeit zur Reaktion gegeben werden. Kann sich die Partei ersichtlich im Termin nicht äußern, müsse das Gericht (geht es nichts ins schriftliche Verfahren über) auch ohne Antrag auf Schriftsatznachlass (der in § 139 Abs. 5 ZPO vorgesehen ist) die mündliche Verhandlung vertagen. Ein Unterlassen stellt sich als Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG dar.  

Vorliegend beruhe die Entscheidung des OLG auch auf diesem Verfahrensfehler, da nicht auszuschließen ist, dass das OLG bei Beachtung des zunächst nach mündlicher Verhandlung und wiederholt im Berufungsverfahren erfolgte  Vortrages als Reaktion auf die Hinweise vom Landgericht in der Sache anders entschieden hätte.

BGH, Beschluss vom 11.04.2018 - VII ZR 177/17 -

Donnerstag, 21. Dezember 2017

Rechtliches Gehör: Die Folgen des Übergehens des Bestreitens einer Zinsforderung im Berufungsverfahren

Die Nebenintervenientin zu 2. hatte zunächst Klage gegen fünf Beklagte im unterschiedlichen Umfang auf Honorar für Architektenleistungen erhoben. Die Forderung wurde zuzüglich Zinsen von 13% mit der Begründung der Inanspruchnahme von Bankkredit in entsprechender Höhe zu dem benannten Zinssatz geltend gemacht. Diese Behauptung blieb erstinstanzlich unstreitig. . Nach Insolvenz der Nebenintervenientin führte der Insolvenzverwalter als Kläger das Verfahren weiter.  Das Landgericht hatte die Beklagten mit Urteil vom 26.01.2001 in unterschiedlicher Höhe zuzüglich der Zinsen verurteilt. Während des Berufungsverfahrens wurde über das Vermögen der Nebenintervenientin zu 2. am 15.04.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Insolvenzverwalter nahm das Verfahren auf. Die Berufung (hier der Beklagten) wurde zurückgewiesen. Im Berufungsverfahren wurde von den Beklagten die behauptete Inanspruchnahme von Bankkredit zu dem Zinssatz bestritten.

Das OLG wies diese Berufung zurück. Zu den Zinsen führte es aus, es sei unwahrscheinlich, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch weiter mit einem Zinssatz von 13% ein Verzugsschaden vorläge. Dies müsse aufgeklärt werden.

Der BGH hat auf die Revision der Beklagten das Urteil zum Zinsausspruch teilweise aufgehoben und den Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen. Es läge ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) vor, soweit das OLG für einen Zeitraum vom 06.03.2000 bis 15.04.2003 Zinsen in Höhe von 13% zugesprochen habe. Insoweit sei das OLG nicht auf das Bestreiten der Beklagten eingegangen.

Anmerkung: Aus den Entscheidungsgründen erschließt sich, dass die Beklagten erst im Berufungsverfahren den behaupteten Bankkredit (jedenfalls) zu dem benannten Zinssatz) bestritten haben. Der BGH geht nicht auf § § 531 ZPO (Zurückweisung von neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln) ein. Zwar ist neues Verteidigungsvorbringen in der Berufung nach § 531 ZPO grundsätzlich ausgeschlossen. Ob diese Voraussetzungen vorlagen, ergibt sich aus dem Urteil nicht. Der BGH geht darauf auch nicht ein. Er konnte auch darauf nicht eingehen, da das Berufungsgericht gar nicht auf das Bestreiten einging und es auch nicht nach § 531 ZPO zurückgewiesen hatte. Geht aber das Gericht auf Vortrag nicht ein, so auch auf neuen erheblichen (Verteidigungs-) Vortrag in der zweiten Instanz, liegt ohne weiteres die Verletzung rechtlichen Gehörs vor. Denn es kann vom Revisionsgericht (BGH) nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht  bei Beachtung des Bestreitens zu einem für die Beklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre.


BGH, Beschluss vom 03.08.2017 - VII ZR 233/13 -

Freitag, 4. August 2017

Sachverständigensuche durch das Gericht und § 356 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG

Viele Verfahren sind davon abhängig, dass ein Sachverständiger sich zu einem bestimmten Problem kreis äußern soll. Sei es zur Feststellung eines bestimmten Geschehensablaufs, sei es zur (nicht rechtlichen) Bewertung eines solchen. So auch vorliegend: Die Parteien stritten um die Zahlung restlichen Werklohns. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, da die Klägerin trotz Hinweis die geforderten Nachtragspreise nicht auf die Preisermittlungsgrundlagen des Hauptvertrages zurückführte.  As OLG hat im Berufungsverfahren sodann darauf abgestellt, ob es sich bei den von der Klägerin geltend gemachten Einheitspreisen um eine übliche Vergütung handele und diesbezüglich die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Nacheinander wurden vier Sachverständige vom OLG beauftragt, aber keiner sah sich in der Lage, die Beweisfrage zu beantworten. Daraufhin hat das OLG die Berufung der Klägerin mit der Begründung zurückgewiesen, die Sachverständigen hätten die Beweisfrage nicht beantworten können und ein geeigneter Sachverständiger sei nicht ersichtlich. 

Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil war teilweise erfolgreich; in diesem Rahmen war die anschließende Revision erfolgreich.

Der BGH sieht hier Art. 103 Abs. 1 GG (den Anspruch auf rechtliches Gehör) verletzt. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstoße stets gegen Art. 103 ZPO, wen sie im Prozessrecht  keine Stütze finde. Auch wenn zwar der Richter das Beweisangebot zur Kenntnis genommen hat, aber die unterlassene Beweisaufnahme im Prozessrecht keine Stütze findet, sei Art. 103 Abs. 1 GG ebenfalls verletzt.

Die Suche nach einem geeigneten Sachverständigen obliege dem Gericht. Dieses könne die Parteien auffordern, einen geeigneten Sachverständigen zu bezeichnen, § 404 Abs. 4 ZPO. Kann das Gerichtallerdings unter Ausschöpfung aller Quellen keinen geeigneten Sachverständigen finden, könne es nach Maßgabe des § 356 ZPO von der Beweiserhebung absehen. Die entsprechenden Erwägungen müssen, eventuell unter Bezugnahme auf entsprechende Verfügungen und Beschlüsse, nachvollziehbar im Urteil dargelegt werden. Es müssen auch sämtliche Bemühungen des Gerichts so dargelegt werden, dass sich aus ihnen der Schluss ergibt, dass der Beweis durch einen Sachverständigen nicht geführt werden kann.

Diesen Anforderungen entsprach nach Auffassung des BGH das angefochtene Urteil des OLG nicht. Es seien Kontaktaufnahmen zu Kammern, Berufsverbänden und Institute nicht dokumentiert. Einer der sachverständigen sei wegen fehlenden einschlägigen Fachgebiet abgelehnt worden, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, sich dazu zu äußern. Ein weiterer Sachverständiger wurde lediglich auf Grund von Angaben eines ersten Sachverständigen abgelehnt. Eine Kontaktaufnahme zu einem mit betriebswirtschaftlicher Kalkulation betrauten Sachverständigen, der eigene Sachkunde hätte bejahen oder einen anderen sachverständigen hätte vorschlagen können, wurde ebenfalls nicht dokumentziert.

Der Umstand, dass die Klägerin im Beschwerdeverfahren selbst keinen Sachverständigen benannte, sei unbeachtlich, da die Benennung des Sachverständigen nicht der beweisführenden Partei obläge.


BGH, Beschluss vom 29.03.2017 - VII ZR 149/15 -