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Sonntag, 6. Februar 2022

Neuer Vortrag zur Art der kausalen ärztlichen Fehlbehandlung im Berufungsverfahren mit Bezug auf medizinisches Privatgutachten

Der Kläger klagte materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche gegen den beklagten Arzt wegen angeblich fehlerhafter ärztlicher Behandlung mit der Folge einer Beinlähmung ein. Er behauptete in 1. Instanz vor dem Landgericht Fehler des Beklagten im Zusammenhang mit einer Ansteckung VZV, einem Herpes-Virus. Das Landgericht wies die Klage ab. Nunmehr holte der Kläger ein medizinisches Privatgutachten ein und stütze seine Berufung gegen das Urteil unter Bezugnahme auf dieses Gutachten darauf, er habe an einer Neuro- bzw. Lymeberreliose gelitten, was der Beklagte übersehen habe. Dies hätte der Beklagte erkenn können und müssen und sei behandlungsfehlerhaft nicht erkannt worden sowie die Diagnosen von ihm seien falsch gewesen. Er habe neben der (negativen) serologischen Befundung zu einer Borreliose weitere Befunde erheben müssen, was er pflichtwidrig unterlassen habe, bei deren Vornahme aber Borreliose erkannt worden wäre. In Ansehung der richtigen Diagnose sei das verordnete hochdosierte Cortison kontraindiziert gewesen und ursächlich für die vom Kläger geklagte Beinlähmung. Zudem sei er über die Risiken der Cortisonbehandlung nicht aufgeklärt worden.

Zunächst musste sich das OLG der Frage widmen, ob der Kläger mit seinem neuen Vortrag zugelassen werden konnte, bevor es - bei Bejahung – klären musste, ob sich daraus ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten herleiten lässt.

Das OLG hat auf sich beruhen lassen, ob – wie klägerseits geltend gemacht – in dem Vortrag im Berufungsverfahren, er habe im Behandlungszeitraum an einer Neuro- bzw. Lymeborreliose gelitten (gestützt auf das zwischenzeitlich eingeholte Privatgutachten) lediglich eine Präzisierung des erstinstanzlichen Vortrages lag oder ob es sich um neuen Sachvortrag iSv. § 531 Abs. 2 ZPO handelt. Nach Auffassung des OLG bedurfte es dazu keiner Entscheidung, da bei Präzisierung des erstinstanzlichen Vortrages dieser ohnehin zuzulassen wäre, aber auch dann, wenn man ihn als „neues Vorbringen“ ansehen würde, dies einer Zulassung nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO nicht entgegenstehen würde. Nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO ist neuer Vortrag zuzulassen, wenn das Unterlassen des Vortrages in er 1. Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruht. Eine Nachlässigkeit des Klägers verneinte das OLG.

Jede Partei sei schon im ersten Rechtszug gehalten, die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt seien oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätten bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande gewesen seien. Der gebotene Sorgfaltsmaßstab sei einfache Fahrlässigkeit. Allerdings dürften in einem Arzthaftungsprozess an eine Substantiierungsverpflichtung des Patienten nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, was auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten gelte. Deshalb seien die Parteien nicht gehalten, bereits in 1. Instanz ihre Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten auf die Beifügung eines Privatgutachtens oder auf einen eingeholten sachverständigen Rat zu stützen oder selbst (oder durch Dritte) in medizinischen Bibliotheken Recherchen anzustellen, um Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu erheben (BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 -). Dem würde nicht entgegenstehen, dass der Privatgutachter des Klägers kein Facharzt für Neurologie sei. Da selbst eigene Recherchen des Klägers oder seines Prozessbevollmächtigten in medizinischer Fachliteratur ausreichen würden, um den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zu genügen (BGH aaO.), dann müsse dies erst recht für Vorbringen gelten, welches sich auf ein medizinisches Gutachten gelten, auch wenn der privat beauftragte ärztliche Gutachter nicht dem zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers maßgeblichen Fachgebiet angehöre.

Damit brachte das OLG deutlich zum Ausdruck, dass das erstinstanzliche Abstellen auf bestimmte ärztliche Fehler nicht ein Abstellen im Berufungsverfahren auf anderweitige Fehler hindert, da der Kläger im Arzthaftungsprozess nicht veranlasst ist, sich bereits vorab ein eigenes medizinisches Gutachten zu besorgen bzw. sich in die medizinische Fachliteratur einzulesen; erfolge dies erst im Zusammenhang mit der von ihm gegen ein klageabweisendes Urteil eingelegten Berufung, liegt darin keine diesen neuen Sachvortrag ausschließende Nachlässigkeit iSv. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.

Allerdings wies das OLG die Berufung des Klägers als unbegründet zurück. Nach Beweisaufnahme durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens kam es zum Ergebnis, dass mir hoher Wahrscheinlichkeit Borreliose zum Zeitpunkt der streitbefangenen Behandlung noch nicht vorlag. Es habe auch nicht darüber befinden müssen, ob der Beklagte im Zusammenhang mit der Cortisonbehandlung eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Kläger verletzt habe, da diese jedenfalls nicht zu einem Schaden geführt habe; die gerichtlich bestellten Sachverständigen hätten darauf hingewiesen, dass Schäden durch eine Cortisonbehandlung in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentiert seien.

OLG Dresden, Urteil vom 14.09.2021 - 4 U 1771/20 -

Donnerstag, 21. Dezember 2017

Rechtliches Gehör: Die Folgen des Übergehens des Bestreitens einer Zinsforderung im Berufungsverfahren

Die Nebenintervenientin zu 2. hatte zunächst Klage gegen fünf Beklagte im unterschiedlichen Umfang auf Honorar für Architektenleistungen erhoben. Die Forderung wurde zuzüglich Zinsen von 13% mit der Begründung der Inanspruchnahme von Bankkredit in entsprechender Höhe zu dem benannten Zinssatz geltend gemacht. Diese Behauptung blieb erstinstanzlich unstreitig. . Nach Insolvenz der Nebenintervenientin führte der Insolvenzverwalter als Kläger das Verfahren weiter.  Das Landgericht hatte die Beklagten mit Urteil vom 26.01.2001 in unterschiedlicher Höhe zuzüglich der Zinsen verurteilt. Während des Berufungsverfahrens wurde über das Vermögen der Nebenintervenientin zu 2. am 15.04.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Insolvenzverwalter nahm das Verfahren auf. Die Berufung (hier der Beklagten) wurde zurückgewiesen. Im Berufungsverfahren wurde von den Beklagten die behauptete Inanspruchnahme von Bankkredit zu dem Zinssatz bestritten.

Das OLG wies diese Berufung zurück. Zu den Zinsen führte es aus, es sei unwahrscheinlich, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch weiter mit einem Zinssatz von 13% ein Verzugsschaden vorläge. Dies müsse aufgeklärt werden.

Der BGH hat auf die Revision der Beklagten das Urteil zum Zinsausspruch teilweise aufgehoben und den Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen. Es läge ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) vor, soweit das OLG für einen Zeitraum vom 06.03.2000 bis 15.04.2003 Zinsen in Höhe von 13% zugesprochen habe. Insoweit sei das OLG nicht auf das Bestreiten der Beklagten eingegangen.

Anmerkung: Aus den Entscheidungsgründen erschließt sich, dass die Beklagten erst im Berufungsverfahren den behaupteten Bankkredit (jedenfalls) zu dem benannten Zinssatz) bestritten haben. Der BGH geht nicht auf § § 531 ZPO (Zurückweisung von neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln) ein. Zwar ist neues Verteidigungsvorbringen in der Berufung nach § 531 ZPO grundsätzlich ausgeschlossen. Ob diese Voraussetzungen vorlagen, ergibt sich aus dem Urteil nicht. Der BGH geht darauf auch nicht ein. Er konnte auch darauf nicht eingehen, da das Berufungsgericht gar nicht auf das Bestreiten einging und es auch nicht nach § 531 ZPO zurückgewiesen hatte. Geht aber das Gericht auf Vortrag nicht ein, so auch auf neuen erheblichen (Verteidigungs-) Vortrag in der zweiten Instanz, liegt ohne weiteres die Verletzung rechtlichen Gehörs vor. Denn es kann vom Revisionsgericht (BGH) nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht  bei Beachtung des Bestreitens zu einem für die Beklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre.


BGH, Beschluss vom 03.08.2017 - VII ZR 233/13 -