Donnerstag, 29. September 2016

Haftung des Vermieters bei Abgang einer Dachlawine auf Wagen des Mieters ?

Nach der Behauptung der Klägerin hatte sie ihr Fahrzeug auf einem vor dem Haus befindlichen, zum Grundstück des Beklagten zugehörigen Streifen zwischen Haus und Straße abgestellt. Dies sei ihr im Zusammenhang mit einem von ihr mit dem Beklagten über ein Ladengeschäft in dem Haus  abgeschlossenen Mietvertrag erlaubt worden. Am 20.02.2015 soll tagsüber vom Dach des Hauses eine Dachlawine auf das dort abgestellte Fahrzeug der Klägerin abgegangen sein und einen Schaden am Fahrzeug verursacht haben. Sie meint, sie habe gegen den beklagten einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der diesem obliegenden Verkehrssicherungspflicht. Der Beklagte verteidigte sich u.a. damit, er habe die Klägerin aufgefordert, während der Schneezeit wegen der Gefahr von Dachlawinen dort nicht abzustellen und habe auch verschiedentlich Absperrseile gespannt, die immer wieder entfernt worden wären. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liege (daher) nicht vor.

Das Amtsgericht negierte zunächst eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht des Beklagten aus Mietvertrag, da unstreitig der fragliche Bereich nicht an die Klägerin vermietet wurde.

Aber auch eine Anspruch nach § 823 BGB aus Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht für das Dach des Gebäudes sowie dem unterhalb desselben befindlichen Parkplatz bestünde nicht.  Nach dem vom BGH aufgestellten Grundsatz müsse sich jedermann selbst vor Dachlawinen schützen (BGH VersR 1955, 300). Sicherungspflichten kämen nur in Betracht, wenn sie nach den örtlichen Gepflogenheiten (zu ergänzen wäre hier: nach Baurecht), der allgemeinen Schneelage des Ortes, der Beschaffenheit und Lage des Gebäudes und der Art und des Umfangs des gefährdeten Verkehrs erforderlich wären (LG Ulm BZV 2006, 589).  Es käme auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei für schneereiche Gebiete gelte, dass die Verkehrsbeteiligten , die ohnehin mit dem Abgang von Schneemassen von Dächern vertraut wären, keiner besonderen Warnung bedürften (LG Ulm aaO. mwN.). Nach der Beweisaufnahme stünde im übrigen fest, dass der Beklagte die Klägerin nicht nur gewarnt habe, sondern auch versucht habe, den Bereich durch Absperrbänder zu sperren.

Damit aber habe der Beklagte seiner Verkehrssicherungspflicht genüge getan. Schneefanggitter seien im fraglichen Ortsbereich nicht vorgeschrieben. Es komme im Winter im örtlichen Raum häufiger zu Dachlawinen, weshalb die Klägerin mit diesem Phänomen vertraut sein müsse. Auch wenn am fraglichen Tag ein Absperrband nicht vorhanden gewesen sein sollte, hatte die Klägerin die Warnungen missachtet und damit in eigener Verantwortung ihr Fahrzeug im fraglichen Bereich abgestellt.


AG Landsberg am Lech, Urteil vom 07.07.2016 – 2 C 37/16 –

Mittwoch, 28. September 2016

Fitnessstudiovertrag: Keine krankheitsbedingte Kündigung bei Vertragsschluss wegen Krankheit

Die Beklagte schloss mit der Klägerin einen Vertrag über die Nutzung eines Fitnessstudios. Diesen kündigte sie krankheitsbedingt fristlos. Da die Klägerin die Kündigung nicht anerkannte, erhob diese gegen die Beklagte Zahlungsklage. Im Rahmen der Zahlungsklage legte die Beklagte dar, sie habe bereits vor Abschluss des Vertrages mit der Beklagten Wirbelsäulenprobleme gehabt und gehofft, durch das Training und die Übungen im Fitnessstudio diese Probleme verbessern zu können. Da sich dies nicht erfüllte, habe sie sich ein Attest ihres Arztes ausstellen lassen, dass sie krankheitsbedingt das Studio nicht nutzen könne. Der Klage wurde stattgegeben.


Das Amtsgericht stellte in seiner Entscheidung darauf ab, dass die Beklagte in Kenntnis der Erkrankung den Vertrag abgeschlossen hat. Es unterstellte den Vortrag der Beklagten, auf eine Besserung ihres Leidens durch die Übungen im Studio gehofft zu haben, als richtig. Allerdings könne die Beklagte bei einem Fehlschlagen ihrer Hoffnung nach Auffassung des Amtsgerichts dies nicht auf die Klägerin abwälzen dergestalt, dass sie den Vertrag fristlos kündige. Damit stellt das Amtsgericht auf die Risikosphäre des Nutzers ab, der dies zuzurechnen ist. Es verweist darauf, dass entweder die Beklagte einen anderen Vertrag (z.B. mit Aufnahme einer Regelung über ein mögliches vorzeitiges Ausscheiden), mit kürzerer Laufzeit oder gar keinen Vertrag (jedenfalls mit der Klägerin) hätte abschließen müssen.


AG Frankfurt am Main-Höchst, Urteil vom 15.09.2016 – 381 C 3351/15 (37) -

Montag, 26. September 2016

Haftung für verlorenes Frachtgut bei Beförderungsausschlussklausel (Verbotsgut)

Die klagende Transportversicherung hatte nach dem Verlust eines Pakets mit Inhalt Messgerät zum Wert von € 32.555,00 Ersatz geleistet und nimmt das von ihrer Versicherungsnehmerin mit der Beförderung beauftragte Pakettransportunternehmen aus übergegangenen Recht und aus Abtretung auf Schadensersatz in Anspruch. Der Transport sollte von Österreich nach Deutschland erfolgen. In den dem Transportvertrag zugrunde liegenden, von der Beklagten gestellten Beförderungsbedingungen hieß es u.a., dass Pakete vom Transport ausgeschlossen sind, deren Wert den Gegenwert von US-$ 50.000,00 in der jeweiligen Landeswährung überschreitet. Weiterhin behielt sich die Beklagte gemäß dem Bedingungswerk für die Beförderung vor, im Falle des Überschreitens des Wertes die Beförderung zu verweigern oder, sollte die Beförderung bereits begonnen haben, diese einzustellen. Auf eine Überschreitung der Wertgrenze wurde die Beklagte nicht hingewiesen.


Das Landgericht hat der Klage in Höhe von € 32.030,00 zuzüglich. Zinsen stattgegeben. Die Berufung wurde vom OLG zurückgewiesen. Der BGH hatte das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das OLG zurückgewiesen, welches erneut die Berufung der Beklagten zurückwies. Die hiergegen neuerlich eingelegte Revision führte wiederum zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Vom Grundsatz her bestätigt der BGH die Entscheidung des OLG, demzufolge es sich bei dem Messgerät um Verbotsgut im Sinne der Beförderungsbedingungen handele. Die Umrechnung des Dollarkurses bestätige die Überschreitung der Wertgrenze. Allerdings ging das OLG davon aus, die Beklagte müsse darlegen und beweisen, dass der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn sie auf die Überschreitung der Wertgrenze hingewiesen worden wäre. Zwar wäre es bei einem entsprechenden Sachvortrag der Klägerin Sache der Beklagten als Frachtführer darzulegen und zu beweisen, dass der unterlassene Hinweis auf den hohen Wert für den Schaden zumindest mitursächlich geworden ist (BGH, Urteil vom 03.07-2008 – I ZR 205/06 -; BGH vom 02.04.2009 – I ZR 16/07 -). Dies gelte allerdings dann nicht, wenn nach den dem Frachtvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen wie hier für das Gut eine Beförderung ausgeschlossen wurde. Unterbleibt bei Verbotsgut ein Hinweis, ist vom Grundsatz her davon auszugehen, dass das Unterlassen des Auftraggebers mitursächlich gewesen ist; mit der Regelung in den Geschäftsbedingungen gebe der Frachtführer klar zu erkennen, der Regelung unterfallende Güter nicht zu transportieren. Damit hätte hier die Beklagte die Beförderung verweigern dürfen (BGH, Urteil vom 04.07.2013 – I ZR 156/12 -). Wenn unter solchen hier gegebenen Umständen der Versender (oder vorliegend für ihn die klagende Versicherung) geltend macht, auch bei zutreffender Deklaration wäre das Gut von der Beklagten befördert worden, trifft ihn die Beweislast. Bei einer vom OLG angenommenen Unerweislichkeit hätte daher das OLG der Klage schon aus diesem Grund nicht im vollen Umfang stattgeben dürfen.

Entgegen der Annahme des OLG scheide eine Mitverschuldensvermutung des Versicherungsnehmers der Klägerin auch nicht deshalb aus, da erst ein Sachverständiger den Wert des Messgerätes festgestellt habe, da der Verkaufspreis mit € 39.190,00 deutlich über der Wertgrenze nach dem Bedingungswerk lag und sie daher damit rechnen musste, dass auch bei Übergabe an den Transportunternehmer Verbotsgut vorlag. 

Prozessrechtlich rügt der BGH auch, dass das OLG Zeugenaussagen aus einem anderen Verfahren verwertet hat. Dies würde einen Beweisantritt einer Partei nach § 323 ZPO fordern, entweder auf Beiziehung der Akte zur urkundlichen Verwertung der Zeugenaussage oder den Antrag auf Einvernahme der dortigen Zeugen. Beides sei nicht erfolgt, weshalb mit der Auswertung das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt wurde. Eine Heilung nach § 295 ZPO fand nicht statt, da der Verfahrensfehler erst durch das Urteil selbst erkennbar wurde und die Beklagte (im Revisionsverfahren) erklärte, einer Verwertung bei Offenbarung durch das OLG widersprochen zu haben. Außerdem hätte sie Zeugenbeweis durch Zeugnis S. für ihre Behauptung angeboten. Damit steht nicht fest, dass bei korrekter Prozessführung durch das OLG die Beweiswürdigung ebenso ausgefallen wäre, wobei dem Urkundenbeweis ei geringerer Beweiswert zukommen könne als einer direkten Zeugenbefragung.


BGH, Urteil vom 03.03.2016 – I ZR 245/14 -

Sonntag, 25. September 2016

Streitverkündung durch Versicherungsnehmer aufgrund Gesamtschuld hemmt die Verjährung

Die Versicherungsnehmerin (VN) der jetzigen Klägerin wurde vom Bauherrn im vorangegangenen Verfahren wegen Baumängeln verklagt. In diesem Verfahren verkündete die VN dem jetzigen Beklagten den Streit, der auf Seiten der VN dem Rechtsstreit beitrat. Nach dem Urteil, mit dem die VN zur Zahlung von € 79.054,86 zuzüglich Zinsen verurteilt wurde, zahlte die Klägerin den Betrag abzüglich des Selbstbehalts der VN an den Bauherrn an den Bauherrn und verlangte 40% davon vom Beklagten erstattet. Das Landgericht hat die VN und den Beklagten als Gesamtschuldner angesehen, allerdings eine vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung als begründet angesehen. Nach „ 195 betrage die Verjährungsfrist drei Jahre, beginnend nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der ausgleichspflichtige Anspruch entstand und die VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erhielt. Damit, so das Landgericht, begann die Verjährung am 01.01.2008 und sei am 31.12.2010 abgelaufen. Die Klageerhebung der Klägerin in 2013 habe die Verjährungsfrist nicht mehr nach § 204 BGB hemmen können. Die Streitverkündung der VN habe nach Auffassung des Landgerichts nicht zur Hemmung geführt, da die Streitverkündung unzulässig gewesen sei. Die Unzulässigkeit ergebe sich daraus, dass schon im Zeitpunkt der Streitverkündung eine gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten mit der VN in Betracht kam und von daher auch der Bauherr beide hätte verklagen können. Damit hätte die VN den Beklagten selbst klageweise auf Freistellung in Anspruch nehmen müssen. Dem schloss sich das OLG an und hat die Berufung mit Beschluss nach § 522 ZPO zurückgewiesen.

Der BGH folgte der Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht.

Er wies darauf hin, dass nach § 72 Abs. 1 ZPO eine Streitverkündung u.a., dann zulässig sei, wenn die Partei im Zeitpunkt der Streitverkündung aus in diesem Augenblick naheliegenden Gründen für den Fall eines für sie ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits einen Anspruch gegen einen Dritten erheben zu können glaubt. Entscheidend dabei sie, dass die Streitverkündung verhindern soll, dass verschiedene Beurteilungen desselben Tatbestandes durch unterschiedliche Gerichte erfolgen, weshalb auch §§ 74, 68 ZPO diesem Risiko entgegenwirkt. Von daher sei zu unterscheiden:

Unzulässig ist eine Streitverkündung durch den Kläger des Vorprozesses (dies wäre hier der Bauherr) gegenüber dem jetzigen Beklagten, wenn (und da) von vornherein nach Lage der Dinge der jetzige Beklagte und die VN als Gesamtschuldner ihm gegenüber haften und von daher die Klage hätte auf den jetzigen Beklagten erweitert werden können. In einem solchen Fall könnte es auch für den Streitverkünder nicht mehr darauf ankommen, ob der Prozess für ihn ungünstig ausgeht.

Anders aber sei es in dem Fall (wie hier), wenn der Beklagte des Vorprozesses (hier die VN) gegen einen Dritten (Streitverkündungsempfänger, hier der Beklagte des aktuellen Prozesses) aus im Zeitpunkt der Streitverkündung naheliegenden Gründen aus einem Gesamtschuldverhältnis  einen Gesamtschuldnerausgleichsanspruch  erheben zu können glaube. Ausgleichsansprüche unter Gesamtschuldner sind, so der BGH, Ansprüche auf Schadloshaltung iSv. § 72 Abs. 1 ZPO. Ein Beklagter wie hier die VN der Klägerin , der einen Gesamtschuldnerausgleich gegen einen Dritten erheben zu können glaubt, ist dem Risiko ausgesetzt, vor dem die mit der Streitverkündung verbundene Bindungswirkung nach §§ 74, 68 ZPO bewahren soll.


BGH, Urteil vom 07.05.2015 – VII ZR 104/14 -

Freitag, 23. September 2016

Mietvertrag: Bürgenhaftung bei Ausübung einer Verlängerungsoption

Häufig wird in einem Mietvertrag als Sicherung vereinbart, dass ein Dritter als selbstschuldnerischer Bürge für mögliche Ansprüche des Mieters gegen einen Mieters mit einstehen soll. Doch hier ist, wie die Entscheidung des OLG Düsseldorf verdeutlicht, Vorsicht geboten.

In dem vom OLG im Rahmen einer Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe zu entscheidenden Fall, hatte die Ehefrau des Mieters die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Verpflichtungen ihres (zwischenzeitlich verstorbenen) Ehemanns aus einem von diesem mit der Klägerin abgeschlossenen Mietvertrag übernommen. Der Mietvertrag wurde am 20.03.1997 geschlossen; dazu übernahm die Ehefrau (ob wirksam, hat das OLG auf sich beruhen lassen, allerdings auch bezweifelt) durch Unterschrift auf der Vertragsurkunde als „selbstschuldnerische Bürgin“ die Bürgschaft. Unabhängig davon, ob dies dem Schriftformerfordernis für eine Bürgschaft genügt, würde sich die verklagte Ehefrau  jedenfalls auf § § 767 Abs. 1 S. 3 BGB berufen können. Dort heißt es: „Durch ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft vornimmt, wird die Verpflichtung des Bürgen nicht erweitert.“ 

Streitgegenständlich sind ausschließlich Forderungen der Klägerin, die nach der Ausübung eines mietvertraglich vorgesehenen Optionsrechts durch den Mieter entstanden sind. Dies stellt sich, so das OLG, als ein rechtsgeschäftliches Handeln iSv. § 767 Abs. 1 S. 3 BGB dar. Mit dieser Regelung würde auch das mit § 766 S. 1 BGB (Schriftformerfordernis) verfolgte Anliegen durchgesetzt, den Bürgen nicht mit einem unkalkulierbaren Risiko zu überziehen. Es sollen für künftige Verbindlichkeiten Grenzen gesetzt werden. Es solle auch verhindert werden, dass durch ein zusammenwirken von Gläubiger und Hauptschuldner nachträglich das Haftungsrisiko des Bürgen verschärft wird, die für den Bürgen bei Eingehen der Bürgschaft nicht erkennbar waren.


OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.04.2016 – 24 W 12/16 -

Kaufrecht: Herstellergarantie ist Beschaffenheitsmerkmal und ihr Fehlen kann einen Vertragsrücktritt rechtfertigen

Der Klä­ger er­warb von dem be­klag­ten Au­to­händ­ler ei­nen ge­brauch­ten Audi TT, den die­ser auf ei­ner In­ter­net­platt­form mit Angabe „inklusive Audi-Garantie bis 11/2014“ bewarb. Der Kaufvertrag wurde am 07.07.2013 abgeschlossen; das Fahrzeug hatte eine Laufleistung von 45.170km. Im August 2013 erhielt der Kläger im Rahmen der Garantie in einem Audi-Zentrum ein Austauschgetriebe und im September 2013 ein neues Steuergerät für die Kraftstoffpumpe. Da das Problem an dem Fahrzeug damit nicht behoben wurde, nahm Audi eine weitergehende Prüfung vor und stellte dabei eine Manipulation der Laufleistung (vor Abschluss des Kaufvertrages) fest, weshalb weitere Garantieleistungen verweigert wurden. Der Kläger erklärte unter dem 02.10.2013 den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges Rückzahlung des Kaufpreises und der Zahlung seiner Aufwendungen Zug um Zug gegen Erstattung der Gebrauchsvorteile. Während Land- und Oberlandesgericht die Klage abwiesen, hob der BGH die Entscheidungen auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Entgegen der Vorinstanz nahm der BGH an, dass das Bestehen einer Herstellergarantie in der Regel ein Beschaffenheitsmerkmal der Kaufsache nach § 434 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB sei, so dass dessen Fehlen einen Sachmangel darstellen könne. Nach der Neuregelung im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (von 2001) jede nach früheren recht zusicherungsfähige Eigenschaft eine Beschaffenheit iSv. § 434 Abs. 1 BGB darstelle. Eine Herstellergarantie stellt führe zu einem rechtlichen Verhältnis zwischen Fahrzeughalter und –hersteller in Bezug auf das Fahrzeug, in dessen Rahmen regelmäßig im Rahmen der Garantieerklärung Ersatz für die Kosten von bestimmten Reparaturen geleistet würde.  Entgegen dem früheren recht sei jetzt nicht mehr ausreichend, dass eine Beschaffenheitsvereinbarung „im Zweifel“ vorläge, sondern sie müsse eindeutig in Betracht kommen. Einer Vereinbarung bedarf es nicht. Ausreichend ist daher, wenn eine bestimmte Aussage getroffen wird, die nicht auf lediglich einen Verweis auf Dritte darstellt (z.B. „laut Vorbesitzer“ oder „laut Fahrzeugschein“, Urteil vom 12.03.2008 – VIII ZR 253/05 -).


BGH, Urteil vom 15.06.2016 – VIII ZR 134/15 -

Mittwoch, 21. September 2016

Wohnraumkündigung wegen verspäteter Zahlungen durch staatliche Stellen (Transferleistungen) ?

Die Beklagte zu 1. hatte von der Klägerin eine Wohnung für sich und ihre erwachsenen Töchter (die Beklagten zu 2. und 3.) gemietet. Der Mietzins sollte gemäß vertraglicher Vereinbarung jeweils zum dritten Werktag eines jeden Monats im Voraus an die Klägerin  gezahlt werden. Nach einem Zahlungsverzug von zwei Monatsmieten kündigte die Klägerin und erhob im März 2013 Räumungsklage. Innerhalb der Schonfrist wurde vom Bezirksamt der Mietrückstand ausgeglichen und die Räumungsklage in der Hauptsache für erledigt erklärt. In der Folge übernahm das Jobcenter die Mietzahlungen. Im August 2013 wurde ein Teilbetrag der Miete nicht gezahlt, neuerlich im Oktober 2013, wobei von diesem Rückstand im Oktober 2013 am 30.10.2013 wiederum ein Teilbetrag gezahlt wurde. Mit Schreiben vom 28.10.2014 mahnte die Klägerin die Beklagte zu 1. ab und verlangte künftighin die rechtzeitige Zahlung der vollständigen Miete. Im November 2013 zahlte die Beklagte zu 1. Einen Teilbetrag von € 613,19 nicht, woraufhin die Klägerin Ende November das gerichtliche Mahnverfahren einleitete. Danach erfolgte der Ausgleich der Miete für November. Im März 2014, am 10.3., war von der Märzmiete noch ein Betrag von € 276,81 offen, der erst am 11.03.2014 gezahlt wurde. Mit Schreiben vom 10.03.2014 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis in Ansehung des Zahlungsverhaltens der Beklagten zu 1. fristlos, vorsorglich hilfsweise fristgerecht zum nächst möglichen Kündigungstermin. Nachdem die Beklagte zu 1. Und ihre Töchter nicht auszogen, erhob die Klägerin Räumungsklage. Das Amtsgericht gab dieser statt; das Landgericht wies sie zurück. Auf die vom Landgericht zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hob der BGH das landgerichtliche Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Landgericht.


Vom BGH wurde dem Landgericht in seiner Auffassung zugestimmt, dass das Jobcenter, welches hier jeweils die Zahlungen geleistet hatte, nicht Erfüllungsgehilfe der Beklagten zu 1. Sei und von daher ein mögliches Verschulden desselben im Zusammenhang mit verspäteten Zahlungen nicht der Beklagten zu 1. zugerechnet werden könne. Wie auch von Amts- und Landgericht richtig festgestellt, liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB vor, wenn dem Vermieter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein Festhalten an dem Vertrag bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder einem sonstigen Beendigungszeitpunkt nicht zugemutet werden kann.

Der BGH weist darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung (auch des Senats) im Rahmen der Daseinsvorsorge von einer Behörde erbrachte Transferleistungen nicht dazu führen würden, dass diese Behörde Erfüllungsgehilfe des Mieters würde. Vielmehr werde die Behörde im Rahmen hoheitlicher Aufgaben zur Grundsicherung von Hilfsbedürftigen tätig. Nachlässigkeit oder Zahlungsunwilligkeit des Mieters würden für den Vermieter die Gefahr auch zukünftiger Zahlungsausfälle begründen und von daher eine Fortsetzung des Mietverhältnisses als für den Vermieter unzumutbar erscheinen lassen. Diese Situation sie mit dem Zahlungsverhalten der Behörde nicht ohne weiteres vergleichbar.

Allerdings habe das Landgericht verkannt, dass sich nach § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung alleine schon durch die unpünktliche Zahlungsweise herleiten ließe, da darin eine objektive Pflichtverletzung liege und sich für den Vermieter daraus negative Folgen ergeben könnten (z.B. wenn er die pünktliche Zahlung für die Abzahlung von Krediten eingeplant habe oder seinen Lebensunterhalt aus den Mieteinnahmen finanziere). Auch kann in den zu unterschiedlichen Zeiten erfolgten Zahlungen ein unzumutbarer Verwaltungsaufwand liegen. Darüber hinaus könne es eine Rolle spielen, ob das Mietverhältnis bisher mit Ausnahme der unpünktlichen Zahlungen störungsfrei verlief, was hier in Ansehung der in 2013 erfolgten Zahlung innerhalb der Schonfrist nicht gegeben sei.

Weiterhin sei zu prüfen, ob in Ansehung der verspäteten Zahlungen durch die Behörde den Mieter auch ein eigenes Verschulden treffe. Dieses würde bei Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung wie hier vermutet (BGH, Urteil vom 13.04.2016 – VIII ZR 39/15 -, Rechtsgedanke des § 280 Abs. 1 BGB). Alleine dadurch, dass der Mieter auf Transferleistungen angewiesen sei, würde diese Vermutung noch nicht widerlegen. Es sei vielmehr Sache des Mieters darzulegen und zu beweisen, dass er alles dafür getan habe, dass die Zahlungen rechtzeitig erfolgen (also rechtzeitige Antragsstellung, Überlassung vollständiger Unterlagen an die Behörde und, bei etwaigen Zahlungssäumnissen der Behörde wie hier, bei dieser auf eine pünktliche Zahlung zu drängen, insbesondere dann, wenn wie hier eine qualifizierte Abmahnung erfolgte. Hierzu aber hatten Amts- und Landgericht keine Feststellungen getroffen.


Anmerkung: Die Entscheidung beruht auf einem Gedanken des „sozialen Mietrechts“, der zu Lasten des Vermieters geht. Grundsätzlich stellt sich der Umstand, dass jemand kein Geld hat, nicht als ein Umstand der, der einen Verzug ausschließt. Und Verzug setzt ein Verschulden voraus. Damit gilt der Grundsatz „Geld hat man zu haben“.  Vorliegend wird aber der Umstand der fehlenden eigenen Zahlungsfähigkeit des Mieters berücksichtigt und damit dem Vermieter letztlich das Risiko überbürdet, dass er die Miete nicht oder nicht rechtzeitig erhält, da die Behörde eventuell aus Gründen, auf die der Mieter keinen Einfluss hat, nicht oder nicht rechtzeitig leistet. Dies findet im Gesetz selbst keine Stütze. Rieble hat dies in einem vom BGH zitierten Aufsatz (NJW 2010, 816f) als Gefühlrecht jenseits der Dogmatik bezeichnet. Ob diese vom Gesetz losgelöste Überlegung mit einer Sozialbindung vereinbar ist, halte ich für eher zweifelhaft. Denn der Einzelne kann nicht für etwas aufkommen müssen, was nicht in seiner Sphäre liegt, zumal er selbst bei einem solchen Verhalten in wirtschaftliche Schwierigkeiten (z.B. nicht rechtzeitige Zahlung von Kreditraten mit der Folge der Kündigung des Darlehensvertrages und der daraus resultierenden sofortigen Fälligstellung des Darlehens) geraten kann, ohne dass dann ein Verschulden verneint würde oder auch über die Sozialbindung die Kündigung des Darlehensvertrages als unwirksam bewertet würde.  Damit muss an sich zwingend die Nichteinhaltung der Regelung zur rechtzeitigen Mietzahlung unabhängig davon, ob der Mieter Einfluss nehmen kann oder nicht, stets zu Lasten des Mieters gehen.
  
BGH, Urteil vom 29.06.2016 – VIII ZR 173/15 - 

Architektenhaftung und Verjährung bei falscher Beantwortung einer Frage

Der beklaget Architekt hatte vertraglich  gegenüber dem Kläger die Pflicht zur Erbringung der Leistungsphasen 1-8 nach § 15 HOAI a.F. übernommen. Wenige Wochen nachdem sich der Kläger mit dem Beklagten darüber verständigte, diesem kein weiteres Honorar zu schulden, zog er am 20.01.2006 in die dem Architektenvertrag zugrundeliegende Doppelhaushälfte ein.  Im November 2012 kam es zu einem Wasserschaden, dessen Ursache zum einen  eine durch einen Planungsfehler des Beklagten nicht gehörige Abdichtung der Zwischenwand gegen drückendes Wasser war und im übrigen vier von fünf Rohrdurchführungen in der Bodenplatte nicht mit einer Abdichtung versehen waren.  Der Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.

Unabhängig davon, dass vorliegend das OLG in Ansehung anderweitiger Umstände der Ansicht ist, dass mangels Abnahme eine Verjährung eines Anspruchs des Klägers nicht vorläge, vertrat es die Ansicht, dass auch aus anderen Gründen sich der Beklagte nicht erfolgreich auf Verjährung berufen könne. Im Oktober 2006 war es bereits erstmals zu einem Wasserschaden gekommen. Im Zusammenhang damit hatte der Kläger den Beklagten vor dem Hintergrund der damals über den Lichtschacht durch das Fenster eingedrungenen Wasser gefragt, ob das Gebäude im übrigen dicht sei. Darin, so das OLG, läge das Angebot auf Abschluss eines Auskunftsauftrages, § 662 BGB. Dieses Angebot wäre durch den Beklagten konkludent durch seine Antwort angenommen worden, indem er bejahte. Die Annahme eines Vertragsschlusses scheitere auch nicht an einem Rechtsbindungswillen, da nach der Interessenslage auch für den beklagten erkennbar war, dass es sich nicht nur um eine bloße Gefälligkeit handele, sondern für den Kläger ein wesentliches Interesse wirtschaftlicher Art bestand.

Die Pflicht aus dem Auskunftsvertrag wurde vom beklagten schuldhaft verletzt, da er verpflichtet gewesen wäre, die Auskunft richtig und vollständig zu erteilen. Sie ist, so das OLG, dann korrekt, wenn die Antwort nach zumutbarer Ausschöpfung seiner eigenen Informationsquellen seinem tatsächlichen Wissensstand entspricht und wiedergeben wird. Die Auskunft war aber falsch. Diese Falschangabe war auch schuldhaft, da sich der Beklagte durch einfache Nachschau in dne Bauunterlagen noch einmal hätte vergewissern können.

Hätte der Beklagte bereits 2006 den Kläger korrekt informiert, hätte der Beklagte auch bereits zu diesem Zeitpunkt die notwendige Bauwerkssicherung durchführen lassen können. Damit hätte aber auch der Kläger seine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der nachzuholenden Bauwerkssicherung in unverjährter Zeit gegenüber dem Beklagten geltend machen können.


OLG Karlsruhe, Urteil vom 05.02.2016 – 8 U 16/14 -

Dienstag, 20. September 2016

Versicherungsmakler: Unerlaubte Rechtsberatung bei Schadensregulierung im Auftrag des Versicherers

Der beklagte Versicherungsmakler wurde von der Rechtsanwaltskammer Köln (Klägerin) auf Unterlassung in Anspruch genommen, schadensregulierend, wie in einem bestimmten Schreiben des Beklagten, tätig zu werden. In diesem Schreiben hatte der Beklagte mitgeteilt, der zuständige Versicherer habe ihn mit der Schadensregulierung beauftragt. Weiterhin heißt es, dass die versicherte Firma bis zum Zeitwert des beschädigten Objekts unter Berücksichtigung dessen Alter und Gebrauchs Ersatz zu leisten habe. Da die Anschaffungsrechnung vom geschädigten Anspruchsteller nicht vorgelegt werden konnte, obwohl er zum Nachweis der Schadenshöhe verpflichtet sei, würde von dem Betrag ein Abzug neu für alt vorgenommen; Reinigungskosten wären dabei bereits berücksichtigt (es erfolgt ein Verweis auf Entscheidungen von zwei eines Amtsgerichten).


Die Klage wurde vom Land- und Oberlandesgericht abgewiesen. Die Revision der Anwaltskammer war erfolgreich.

Auszugehen sei von der Definition des Versicherungsmaklers in § 59 Abs. 3 VVG. Dieser sei für den Auftraggeber geschäftsmäßig mit der Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen beauftragt, ohne von einem Versicherer oder Versicherungsvertreter damit beauftragt worden zu sein. Eine Doppeltätigkeit als sowohl für den Versicherungsnehmer als auch den Versicherer sei mit dem Leitbild nicht vereinbar. Dementsprechend würde auch § 34d Abs. 1 GewO zwischen Versicherungsmakler und Versicherungsvertreter unterscheiden. Nur beim Versicherungsvertreter gehöre es zu dessen Aufgaben, den Versicherungsvertrag nach Abschluss desselben weiter zu betreuen, evtl. den Versicherungsnehmer rechtzeitig auf Anpassungsbedarf usw. hinzuweisen und den Versicherungsnehmer im Schadensfall sachkundig zu beraten. Der Versicherungsmakler sei Sachwalter des Versicherungsnehmers und stehe „in dessen Lager“ und nicht, wie der Versicherungsvertreter, im Lager des Versicherers. Im Schadensfall könne der Versicherungsmakler im Rahmen des § 5 RDG für den Versicherungsnehmer, nicht für den Versicherer, schadensregulierend tätig werden.

Dies gelte auch im Falle des (vorliegenden) Haftpflichtrechts, da die Interessen des Versicherers und des Versicherungsnehmers nicht korrespondieren müssen. Während der Versicherer regelmäßig ein Interesse daran habe, den zu regulierenden Schadensaufwand möglichst gering zu halten, kann, muss dies aber nicht notwendig bei dem Versicherungsnehmer der Fall sein. Der BGH verweist darauf, dass der Versicherungsnehmer häufig ein Interesse daran hat, dass ein Schaden möglichst rasch und unproblematisch im Interesse seines geschädigten Kunden abgewickelt wird, er also nicht in weitere Kritik seines Kunden gerät.

Auch wäre zweifelhaft, ob es sich hier um eine Nebentätigkeit des Versicherungsmaklers handele. Dies deshalb, da die Regulierung durch den Versicherungsmakler nicht auf einem Vertragsverhältnis mit seinem Auftraggeber, sondern auf einem gesonderten Vertrag mit dem Versicherer beruht.

Neben § 5 RDG würde der Tätigkeit des Versicherungsmaklers auch § 4 RDG entgegenstehen. Der Rechtsdienstleistung steht hier der mögliche Interessenskonflikt des Versicherungsmaklers entgegen, der eine ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährde. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass es zu den Aufgaben des Versicherungsmakler gehöre, bei einer für den Versicherungsnehmer unbefriedigenden Regulierung durch den Versicherer zu einem Wechsel des Versicherers zu raten, was dem Interesse des Versicherers entgegensteht.


BGH, Urteil vom 14.01.206 – I ZR 107/14 -

Freitag, 16. September 2016

Zwangsversteigerung: Zuschlagsverkündungstermin und Antrag auf Vertagung

Vorliegend hatte der Schuldner den Antrag auf Aufschiebung des Verkündungstermins für den Zuschlagsbeschluss mit der Begründung gestellt, er habe bzw. wolle beim Prozessgericht einen Antrag nach § 769 Abs. 1 ZPO (einstweilige Anordnung auf vorläufige Einstellung der Zwansgvollstreckung) stellen. Dies genügt nach Auffassung des BGH nicht.


Der BGH weist darauf hin, dass in der Regel der Beschluss über den Zuschlag  im Versteigerungstermin erfolgen soll, da alle beteiligten einen Anspruch auf rasche Klärung der Rechtslage haben. Dies gilt insbesondere auch für die Bietenden, die bis zur Verkündung an ihre Gebote gebunden bleiben.  So sei es auch ermessensfehlerhaft, wenn von einer sofortigen Verkündung abgesehen werde, da der betreibende Gläubiger dies beantragt, um mit dem Meistbietenden noch einen möglichen Zuschlag auf die gebotene Summe zu vereinbaren (mit der Möglichkeit, vor dem Zuschlag das aktuelle Verfahren durch Rücknahme zu beenden und so einen Zuschlag zu verhindern). Angemessen wäre eine Vertagung, wenn damit einer möglichen Verschleuderung des durch Ermöglichung einer Vollstreckungsschutzklage gem. § 765a ZPO entgegengewirkt wird.

Wenn aber der Schuldner einen Antrag nach § 769 Abs. 1 ZPO erst kurz vor oder im Termin ankündigt, rechtfertigt dies nicht die Vertagung der Verkündung des Zuschlagsbeschlusses. Es liegt in diesem Fall kein notwendiger zwingender Grund vor, weshalb das Ermessen des Rechtspflegers bei seiner Entscheidung gebunden ist und er abzulehnen hat.


BGH, Beschluss vom 12.05.2016 – V ZB 141/15 -

Donnerstag, 15. September 2016

AGB: Schriftformerfordernis zur Kündigung bei Online-Vertrag unwirksam

Die Beklagte ist ein Telemediendienst, die unter anderem eine Partnerschaftsvermittlung über eine Internetseite betreibt. In ihren Geschäftsbedingungen findet sich u.a. zur Kündigung eines  Vertrages die Klausel:
"Die Kündigung der VIP- und/oder Premium-Mitgliedschaft bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (eigenhändige Unterschrift) und ist z.B. per Fax oder per Post an E.          GmbH (Adresse siehe Impressum) zu richten; die elektronische Form ist ausgeschlossen."

Die Klägerin, eine Verbraucherzentrale, erhob Klage auf Unterlassung der Nutzung der Klausel, da sie in der Klausel einen Verstoß gegen § 309 Nr. 13 BGB. . Das Landgericht gab der Klage statt, das OLG Hamburg hob das Urteil auf und wies die Klage ab. Auf die Revision wurde die landgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt.

Nach Auffassung des BGH steht der Klägerin ein Unterlassungsanspruch gem. § 1 UKlaG zu, da die Klausel unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 BGB sei. Unangemessenheit liege vor, wenn der Verwender bei der Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versuche, ohne ausreichend auf dessen Interessen Rücksicht zu nehmen. Dies sei hier der Fall, da die Klausel gerade im Hinblick auf die besondere des Zustandekommens des Vertrages (via Internet) und der Abwicklung desselben (via Internet) die Vertragspartner unangemessen benachteilige. Es sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, weshalb bei einer Beendigung des Vertragsverhältnisses durch den Kunden weitergehende Vorkehrungen erforderlich wären als bei dessen Begründung, bei der elektronisch nur wenige persönliche Datenübermittelt würden. Zwar müsse die Kündigung eindeutig zuzuordnen sein; hier würde die Möglichkeit der Bestätigung gegeben sein. Bei Zweifeln an der Authentizität der Kündigungserklärung bliebe im übrigen die Möglichkeit, gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 BGB nachträglich eine den Erfordernissen des § 126 BGB entsprechende Beurkundung zu verlangen (also dann doch ein Schriftstück mit persönlicher Unterschrift).


BGH, Urteil vom 14.07.2016  - III ZR 387/15 -

Dienstag, 13. September 2016

Keine Vorfahrt des einen gemeinsamen Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung ("links) nutzenden Radfahrers

Die Klägerin fuhr auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg, allerdings auf der linken Fahrbahnseite, obwohl in dieser Fahrtrichtung der Weg zum Befahren mit Rädern nicht freigegeben war. Sie wollte dann im Einmündungsbereich einer untergeordneten Straße diese überqueren, um auf der anderen Seite weiterzufahren; auf der anderen Seite war kein Radweg ausgewiesen. Beim überqueren  der Einmündung kam es zu einer Kollision mit einem aus der untergeordneten Straße auf die Vorfahrtsstraße auffahrenden Verkehrsteilnehmer. Die Klage gegen diesen wurde mit einer Quote von 75% vom OLG München abgewiesen.

Der BGH hatte bereits mit Beschluss vom 15.07.1986 – 4 StR 192/86 – entschieden, dass ein Radfahrer auf einer Vorfahrtsstraße auch dann sein Vorfahrtsrecht gegenüber kreuzenden bzw. einbiegenden Verkehrsteilnehmern  behalte, wenn er den linken von zwei vorhandenen  Radwegen benutze, der nicht nach § 2 Abs. 4 S. 2 StVO für die Gegenrichtung freigegeben ist. Dies begründete der BGH mit der notwendigen Klarheit von Verkehrsregeln.

Das OLG führte aus, dass mangels eines Radweges auf der Fahrbahn vorliegend die benannten Entscheidung des BGH nicht einschlägig sei. Die Klägerin wäre wie ein Fußgänger gegenüber dem Fahrzeugverkehr wartepflichtig gewesen, da weder § 9 Abs. 3 S. 2 noch § 26 StVO einschlägig wären (also deren Voraussetzungen nicht vorlagen) und die Vorfahrtsregeln nur gegenüber fahrzeugen und nicht gegenüber Fußgängern gelten würden.

Da darüber hinaus die Klägerin mit 18km/h sehr schnell gefahren wäre und für den Kraftfahrer – wenn überhaupt – kaum noch eine Reaktionsmöglichkeit bestanden habe, sah das OLG eine Haftung auf Beklagtenseite lediglich in Höhe von 25% als gegeben an.

Anmerkung: Soweit ersichtlich, hat das OLG die Revision nicht zugelassen. Dies wäre aber m.E. erforderlich gewesen, da mit dieser Entscheidung entgegen den Ausführungen im Urteil des OLG  von der rechtlichen Würdigung des 4. Strafsenats des BGH aus dem Jahr 1986 abgewichen wurde. In beiden Fällen wurde ein „Weg“ entgegen der Fahrtrichtung genutzt, im Fall des BGH ein ausgewiesener Radweg, im Fall des OLG ein ausgewiesener gemeinsamer Geh- und Radweg. Auch im Falle des BGH ergibt sich nicht, dass der Radweg auf der Straße fortgesetzt wurde.  Alleine der Umstand, dass es sich hier im Fall des OLG um einen gemeinsamen Fuß- und Radweg handelte lässt sich nicht schlussfolgern, dass für diesen nicht auch die Regelungen zur Vorfahrt an Kreuzungen und Einmündungen wie bei alleine zur Radbenutzung freigegebenen Bereichen gelten sollte; dies unabhängig von der wechselseitigen Rücksichtnahme auf dem gemeinsamen Geh- und Radweg. Denn die Gemeinsamkeit der Nutzung hat nichts mit der Widmung auch zu Zwecken des Radverkehrs zu tun.


OLG München, Urteil vom 05.08.2016 – 10 U 4616/16 -

Montag, 12. September 2016

Abtretung von Schadensersatzansprüchen zur Sicherung von Sachverständigenhonorar

Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls beauftragte den Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens. Bei Auftragserteilung  unterschrieb er eine Sicherungs-Abtretungserklärung, mit der er seine „Ansprüche gegen den Fahrer, den Halter und den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten gegnerischen Fahrzeugs in Höhe des Honoraranspruchs zzgl. Fremdkosten einschließlich der Mehrwertsteuer des SV für die Erstellung des Beweissicherungsgutachtens erfüllungshalber“ an den Sachverständigen abtritt, und zwar „in der Reihenfolge: Sachverständigenkosten, Wertminderung, Nutzungsausfallsentschädigung, Nebenkosten, Reparaturkosten. Dabei wird eine nachfolgende Position nur abgetreten, wenn die zuvor genannte Position nicht ausreicht, um den gesamten Honoraranspruch des Sachverständigen zu decken. Sollte die Abtretung der Ansprüche den tatsächlichen Honoraranspruch übersteigen, erfolgt die Abtretung dergestalt, dass hinsichtlich der zuletzt abgetretenen Anspruchsposition ein erstrangiger Teilbetrag in Höhe des restlichen Sachverständigenhonorars abgetreten wird.“


Die Klägerin, eine über eine Inkassoerlaubnis nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG verfügende Einzugsstelle, machte die Honoraransprüche des Sachverständigen gegen die gegnerische Haftpflichtversicherung geltend. Amtsgericht und Landgericht haben die Klage abgewiesen. Die zugelassene Revision führte zur Abweisung derselben. Der BGH verwies darauf, dass die Zession unwirksam sei. Es handele sich hier um eine überraschende Klausel gem. § 305c Abs. 1 BGB.

Die hier vorgenommene Art der Abtretung von Ersatzansprüchen stelle eine so weitgehende Sicherung des Sachverständigenhonorars dar, dass die Klausel deutlich von den Erwartungen eines Vertragspartners (abzustellen ist hier auf den typischen Personenkreis, der mit dieser Klausel konfrontiert wird) abweiche. Zwar sei nicht überraschend, dass der Geschädigte seinen möglichen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten gegen den Unfallgegner und seinen Versicherer abtrete. Überraschend sei aber die Abtretung der weiteren Ansprüche. Wenn, wie es in der Praxis häufiger vorkommt, die Höhe des Sachverständigenhonorars streitig ist, könne der Sachverständige bei einer Klausel wie vorliegend, statt dies gerichtlich klären zu lassen, schlicht auf die weiteren abgetretenen Ansprüche rekrutieren, um seinen Anspruch vollumfänglich durchzusetzen. Davon würde aber der Zedent nicht ausgehen, der vielmehr der Ansicht ist, dass die Höhe des Honrars in Ordnung sei und der gegnerische Haftpflichtversicherer dies akzeptiere und von daher die Einforderung durch den Sachverständigen für ihn  keine Verschlechterung bezüglich der weiteren Schadenspositionen bedeute.


BGH, Urteil vom 21.06.2016 – VI ZR 475/15 -

Sonntag, 11. September 2016

Mieters Vorkaufsrecht bei Realteilung, § 577 BGB

§ 577 BGB regelt das Vorkaufsrecht des Mieters im Falle des Verkaufs einer Eigentumswohnung für den Fall, dass nach Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet wird und es sich um den ersten Verkauf dieser Wohnung handelt.

Die Klägerin war Mieterin eines Hauses in einer Siedlung ehemaliger Zolldienstwohnungen. Die Eigentümerin (Beklagte) veräußerte mit einem Kaufvertrag vom 14.12.2012 das Gesamtgrundstück, auf dem mehrere Häuser, u.a. das von der Klägerin gemietete Haus standen, an fünf Ehepaare dergestalt, dass das Gesamtgrundstück und die Grundstücksteilflächen als Kaufgegenstand bezeichnet wurden und in einem gesonderten Paragraphen geregelt wurde, dass in einem dem Vertrag beigefügten Lageplan noch nicht vermessene farblich markierte Teilflächen bestimmten Käufern zuzuordnen sind, im übrigen eine Gemeinschaftsfläche bilden. Zum Zwecke der Berechnung der Grunderwerbsteuer stellten die Käufer in einem weiteren gesonderten Paragraphen klar, dass der Gesamtpreis einschließlich Kosten in einem bestimmten Anteil von ihnen bezahlt wurde. Weiterhin wurde in dem Vertrag die Auflassung erklärt, und zwar dergestalt, dass das Eigentum in einem bestimmten Anteil an die jeweiligen Käufer (Eheleute) übergehen sollte. In einer weiteren Urkunde vereinbarten die Käufer die Miteigentumsrechte an den Gemeinshaftsflächen und führten in dessen Vorbemerkung aus, sie hätten das Grundstück zu „Eigentum in Teilflächen“ erworben.

Die Klägerin berief sich auf § 577 BGB und machte einen Anspruch auf Auflassung an sich geltend. Das Amtsgericht gab der Klage statt, das Landgericht wies die Klage ab. Auf die zugelassene Revision hin stellte der BGH die amtsgerichtliche Entscheidung wieder her.

Der BGH hatte bereits in früheren Entscheidungen entschieden, das § 577 BGB nicht nur auf in Wohnungseigentum umzuwandelnde Objekte anwendbar wäre, sondern wegen der vergleichbaren Interessensklage auch auf die Realteilung unterschiedlich Grundstücke anwendbar sei (Urteile vom 28.05.2016 – VIII ZR 126/07 – und 23.06.2010 – VIII ZR 325/09 -). Vorliegend wird vom BGH klargestellt, dass die Grundsätze zur Umwandlung in künftiges Wohnungseigentum auch dann beachtlich sind, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages die Teilung noch nicht vollzogen ist. Allerdings muss sich aus dem Vertrag eine Verpflichtung des Verkäufers (wie hier) ergeben und die jeweiligen Flächen müssen sich aus dem Vertrag auch ermitteln lassen, wobei es nicht darauf ankommen könne, dass eine vollständige Übereinstimmung gegeben ist.

Da danach entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht das Gesamtgrundstück an die Käufer verkauft werden sollte, sondern nach dem objektiven Vertragswortlaut elf Einzelgrundstücke gebildet werden sollten und nur zwei Grundstücke im Interesse eines gemeinschaftlichen Zusammenlebens gemeinsam genutzt werden sollten, läge bereits mit dem Kaufvertrag die Verpflichtung des Beklagten zur Teilung des Grundstücks vor, aus dem er dann einzelne Grundstücke und Miteigentumsanteile an den gemeinschaftlichen Flächen veräußert. Der streitgegenständlich wesentliche Vekaufsgegenstand, das von der Klägerin angemietet Haus, wäre mit dem entsprechenden Grundstücksteil identisch; dass eine weitere Mietteilfläche nicht vom Kaufgegenstand umfasst ist (es handelt sich hier um die für die Gemeinschaft vorgesehene Fläche), sei unschädlich. Dies ergäbe sich aus §§ 577 Abs. 1 S. 3,  467 S. 1 BGB.

Auch wenn danach die benannte Teilfläche nicht dem Vorkaufsrecht nach § 467 BGB unterfallen würde, habe der Kläger gleichwohl einen Anspruch. Hier würden zugunsten des Klägers §§ 577 Abs. 1 S. 3, 467 S. 2 BGB analog greifen (zur Analogie BGH vom 10.10.1969 – V ZR 155/66 -). Denn die Beklagte habe von der ihr als Vorkaufsverpflichteter von dem ihm eingeräumten Recht Gebrauch gemacht, den Vorkauf auf alle Teilflächen zu erstrecken, die nicht ohne Nachteile für sie getrennt werden können. Dieses sei von der Klägerin aufgegriffen worden.


BGH, Urteil vom 27.04.2016 – VIII ZR 61/15 -

Schmähkritik/Beleidigung versus Wahrnehmung berechtigter Interessen bei Justizkritik

Der Angeklagte hatte in einem Beschwerdeverfahren vor dem OLG München eine Anhörungsrüge erhoben, mit der er sich gegen die Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen einer von ihm erstatten Strafanzeige und seiner Verwerfung seines Klageerzwingungsantrags durch das OLG wandte. Hier führte er u.a. aus:

"Ihr Gefühl von Machtvollkommenheit kennt offenbar keine Grenzen, keine Scham. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie … den reinen Unsinn fabrizieren. ..
Der Unterschied zwischen Ihnen und Roland Freisler liegt in Folgendem: Während Roland Freisler im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte "Rechtsstaat" und "Legitimität" aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie - zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal - genauso schlicht Unrecht, wie es auch Roland Freisler getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Roland Freisler begangen hat: Bei Roland Freisler kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber - zumindest in dem vorliegenden Justizskandal - zuwider.".

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen Beleidigung. Die Berufung wurde vom Landgericht verworfen. Im Rahmen der von ihm erhobenen Revision zum OLG, mit der er u.a.  geltend machte, dass seine Anhörungsrüge, die beanstandet wurde, eine Änderung der Sachentscheidung bezwecken sollte und das Landgericht die Reichweite der Meinungsfreiheit von Rechtsanwälten im Lichte der Rechtsprechung des EGMR verkannt habe. Auf die Revision wurde das Urteil aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landgericht (zu einer anderen Strafkammer) zurückverwiesen.

Vom OLG wurde darauf hingewiesen, dass § 193 StGB eine Ausprägung des Grundrechts auf freie Meinungsfreiheit sei, Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht wäre allerdings nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze, so dem Strafrecht, gewährleistet. Diese allgemeinen Gesetze müssten allerdings im Lichte des Grundrechts im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ausgelegt werden.

Eine ehrverletzende Äußerung läge dann vor, wenn die Grenze zur Schmähkritik überschritten sei. Selbst eine überzogene und eine ausfällige Kritik mache allerdings diese noch nicht zu Schmähkritik. Diese läge nur vor, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache , sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stünde. Hier habe sich der Angeklagte konkret im Zusammenhang mit dem Verfahren unter Bezugnahme auf vorherige Schreiben geäußert und ausgeführt, dass er das Vorgehen des Landgerichts im Zivilverfahren und der Staatsanwaltschaft für rechtswidrig hält und sein Unverständnis darüber zum Ausdruck über den Senat des OLG zum Ausdruck gebracht, der in keine Sachprüfung einstieg. Von daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Diffamierung von Mitgliedern des Senats im Vordergrund stand. Zwar habe der Angeklagte harsche Worte gebraucht; allerdings sei deswegen die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten, da die mittelbare Kritik an der Person nicht die sachliche Kritik in den Hintergrund treten ließ. Auch könne dem Landgericht bei seiner Begründung der Zurückweisung der Berufung nicht gefolgt werden, dass das beanstandete Schreiben keine verfahrensrelevante Bedeutung mehr gehabt habe: Das Landgericht habe damit das Wesen der Anhörungsrüge verkannt, die bei Vorliegen einer hier behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs zur Nachprüfung der Entscheidung zwinge.


OLG München, Beschluss vom 11.07.2016 – 5 OLG 13 Ss 244/16 -

Donnerstag, 8. September 2016

Erbschaftsteuerreform – der Streit um die Neureglung und die Konsequenzen für die Betroffenen

Die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist für die Erbschaftsteuerreform lief bereits am 30.06.2016 aus. Das Bundesverfassungsgericht will sich, nachdem die Frist nicht gewahrt wurde, Ende September 2016 wieder mit dem Vorgang befassen. Die Politik hofft auf eine weitere Schonfrist bis Ende Dezember.

Was bedeutet dies für Betroffene ?

Wer heute erbt, für den gelten noch die für verfassungswidrig erklärten Regelungen des derzeitigen Erbschaftsteuerrechts. Allerdings bestimmt das derzeit vorliegende, vom Bundesrat blockierte Reformgesetz, dass dieses rückwirkend für alle Fälle gelten soll, deren Steuer nach dem 30.06.2016 entstand. Ob dieses Gesetz  - auch mit der Rückwirkungsregelung -  letztlich wirksam wird, ist nicht absehbar. Ebensowenig ist absehbar, welche Maßnahmen das Bundesverfassungsgericht trifft, wenn es auf Grund der Untätigkeit des Gesetzgebers selbst tätig wird. Denkbar wäre, dass es das geltende Erbschaftsteuergesetz gänzlich außer Vollzug setzt. Denkbar wäre auch, dass es nur die beanstandeten Regelungen (so den Wegfall der Verschonungsregelung für das Betriebsvermögen) anordnet; allerdings wird dagegen bereits in der Fachliteratur eingewandt, das Bundesverfassungsgericht dürfe nicht als "Notgesetzgeber auf Zeit“ fungieren.

Wie sollen sich nunmehr diejenigen verhalten, die bereits heute über Ihr Vermögen zugunsten von Nachkommen verfügen wollen ? Nach dem Gesetzentwurf soll eine Rückwirkung gelten, weshalb zwar zunächst die Besteuerung nach dem geltenden Gesetz vorgenommen würde, sich aber dann nachträglich mit Inkrafttreten der jetzigen Gesetzesvorlage ändern soll. Damit sind neue Rechtsstreite vorprogrammiert.

Grundsätzlich wird man die Rückwirkung eines Gesetzes als verfassungswidrig anzusehen haben. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet zwischen echter Rückwirkung (verfassungswidrig) und unechter Rückwirkung (verfassungsgemäß). Die echte Rückwirkung liegt vor, wenn die Rechtsfolge in zum Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes bereits abgeschlossene Tatbestände anknüpft BVerfGE 132, 302, 318). Die unechte Rückwirkung liegt vor, wenn in noch nicht abgeschlossene Sachverhalte mit Rechtsbeziehungen für die Zukunft eingewirkt wird und dadurch eine Rechtsposition entwertet wird (BVerfGE 101, 239, 263). Aber auch bei einer unechten Rückwirkung könnte diese unzulässig sein, wenn gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen wird (BVerfG NVwZ 2016, 300ff). Allerdings hat das BVerfG auch entschieden, dass ein Vertrauensschutz dann entfällt, wenn der Bundestag ein (zustimmungsbedürftiges) Gesetz beschlossen hat (BVerfGE 72, 200). Hier hat der Bundestag den Beschluss am 24.06.2016 gefasst; der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuss angerufen.

Wird der Unternehmensnachfolgevertrag also für die Zukunft geschlossen, würde es sich bei dem neuen Gesetz um eine unechte Rückwirkung handeln. Ob hier, wie teilweise angenommen, der Vertrauensschutz greift, erscheint mir allerdings zweifelhaft. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 17.12.2014 (BVerfGE 138, 136) selbst tenoriert, dass bis zu einer Neuregelung das bisherige Gesetz anwendbar ist, allerdings gleichzeitig eine Frist zur Neureglung auf den 30.06.2016 bestimmt. Es ließe sich also wohl auch vertreten zu argumentieren, dass die mit dem 30.06.2016 endende Frist an den Gesetzgeber auch bei späteren Inkrafttreten eines Gesetzes der Vertrauensschutz aus der weiteren Regelung im Urteil zur Fortgeltung des bisherigen Rechts entfällt. Damit stehen sich der Urteil des BVerfG in BVerfGE 72, 200 zur möglichen Rückwirkung auf den Tag des Beschlusses des Bundestages und seine Tenorierung zur Fortgeltung des bisherigen Gesetzes in diesem Fall diametral gegenüber.

Anders wird es aber wohl sein (müssen), wenn die Unternehmensnachfolge heute mit sofortiger Wirkung vollzogen wird. Dann läge zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Gesetzes ein abgeschlossener Tatbestand vor, für den die Rückwirkung zu versagen wäre.

Der Gesetzgeber könnte auch noch in den Entwurf des Gesetzes eine Optionsregelung einbauen, die es den Betroffenen freistellt, zum alten oder neuen Recht zu optieren;

Wenn in dieser rechtlich unklaren Situation ein Vertrag zur Unternehmensnachfolge geschlossen wird, wäre auch an das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu denken. Danach wäre ein Vertrag anzupassen bzw. rückabzuwickeln, wenn die Geschäftsgrundlage rückwirkend entfällt. Daran wäre zu denken, wenn in Ansehung der Gesetzesänderung rückwirkend höhere Erbschafts- bzw. Schenkungssteuern Steuern entstehen. 

Mittwoch, 7. September 2016

Abnahme durch Bauträger als Erstverwalter und Folge der Unwirksamkeit der Abnahme

In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Erwerbsvertrages war vorgesehen, dass der Erstverwalter (der Beklagte) das Gemeinschaftseigentum für die Gemeinschaft abnimmt; zum Erstverwalter hatte sich der Bauträger selbst bestellt. Die Gewährleistungsfrist wurde mit fünf Jahren festgehalten. Im Herbst 2004 meldete der Beklagte die Bezugsfertigkeit der Wohnungen und des Gemeinschaftseigentums; im Januar 2005 erfolgte die Übergabe einer Wohnung an den Kläger. Dieser erhob im November 2009 Klage wegen Mangelbeseitigung und Nacherfüllung. Der Beklagte erhob u.a. die Einrede der Verjährung. Das OLG hat den beklagten zur Beseitigung zahlreicher Mängel in der Wohnung des Klägers und am Gemeinschaftseigentum verurteilt. Die zugelassene Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen.

Ausgangspunkt der Entscheidung des BGH ist, dass die Abnahme durch den Beklagten als Verwalter als unwirksam angesehen wurde. Die entsprechende Klausel des vom Beklagten gestellten Erwerbsvertrag sei unwirksam. Die Klausel, wonach die Abnahme durch einen vom Bauträger bestimmten Verwalter erfolge, verstoße gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB(so bereits Beschluss des Senats vom 12.09.2013 – VII ZR 308/12 -). Gleichwohl aber könne sich der Kläger auf  §§ 634 Nr. 1, 635 BGB stützen, da es dem Beklagten als Verwender der unwirksamen Klausel verwehrt ist, sich auf deren Unwirksamkeit zu berufen. Damit müsse er den Nachteil tragen, der sich daraus ergibt, dass er trotz fehlender Abnahme des Gemeinschaftseigentums mit Mängelansprüchen konfrontiert wird, § 242 BGB.

Gleichzeitig greift aber nicht die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung. Denn die Verjährung des Mängelbeseitigungsanspruchs beginnt erst mit der Abnahme zu laufen, § 634a Abs.2 BGB. Damit hatte Lauf der Verjährung des Anspruchs bezüglich des Gemeinschaftseigentums noch nicht begonnen. In Hinblick auf das Sondereigentum aber würde auch die Einrede der Verjährung nicht greifen. Die Parteien hatten in dem Formularvertrag die VOB/B vereinbart, abweichend davon die Gewährleistungsfrist auf fünf Jahre, beginnend mit der Abnahme, beträgt. Die Klausel müsse schon nach der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB dahingehend zu verstehen sein, dass die Mängel bereits zu diesem Zeitpunkt vorlagen.

Da weder für das Sonder- noch das Gemeinschaftseigentum eine wirksame Abnahme nicht vorlag, traf den Beklagten die Darlegungs- und Beweislast für eine Mängelfreiheit.


BGH, Urteil vom 30.06.2016 – VII ZR 188/13 -

Samstag, 3. September 2016

WEG: Zur Bestimmtheit eines Beschlusses bei Bezugnahme auf ein außerhalb des Protokolls befindliches Dokument

Im Ausgangsverfahren stritten die Parteien über die Wirksamkeit eines die Wohngeldabrechnung 2012 betreffenden Beschlusses. Anknüpfungspunkte war, dass  der der Abrechnung zugrunde gelegte Verteilungsschlüssel auf einem einige Jahre zuvor gefassten Beschluss der Gemeinschaft aus 2008 basiere, der eine von § 16 Abs. 2 WEG abweichende Kostenverteilung vorsah. Nach Auffassung des Klägers sei der Beschluss über den Verteilungsschlüssel nichtig, da der Abrechnungsschlüssel im Beschlusstext nicht wiedergegeben wurde, sondern auf ein externes Schriftstück verwiesen wurde, weshalb dieser Verteilungsschlüssel bei der Wohngeldabrechnung nicht hätte angewandt werden dürfen.

Der BGH weist zunächst darauf hin, dass eine Änderung des Verteilungsschlüssels nach Maßgabe des § 16 Abs. 3 WEG zulässig sei, wenn dies ordnungsgemäßer Verwaltung entspräche. Dieser Beschluss sei auch nicht deshalb nichtig, da der künftige Verteilungsschlüssel nicht im Beschlusstext selbst aufgenommen wurde, sondern auf den in der Jahresabrechnung 2007 angewandten Verteilungsschlüssel verweise. Beschlüsse müssen, schon in Ansehung der Bindungswirkung für Rechtsnachfolger gem. § 10 Abs. 4 WEG, inhaltlich bestimmt du klar sein. Außerhalb des Beschlusses liegende Umstände dürfen nur insoweit herangezogen werden, wenn diese nach den Umständen für Jedermann klar erkennbar sind. Das bedeute auch, dass der Beschluss auf andere Urkunden oder Schriftstücke verweisen darf, wie dies auch häufig bei einem Beschluss über den Wirtschaftsplan oder die Jahresabrechnung der Fall sei.

Wird in dem Beschluss auf ein Dokument Bezug genommen, welches weder selbst Teil des Beschlusses oder des Protokolls ist,   muss dieses allerdings zweifelsfrei bestimmt sein. Denn nur dann wäre sichergestellt, dass auch ein Rechtsnachfolger den Inhalt feststellen kann. Hierzu ist das Schriftstück in die Beschlusssammlung oder eine Anlage dazu aufzunehmen, auch wenn dies keine konstitutive Wirkung für das Zustandekommen des Beschlusses hat. Vorliegend ergab sich aus dem Protokoll der Eigentümerversammlung in 2008, dass unter TOP 3 die Gesamt- und Einzelabrechnungen für 2007 beschlossen wurden, und dann unter TOP 4 unter Bezugnahme darauf die Änderung des Verteilungsschlüssels.  Damit war der Verweis wirksam.


BGH, Urteil vom 08.04.2016 – V ZR 104/15 -