Mittwoch, 16. März 2016

Nachbarschaftsrecht: Laubbefall durch herüberhängende Äste

Nur selten wird man in der glücklichen Lage sein, sich seinen Nachbarn aussuchen zu können. Und so gehören Nachbarstreitigkeiten zu den gerichtlichen Verfahren, die immer wieder anzutreffen sind, und bei denen letztlich nicht „die Sache“ selbst ursächlich ist, sondern  der Streit zwischen den Nachbarn. Fälle, in denen ein Richter selten eine Chance hat, eine gütliche Einigung zu bewirken (die regelmäßig auch vorher schon vor dem Schiedsmann ausblieb).


Bild: pixabay
Zu einen der Gründe für häufige nachbarschaftliche Auseinandersetzungen gehört der Bewuchs im Nachbargarten. So musste sich das OLG Brandenburg mit der Frage auseinandersetzen, ob Äste. Die mehrere Meter herüberragen, geduldet werden müssen. Neben den Regelungen des BGB sind die einschlägigen Nachbarschaftsgesetze der Länder zu berücksichtigen.

Klar wird vom OLG Brandenburg ausgeführt, dass der beeinträchtigte Nachbar vorliegend einen Anspruch auf Beseitigung des Überhangs nach §§ 1004 Abs. 1, 910 BGB habe, wenn sich ein Duldungsanspruch nicht ergibt. Insbesondere müsse er hier auch die von dem Überhang ausgehende Beeinträchtigung nicht nach § 910 Abs. 2 BGB dulden. Zwar wäre eine Beschattung vorliegend kein Grund, auch nicht ein gelegentliches Herabfallen von Eicheln; allerdings würde sich das Herabfallen des Laubs und der Kiefernadeln der Bäume als nicht unerhebliche Beeinträchtigung darstellen, da nach einem Sachverständigen 3 Kubikmeter im Jahr anfallen sollen.

Auch wenn die Frist für die Geltendmachung des Grenzabstandes nach dem Nachbarschaftsgesetz abgelaufen ist, hindere dies nicht die Ansprüche aus §§ 1004, 910 BGB. Allerdings käme ein Rückschnitt nicht in Betracht, wenn dieser genehmigungsfrei ist oder eine Genehmigung erteilt wird; wird eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt, würde dem Kläger ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zustehen (dessen Höhe in dieser Entscheidung nicht gegenständlich war).


OLG Brandenburg, Urteil vom 17.08.2015 – 5 U 109/13 -

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das am 30. Oktober 2013 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) – Az: 13 O 48/13 – teilweise abgeändert.
1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die auf dem Grundstück der Beklagten, S… 1 in St… unmittelbar an der Grundstücksgrenze zum Anwesen der Kläger, S… 2, befindlichen Bäume, eine Kiefer und zwei Eichen, so weit zurückzuschneiden, dass sie nicht mehr als zwei Meter, waagerecht und rechtwinklig von der Grundstücksgrenze gemessen, zwischen den Grundstücken S… 1 und S… 2, über die Grundstücksgrenze in Richtung des Grundstücks S… 2 herüber ragen.
Die Verurteilung zum Rückschnitt steht unter dem Vorbehalt der Erteilung einer behördlichen Genehmigung bzw. der Bestätigung der Genehmigungsfreiheit durch die zuständige Behörde.
2.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger 977,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. März 2013 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Parteien jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 14.000 € abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Soweit die Berufung zurückgewiesen wird, ist das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.500 € festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, gelegen an der S… in St…, die gemeinsame Grenze ist 28,50 m lang. Das Grundstück der Kläger, von diesen im Jahr 1996 erworben, ist 637 qm groß und mit einem Wohnhaus bebaut, das ca. 1.200 qm große Grundstück der Beklagten dient Erholungszwecken. Sie streiten über Bäume auf dem Grundstück der Beklagten, die auf Höhe des klägerischen Wohnhauses stehen und auf das klägerische Grundstück herüberragen, sowie den Standort von Kompostbehältern auf dem Grundstück der Beklagten. Wegen des Sachverhaltes im Einzelnen wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der erstinstanzlich verfolgte Beseitigungsanspruch bezüglich der Bäume aus §§ 1004 BGB, 39 BbgNRG sei wegen Fristablaufs ausgeschlossen, ein Beseitigungsanspruch aus §§ 1004, 906, 910 BGB scheide mangels wesentlicher Beeinträchtigung der Grundstückssituation der Kläger aus. Ein Anspruch auf Entfernung der Kompostbehälter bestehe nicht gemäß §§ 1004 Abs. 1, 906 Abs. 1 BGB, da die Kläger für die nicht unwesentliche Beeinträchtigung ihres Grundstücks beweisfällig geblieben seien.
Gegen das am 12. November 2013 zugestellte Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer am 12. Dezember 2013 eingelegten Berufung, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. Februar 2014 mit einem am 11. Februar 2014 eingegangenen Schriftsatz begründet haben. Sie verfolgen bezüglich der Bäume im Grenzbereich ihren in erster Instanz gestellten Hilfsantrag auf Beseitigung der auf ihr Grundstück herüberragenden Zweige weiter, im Übrigen die Anträge 1. Instanz. Sie sind der Ansicht, sie hätten aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis einen Anspruch auf Rückschnitt der Bäume. Das Landgericht habe verkannt, dass sie ein Wahlrecht zwischen dem Selbsthilferecht nach § 910 BGB und dem Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB hätten. Es sei nicht nachvollziehbar, wie es zu der Wertung komme, die Einwirkungen der Bäume hätten keine objektiv feststellbaren Auswirkungen auf ihr Eigentum. Zu Unrecht sei das Landgericht auch davon ausgegangen, dass eine 45 Jahre alte Eiche bereits ausgewachsen sei; Eichen könnten bis zu 1000 Jahre alt werden und mehrere 100 Jahre lang wachsen. Sie seien wegen der Höhe der Bäume ungewöhnlich schweren und nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigungen ausgesetzt und könnten daher aufgrund der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme Beseitigung des gesamten Überwuchses verlangen. Unstreitig vermindere das Blätterdach im Sommer den Lichteinfall auf Haus und Grundstück, die Dachentwässerung werde beeinträchtigt, da Laub, Eicheln und Kiefernnadeln Dachrinne und Fallrohr verstopften, Regenwasser trete über und laufe an der Hauswand herab. Sie müssten die Dachrinnen mehrmals im Herbst reinigen. Das Eichenlaub eines Herbstes fülle etwa 50 Laubsäcke zu 50 l. Während der Fruchtreife prasselten monatelang Tag und Nacht Eicheln auf Hausdach und Dachfenster, was in den Räumen laut zu hören sei. Bei Sturm und Regen bestehe wegen herabfallender abgestorbener Äste Gefahr für Leib und Leben, da seit 1996 keine toten Äste des Überwuchses entfernt worden seien. Auch sei eine Montage von Sonnenkollektoren nicht möglich, da sie unwirtschaftlich sei. Bei einer Feuerstättenschau vom 12. Februar 2014 sei ihnen vom Bezirksschornsteinfeger zudem aufgegeben worden, die herabhängenden Äste zu beseitigen, weil eine Gefahr der Beschädigung der Abgasleitung und damit der gesamten Feuerungsanlage bestehe. Eine Pflicht zur Duldung der dargestellten Beeinträchtigungen bestehe nicht.
In Bezug auf die Beseitigung der Kompostbehälter machen sie geltend, das Landgericht habe ihr Recht auf rechtliches Gehör verletzt, indem der Zeugenbeweisantritt aus dem Schriftsatz vom 10. Oktober 2013 zurückgewiesen worden sei.
Den ursprünglich gestellten Antrag, die auf dem Grundstück der Beklagten stehenden Kompostbehälter mindestens 10 m entfernt von der Grundstücksgrenze aufzustellen, haben die Parteien im Termin am 20. Juli 2015 übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Kläger beantragen zuletzt,
das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) von 30. Oktober 2013 abzuändern und
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die unmittelbar an der Grundstücksgrenze zum Anwesen der Kläger S… 2 befindliche Rotbuche, eine Tanne, eine Kiefer und zwei Eichen, auf dem der Klageschrift beigefügten Lageplan jeweils rot markiert, so weit zurückzuschneiden, dass sie nicht mehr auf das Grundstück der Kläger hinüberragen.
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger 19,70 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz daraus seit Klagezustellung zu zahlen,
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger für vorgerichtliche, nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten 1.101,46 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz daraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil und machen geltend, der Laubanfall sowie die herabfallende Eichelmenge seien übertrieben dargestellt. Das mehrmalige Reinigen der Regenrinne und Fallrohre sei eine hinnehmbare Beeinträchtigung, die Verschattung liege im normalen Maß. Ein Anspruch auf Rückschnitt bestehe mangels konkreter Gefährdung nicht. Er würde zudem zu einem Absterben der Bäume führen, da ihnen die Hälfte der Belaubung genommen würde. Mangels Beeinträchtigung bestehe auch kein Selbsthilferecht nach § 910 BGB. Ein Anspruch auf Umsetzung der Kompostbehälter habe nicht bestanden, die Entsorgung von Gartenabfällen und Kompost habe keine Geruchsentwicklung zur Folge.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen J… W… sowie durch Augenscheinseinnahme. Hinsichtlich des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Beschluss vom 23. Oktober 2014 und das Protokoll vom 20. Juli 2015 verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
Die Klageänderung, die von den Klägern in zweiter Instanz vorgenommen worden ist, da sie den ursprünglich als Hilfsantrag gestellten Antrag, die Bäume zurückzuschneiden, jetzt als Hauptantrag verfolgen und ihn inhaltlich auf den Rückschnitt der Äste bis zur Grundstücksgrenze erweitern, ist sachdienlich und erfüllt auch im Übrigen die Voraussetzungen des § 533 ZPO.
Die Kläger haben einen Anspruch auf Beseitigung der über die Grenze auf ihr Grundstück ragenden Zweige aus § 1004 Abs. 1 BGB gegen die Beklagten. Nach § 910 Abs. 1 und 2 BGB hat der Grundstückseigentümer dafür zu sorgen, dass überhängende Äste und Zweige den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB wird durch das Selbstbeseitigungsrecht aus § 910 Abs. 1 BGB nicht ausgeschlossen (BGHZ 60, 235 (242); BGHZ 157, 33, Tz. 21).
Die hier auf das Grundstück der Kläger ragenden Zweige der beiden Eichen und einer Kiefer reichen nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien und nach den von den Klägern vorgelegten Lichtbildern (Anlage zum Schriftsatz vom 18. September 2014, Bl. 159 ff. d.A.) mehrere Meter über die Grundstücksgrenze auf das Grundstück der Kläger.
Die Kläger sind nicht verpflichtet, die herüberragenden Zweige nach § 910 Abs. 2 BGB zu dulden. Die Zweige stellen eine Beeinträchtigung dar, die nicht auch nicht ganz unerheblich ist. Eine Pflicht zur Duldung nach § 910 Abs. 2 BGB besteht daher nicht (vgl. BGHZ 157, 33, Tz. 20). Zwar vermag eine Verschattung allein den Anspruch nicht zu begründen. Auf dem klägerischen Grundstück entsteht aber eine Beeinträchtigung durch Herabfallen von Laub und Kiefernnadeln, die nicht unerheblich ist. Der Senat hat sich im Ortstermin am 20. Juli 2015 einen eigenen Eindruck von der Größe und dem Standort der Bäume und dem Umfang des Überhangs der Äste auf das klägerische Grundstück verschafft. Der Überhang sämtlicher Bäume erstreckt sich über mehrere Meter oberhalb des klägerischen Grundes und berührt ein Abgasrohr. Den Beklagten ist daher vom Bezirksschornsteinfegermeister die Auflage zur Beseitigung der Äste aufgegeben worden, wie sie mit Schriftsatz vom 20. Februar 2014 belegt haben. Die stark belaubten Eichen, die unstreitig 10 bis 12 Meter hoch sind, enden deutlich über der von der Straße aus gesehen rechten Dachhälfte, einige Zweige erreichen die Mitte des Daches oder wachsen geringfügig darüber hinaus. Da das klägerische Gebäude nach der mit der Klageschrift als Anlage zum Klageantrag eingereichten Grundrissskizze, deren Inhalt von den Beklagten nicht bestritten worden ist, in einem Abstand von drei Metern zur Grenze errichtet worden ist, erstreckt sich der Überhang auf eine Entfernung von insgesamt mehr als fünf Metern auf dem Grundstück der Kläger.
Der Laub- und Nadelbefall ist auch nicht nur geringfügig. Die Laubbäume, deren Kronen überwiegend auf das Grundstück der Kläger reichen, weisen Laub im Umfang von etwa drei Kubikmetern auf, wie die Sachverständige W… im Ortstermin am 20. Juli 2015 erläuterte. Diese Einschätzung bestätigt den Vortrag der Kläger, wonach sie zuletzt 50 Laubsäcke mit einem Fassungsvermögen von jeweils 50 Litern mit dem Laub der streitgegenständlichen Eichen gefüllt haben. Auch ein Teil der Zweige der ebenfalls 10 bis 12 Meter hohen Kiefer reicht mehrere Meter über die Grundstücksgrenze und führt dort naturgemäß zu einem Nadelbefall, der nicht mehr nur als geringfügig anzusehen ist. Der Nadelbefall auch auf das Dach der Kläger ist anhand der eingereichten Lichtbilder (Bl. 159 ff.) erkennbar. Die Kläger sind infolge dieser natürlichen Einwirkungen verstärkt mit der Reinigung von Dach und Dachrinne sowie des Grundstücks belastet.
Die von den Klägern als wesentlich empfundene Beeinträchtigung durch den Klang herabfallender Eicheln im Herbst erachtet der Senat demgegenüber nicht als erhebliche Beeinträchtigung. Die Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass bei Vollmast einer Eiche durchschnittlich alle 1.350 Minuten eine Eichel auf einem Quadratmeter falle. Diese Frequenz und die aufgrund des persönlich gewonnenen Eindrucks des Senats im Ortstermin geringe Lautstärke des beim Aufprall von Eicheln auf Dach und Fenster entstehenden Geräuschs vermögen eine erhebliche Beeinträchtigung nicht zu begründen. Dies umso mehr, als nach den Ausführungen der Sachverständigen der Zeitraum der Fruchtreife zwei Monate beträgt und es innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren zu etwa vier Jahren kommt, in denen keine Eicheln entstehen. Letztlich kann aber dahin stehen, ob die geringe Beeinträchtigung durch das Herabfallen von Eicheln für sich gesehen einen Beseitigungsanspruch begründen könnte, da jedenfalls die dargestellte erhebliche Beeinträchtigung durch Laub und Nadeln gegeben ist.
Gegen die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen W…, die ihre Einschätzung über die von den Bäumen ausgehenden Auswirkungen nachvollziehbar und sachlich begründet hat, sind Einwände von keiner der Parteien erhoben worden.
Der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ist auch nicht ausgeschlossen, weil die Kläger die Frist für die Geltendmachung der Nichteinhaltung des Grenzabstandes der Bäume nach den §§ 37 Abs. 1, 39 Satz 1, 40, 61 Abs. 2 BbgNRG versäumt haben. Die Berechtigung, den Rückschnitt der überhängenden Äste selbst vorzunehmen oder zu verlangen, §§ 910, 1004 BGB, bleibt davon unberührt (Postier, Das Nachbarrecht in Brandenburg, 5. Aufl., § 40 Tz. 1.2).
Auf die Verjährung des Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB haben die Beklagten sich nicht berufen. Auch kann ihr Vortrag, der Beseitigungsanspruch sei im Hinblick auf die Nichteinhaltung der Frist von zwei Jahren seit der Anpflanzung nach den §§ 40 Satz 1, 61 Abs. 2 BbgNRG ausgeschlossen, nicht dahin ausgelegt werden, dass sie sich allgemein auf die Erhebung der Einrede der Verjährung berufen wollen, da die Beklagten den Vortrag lediglich auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Nachbarrechtsgesetzes bezogen und zum Beginn einer (erheblichen) Beeinträchtigung infolge herüberwachsender Zweige nicht, auch nicht hilfsweise, vorgetragen haben. Vielmehr vertreten sie die Auffassung, es liege keine Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks vor. Darüber hinaus tritt die für den Beseitigungsanspruch maßgebliche Beeinträchtigung infolge des Überwuchses, nämlich das Herabfallen des Laubes und der Nadeln, jährlich erneut auf, was einer Verjährung des Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB hier im Übrigen entgegen steht (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 74. Aufl., § 1004 Rn. 45).
Die Kläger sind aber nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses verpflichtet, den Überhang zu dulden, soweit dieser eine Entfernung von zwei Metern, waagerecht gemessen von der Grundstücksgrenze, nicht überschreitet. Die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und der Nachbargesetze der Länder regeln das nachbarliche Verhältnis grundsätzlich abschließend. Es kann sich aber im Einzelfall ergeben, dass unter Berücksichtigung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) die gesetzlichen Befugnisse und Verpflichtungen Einschränkungen erfahren. Für den Nachbarn folgt daraus eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, wenn ein über die gesetzlichen Regelungen hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden (BGH NJW-RR 2003, 1313; NJW 2003, 1392; NJW-RR 2008, 610).
So liegt der Fall hier. Die Kläger haben das Grundstück im Jahr 1996 unmittelbar neben dem zum damaligen Zeitpunkt bereits 45 Jahre alten Baumbestand, wie sie mit der Klage vortragen, aus dem Familienbesitz der Beklagten erworben. Die Eichen und die Kiefer reichten, wie sie selbst beim Ortstermin ausführten, bereits zum damaligen Zeitpunkt auf das Grundstück, hätten sie aber nicht gestört. Sie haben bis zur Geltendmachung der Beseitigungsansprüche durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 18. Oktober 2012 einen Beseitigungsanspruch wegen der Eichen und der Kiefer nicht geltend gemacht. Insbesondere führt das Schreiben der Kläger an die Beklagten vom 30. Juli 2006 nur die zwischenzeitlich beseitigte Rotbuche, nicht aber den alten Baumbestand auf. Die Beklagten haben das von ihnen während der Freizeit genutzte Grundstück im Vertrauen darauf genutzt, die Bäume nicht beseitigen oder zurückschneiden zu müssen, da die Kläger das Grundstück in Kenntnis des Baumbestandes erworben haben. Die dicht beieinander stehenden Bäume wirken als Sichtschutz, begründen aber auch die – jedenfalls während der Vormittagsstunden herrschende schattige Lage des Grundstücks der Beklagten und bilden optisch eine das Grundstück prägende natürliche Abgrenzung zum Nachbargrundstück, die den Beklagten wichtig ist. Schuldrechtliche Vereinbarungen über die Erhaltung der Bäume sind bei Erwerb des Grundstücks mit den Klägern angesichts des Umstandes, dass die Bäume die Kläger nicht störten, nicht getroffen worden. Der vollständige Rückschnitt insbesondere der Eichen bis zur Grundstücksgrenze würde dazu führen, dass lediglich ein kleiner Teil der Baumkrone erhalten bliebe. Der Senat erachtet vor diesem Hintergrund lediglich eine Kürzung der auf das Grundstück der Kläger ragenden Äste in dem angegebenen Umfang für zulässig, um den Interessen der Kläger an einer geringeren Beeinträchtigung durch herabfallendes Laub gerecht zu werden, den alten Baumbestand aber dem Anliegen der Beklagten entsprechend zu erhalten. Dabei ist berücksichtigt worden, dass nach Angaben der Sachverständigen die Baumkrone der Eichen in den letzten 15 Jahren schätzungsweise zwei Meter weiter in Richtung des klägerischen Grundstücks gewachsen ist und der nach dem Rückschnitt verbleibende Teil der Krone nicht über das Dach der Kläger ragt. Da die Standfestigkeit der Bäume durch einen Rückschnitt sonst beeinträchtigt sein kann, folgt der Senat zudem der Anregung der Sachverständigen, einen kleineren Teil der Krone auch in Richtung des Grundstücks der Kläger zu erhalten.
Der Beseitigungsanspruch richtet sich gegen beide Beklagte. Die Beklagte zu 1. ist als Eigentümerin Zustandsstörerin. Der Beklagte zu 2. ist als Mitbesitzer des Grundstücks und früherer Eigentümer bis zur Eigentumsumschreibung auf die Beklagte zu 1. am 28. Juli 2011 ebenfalls tatsächlich zur Einwirkung auf das Grundstück in der Lage. Der Eigentümer und der Besitzer eines Grundstücks, von dem eine Störung infolge eines beherrschbaren Naturereignisses ausgeht, sind dann Störer im Sinne des § 1004 BGB, wenn die entstandene Beeinträchtigung jedenfalls mittelbar auf ihren Willen und ein im Rahmen der Bewirtschaftung des Grundstücks pflichtwidriges Verhalten zurückgeht und sie daher für den entstandenen Zustand mit verantwortlich sind (BGH NJW 2004, 603; BGHZ 157, 33, Tz. 24; NZM 2005, 318, Rz. 21). Ob dies der Fall ist, ist im Einzelfall anhand wertender Betrachtung festzustellen (BGH NJW 2011, 753, Tz. 13). Der Beklagte zu 2. ist als Mitbesitzer des Grundstücks und Ehemann der Beklagten zu 1. gemeinsam mit der Beklagten zu 1. in der Lage, den Rückschnitt der Bäume vorzunehmen. Der die Kläger störende Zustand ist auch mit auf sein Verhalten, einen Rückschnitt zu unterlassen, zurückzuführen, zumal er auch als Eigentümer den Rückschnitt nicht veranlasst und damit zu dem jetzt entstandenen Zustand beigetragen hat.
Die Verurteilung zum Rückschnitt steht unter dem Vorbehalt der Erteilung einer Genehmigung bzw. der Feststellung durch die zuständige Behörde, dass die Genehmigung nicht erforderlich sei. Nach § 4 Abs. 1 der Satzung über die Erhaltung, die Pflege und den Schutz von Bäumen in der Stadt St… sind Beeinträchtigungen der durch die Satzung geschützten Bäume verboten. Die Satzung nimmt aber Arbeiten zum Rückschnitt in § 4 Abs. 2 von dem Verbot nach § 4 Abs. 1 der Satzung aus und sieht zudem die Möglichkeit der Genehmigung an sich verbotener Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 vor. Eine Duldungspflicht der Kläger nach § 1004 Abs. 2 BGB ergibt sich daraus nicht. Die Verurteilung ist aber unter den Vorbehalt der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zu stellen, da über die Genehmigung nur die zuständige Behörde, nicht aber die Zivilgerichte entscheiden dürfen. Die Erteilung der Ausnahmegenehmigung ist im Zwangsvollstreckungsverfahren einzuholen (BGH NZM 2005, 318). Wird die Ausnahmegenehmigung nicht erteilt, kommt ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in Betracht.
Hinsichtlich der vom Antrag noch erfassten weiteren Bäume, einer Rotbuche und einer Tanne, ist unstreitig, dass eine Beeinträchtigung der Kläger nicht (mehr) gegeben ist. Die Rotbuche ist entfernt, die Tanne haben die Beklagten so weit zurückgeschnitten, dass sie nicht mehr bis auf das Grundstück der Kläger ragt.
Der Anspruch der Kläger auf Erstattung der durch die außergerichtliche Vertretung entstandenen Rechtsanwaltsgebühren ist aus den §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB begründet. Gleiches gilt für die infolge der Schlichtung entstandenen Kosten von 19,70 €. Ausgehend von dem auch für das gerichtliche Verfahren anzusetzenden Wert von 10.500 € (§ 3 ZPO) sind die außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr mit einem Gebührensatz von 1,3 (Nr. 2300 VV RVG), hier 785,20 €, die Auslagenpauschale von 20 € (Nr. 7002 VV RVG) und Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG), insgesamt 958,19 € erstattungsfähig.
Hinsichtlich der Beseitigung der Kompostbehälter haben die Parteien den Rechtsstreit im Ortstermin am 20. Juli 2015 übereinstimmend für erledigt erklärt. Insoweit ist gemäß § 91 a ZPO über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies führt zur hälftigen Kostentragung beider Parteien. Die Kläger hätten insoweit einen Anspruch aus § 1004 BGB auf Entfernung des Behälters gegen die Beklagten als gemeinschaftliche Nutzer des Grundstücks gehabt, wenn eine von den Behältern ausgehende wesentliche Geruchsbeeinträchtigung im Rahmen eines Ortstermins festgestellt worden wäre und auch unter Berücksichtigung der möglichen Ortsüblichkeit der Geruchsentwicklung die Standortwahl der Behälter nicht dem Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme entsprochen hätte. Der zum Zeitpunkt der Erledigung offene Ausgang der Beweisaufnahme rechtfertigt die hälftige Kostentragung.
Die Kostenentscheidung ergeht im Übrigen gemäß § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen insoweit nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Der Streitwert einer Eigentumsstörungsklage ist das Interesse des Klägers an der Störungsbeseitigung. Die dem Beklagten entstehenden Nachteile bleiben demgegenüber unberücksichtigt (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 3 Rn. 16 "Eigentumsstörung"). Abzustellen ist auf die Wertminderung, die der Kläger durch die konkrete Störung an seinem Eigentum erleidet (Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 13. Aufl. 2011, Rn 1904). Diese hält der Senat mit 10.000 € für die Beeinträchtigungen durch Bäume und 500 € für Beeinträchtigungen durch den Kompostbehälter für angemessen berücksichtigt.

1 Kommentar:

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