Sonntag, 31. Mai 2015

Mietrecht: Sonderkündigungsrecht Zweifamilienhaus

§ 573a Abs. 1 BGB sieht ein Sonderkündigungsrecht für Wohnraum bei einem Haus mit zwei Wohnungen  vor, wenn die eine der zwei Wohnungen vom Vermieter selbst bewohnt wird. Der Umstand, dass in dem Haus noch gewerbliche Räume vorhanden sind, ist ohne Belang, es sei denn, dass es sich um Räume handelt, die ehedem ebenfalls der Wohnnutzung dienten. Sollte allerdings – so der BGH – die Umnutzung vor Abschluss des Mietvertrages erfolgt sein, der nunmehr gekündigt wird, so ist die Umnutzung ohne Relevanz. 

BGH, Urteil vom 18.02.2015 - VIII ZR 127/14 -
Aus den Gründen:

Tatbestand

Die Kläger nehmen die Beklagten auf Räumung einer Mietwohnung in Anspruch.
Die Kläger sind seit 1986 Eigentümer eines Hauses in Bochum, dessen Erdgeschosswohnung sie bewohnen. Die Beklagten sind seit dem 1. Januar 1985 Mieter einer im Dachgeschoss gelegenen Dreizimmerwohnung. Den Mietvertrag hatten sie Ende des Jahres 1984 mit den Voreigentümern B.      , die das zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig fertiggestellte Anwesen errichteten, abgeschlossen.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob das Haus als Zweifamilien- oder als Mehrfamilienhaus anzusehen ist. In der Baugenehmigung aus dem Jahr 1984 sowie in der Schlussabnahmebescheinigung der Stadt Bochum ist das Bauvorhaben als "Errichtung eines Wohnhauses mit 2 WE und 2 Pkw-Garagen" beschrieben.
Außer den beiden Wohnungen der Parteien befindet sich im Dachgeschoss neben der Wohnung der Beklagten ein weiteres Appartement, bestehend aus einem Zimmer, Bad/WC, Abstellraum, Flur und Balkon, das - wie in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt worden ist - von Anfang an mit den für die Aufstellung einer Kochnische/Küchenzeile erforderlichen Anschlüssen für Wasser und Strom versehen war. In der Folgezeit wurde hier eine Teeküche/Küchenzeile eingebaut und das Appartement zu Wohnzwecken an unterschiedliche Mieter vermietet. Im Anschluss hieran nutzte der Kläger diese Wohnung mehrere Jahre nur noch als Arbeitszimmer. Seit 2010 sind die Räumlichkeiten an ein vom Kläger betriebenes Unternehmen vermietet. Die Küchenzeile wurde in ein Regal "umfunktioniert".
Im Jahr 2012 kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Mit Schreiben vom 20. November 2012 kündigten die Kläger das Mietverhältnis unter Berufung auf ihr Sonderkündigungsrecht gemäß § 573a BGB zum 30. November 2013. Die Beklagten widersprachen der Kündigung, wie auch den nachfolgenden seitens der Kläger wegen angeblicher Verletzungen des Mietvertrags ausgesprochenen Kündigungen vom 15. Januar 2013 und 5. März 2013 sowie vom 5. und 17. Februar 2014.
Das Amtsgericht hat die unter anderem auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage abgewiesen. Auf die auf den Räumungsanspruch beschränkte Berufung der Kläger hat das Landgericht antragsgemäß erkannt. Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt.
Die Kläger hätten gegen die Beklagten einen Räumungs- und Herausgabeanspruch gemäß § 546 Abs. 1 BGB, da das Mietverhältnis bereits durch die Kündigung vom 20. November 2012 wirksam beendet worden sei. Den Klägern stehe das Sonderkündigungsrecht des § 573a BGB zu. Hiernach könne der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem von ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen kündigen, ohne dass es eines berechtigten Interesses im Sinne des § 573 BGB bedürfe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Denn zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung im November 2012, auf den es nach Auffassung der Kammer ankomme, habe es sich bei dem streitgegenständlichen Gebäude um ein Zweifamilienhaus im Sinne des § 573a Abs. 1 BGB gehandelt.
Demgegenüber komme es nicht darauf an, dass nach der Aufteilung des Hauses nach wie vor drei selbständige Wohnungen/Wohneinheiten vorhanden seien. Denn das zweite Appartement im Dachgeschoss werde seit einigen Jahren durch die vom Kläger betriebene GmbH als Büro und Geschäftsraum genutzt und sei demnach keine Wohnung mehr, sondern Gewerberaum.
Zwar sei eine Kündigung nach § 573a BGB ausgeschlossen, wenn der Vermieter eine weitere eigenständige Wohnung im Gebäude für sich zu erweiterten Wohnzwecken als Besucherzimmer, Bügelzimmer oder Arbeitszimmer nutze. Denn durch diese Erweiterung des Wohnbereichs reduziere sich der einmal gegebene Wohnungsbestand nicht. Anderes gelte aber, wenn sich in dem Gebäude außer der Wohnung des Vermieters und der Wohnung des Mieters nur noch Gewerberäume befänden. Insoweit komme es auch nicht darauf an, ob die Gewerberäume von dem Vermieter selbst genutzt würden.
Der Mieter könne dadurch geschützt werden, dass eine auf § 573a BGB gestützte Kündigung im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich und damit gemäß § 242 BGB als unwirksam anzusehen sei. Hieran sei namentlich dann zu denken, wenn der Umbau/die Umnutzung allein dem Zweck diene, das erleichterte Kündigungsrecht auszulösen. Dies sei vorliegend aber nicht erfüllt, weil die Umnutzung zu Büroräumen bereits vor 15 Jahren, die Vermietung als Büroraum seit 2010 erfolge und damit ersichtlich nicht darauf abziele, ein Sonderkündigungsrecht gegenüber den Beklagten zu schaffen.
II.
Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der Räumungsanspruch der Kläger gemäß § 546 Abs. 1 BGB nicht bejaht werden. Die auf § 573a Abs. 1 BGB gestützte Kündigung der Kläger vom 20. November 2012 hat das Mietverhältnis der Parteien nicht beendet.
1. Ein Mietverhältnis über Wohnraum kann, ohne dass es eines berechtigten Interesses des Vermieters im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB an der Beendigung des Mietverhältnisses bedarf, nach § 573a Abs. 1 Satz 1 BGB gekündigt werden, wenn der Mieter in einem vom Vermieter selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen wohnt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen des § 573a Abs. 1 Satz 1 BGB hier nicht vor, da sich in dem Wohnhaus der Kläger - wie das Berufungsgericht im Übrigen selbst unangegriffen feststellt - seit dessen Errichtung unverändert drei selbständige Wohnungen/Wohneinheiten befinden.
2. Unter einer Wohnung wird ein selbständiger, räumlich und wirtschaftlich abgegrenzter Bereich verstanden, der eine eigenständige Haushaltsführung ermöglicht. Für die Beurteilung, ob in einem Gebäude mehr als zwei Wohnungen vorhanden sind, ist - ungeachtet einer etwaigen abweichenden baurechtlichen Einordnung - die Verkehrsanschauung maßgebend (vgl. Senatsurteile vom 17. November 2010 - VIII ZR 90/10, NJW-RR 2011, 158 Rn. 8 mwN; vom 25. Juni 2008 - VIII ZR 307/07, WuM 2008, 564 Rn. 19 f.). Da eine eigenständige Haushaltsführung gemeinhin voraussetzt, dass eine Küche oder eine Kochgelegenheit vorhanden ist (Senatsurteil vom 17. November 2010 - VIII ZR 90/10, aaO Rn. 9), müssen die dafür erforderlichen Versorgungsanschlüsse (Wasser, Abwasser, Strom) vorhanden sein. Hingegen ist nicht erforderlich, dass die Küche mit Möbeln und Geräten ausgestattet ist (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl., § 573a BGB Rn. 21).
a) Hiernach kann keinen Zweifeln unterliegen, dass es sich bei dem Appartement im Dachgeschoss um eine eigenständige Wohnung handelt, die über einen durch eine Wohnungseingangstür räumlich abgeschlossenen Wohnbereich mit Bad und die für eine Küchenzeile erforderlichen Anschlüssen verfügt. Damit haben die Beklagten - worauf die Revision zu Recht hinweist - die streitgegenständliche Wohnung in einem Gebäude angemietet, in dem drei selbständige Wohneinheiten geplant waren und entstanden und nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts auch nach wie vor vorhanden sind.
b) Anders als das Berufungsgericht meint, hat sich der Wohnungsbestand von drei selbständigen Wohnungen nicht dadurch reduziert, dass das Appartement im Dachgeschoss seit etwa zwei Jahren vor der Kündigung durch eine vom Kläger betriebene GmbH als Büro- und Geschäftsraum und somit gewerblich genutzt wird.
aa) Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, dass der Gesetzgeber die Beschränkung auf reine Wohngebäude (§ 564a Abs. 4 BGB in der bis zum 31. August 2001 geltenden Fassung) in der Neuregelung durch § 573a BGB bewusst nicht beibehalten hat (BT-Drucks. 14/4553, S. 66; Senatsurteil vom 25. Juni 2008 - VIII ZR 307/07, aaO Rn. 19). Ebenso zutreffend sieht das Berufungsgericht eine Kündigung nach § 573a BGB als ausgeschlossen an, wenn der Vermieter eine weitere eigenständige Wohnung im Gebäude für sich selbst zu erweiterten Wohnzwecken als Besucherzimmer, Bügelzimmer oder Arbeitszimmer nutzt, da durch diese Erweiterung des Wohnbereichs sich der einmal gegebene Wohnungsbestand nicht reduziert.
bb) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht jedoch, dies sei anders zu beurteilen, wenn sich in dem Gebäude außer der Wohnung des Vermieters und der Wohnung des Mieters nur noch Gewerberäume befänden, und es dann auch nicht darauf ankomme, ob die Gewerberäume von dem Vermieter selbst genutzt würden. Damit verkennt das Berufungsgericht die der Senatsrechtsprechung zugrundeliegenden Grundsätze (vgl. Senatsurteile vom 17. November 2010 - VIII ZR 90/10, aaO; vom 25. Juni 2008 - VIII ZR 307/07, aaO). Denn durch die Umwidmung des neben der streitgegenständlichen Wohnung liegenden Appartements von Wohnraum zu Gewerberaum hat sich der einmal gegebene Wohnungsbestand nicht reduziert. Auch wenn in den gewerblich genutzten Räumen statt der ehemals vorhandenen Küchenzeile nunmehr ein Regal vorhanden ist, ändert dies nichts daran, dass in diesen, eine abgeschlossene Wohneinheit bildenden Räumlichkeiten jederzeit eine eigenständige Haushaltsführung möglich ist.
Von diesen Grundsätzen kommt nur dann eine Ausnahme in Betracht, wenn die weitere Wohnung schon vor Abschluss des zwischen den Parteien bestehenden Mietvertrages nicht mehr als Wohnung, sondern als Gewerberaum genutzt wurde (Senatsurteil vom 25. Juni 2008 - VIII ZR 307/07, aaO). Dies ist hier jedoch unstreitig nicht der Fall.
III.
Hiernach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob das Mietverhältnis durch die weiteren Kündigungen vom 15. Januar und 5. März 2013 sowie vom 5. und 17. Februar 2014 beendet worden ist. Das Verfahren ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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